Skip to content

Noch einmal: Die Mitläuferin

2017 7. Mai
von Martin Löschmann

Wie der geneigte Leser und die geneigte Leserin wissen, wurde der autobiografische Roman „Die Mitläuferin“ in diesem Blog besprochen, weil darin das Herder-Institut eine Rolle spielt. Vgl. http://herderblog.net/2016/02/02/die-mitlaeuferin/

Wie aus unterrichteten Kreisen bekannt wurde, wird Frau Astrid Zeven als ehemalige Dozentin des Herder-Instituts Leipzig am

* 18. Mai 2017 am Studienkolleg Sachsen der Universität Leipzig, Lumumbastr. 4, 14.00 Uhr bis 15.30 Uhr

eine Lesung zu diesem autobiografischen Roman „Die Mitläuferin – Ein Leben in zwei Deutschländern“ durchführen.

Die Lesung, obwohl ursprünglich für Studierende und Lehrende gedacht, ist aber beileibe keine geschlossene Veranstaltung, sondern Interessenten ans Nah und Fern, ob jung oder alt, Mann oder Frau, erst recht diesen Blog Lesende, sind herzlich eingeladen.

Es kann hier verraten werden, dass die Autorin auf jeden Fall Passagen über ihre Leipziger
Zeit vortragen wird. Bekanntlich (wer die Rezension gelesen hat!) war ja Astrid Zeven viele Jahre als Deutschdozentin des Herder-Instituts tätig und hat ihre Erlebnisse und Erfahrungen in der DDR verarbeitet, die letztlich dazu führten, dass sie 1989 flüchtete und im ‚Westen‘ ankam.

Man darf ganz gewiss gespannt sein und der Ankündiger dieser Lesung verhehlt nicht den Hintergedanken, dass er sich über Stimmen, Berichte, Stimmungsbilder, Kritiken … freuen würde. Und sei es: Just for fun.

Ein weiterer Beitrag zum Ungeist beim Umgang mit DDR- Intellektuellen

2017 16. April
von Martin Löschmann

Man muss kein Prophet sein, wenn man verkündet, das zum Himmel schreiende Unrecht, das vielen Intellektuellen an Akademien, Hochschulen und Universitäten der DDR angetan wurde, wird lange noch nicht aus dem Rand des gesellschaftlichen Diskurses in der Bundesrepublik verschwinden. So schreibt der Historiker Götz Aly in der Berliner Zeitung vom 30. März 2017: Wie „DDR-Universitäten, von westdeutschen Beutemachern heimgesucht wurden, darunter viele emsig netzwerkende Trantüten, die dort ihre letzte Karrieregelegenheit witterten.“

So war ich nicht überrascht, als mich ein guter Freund über eine Rezension im Neuen Deutschland zu Joachim Jahns: Die Kirschs oder Die Sicht der Dinge. Dingsda-Verlag (225 S., 24,90 Euro) aufmerksam machte. Es findet sich auch eine Besprechung in der Jungen Welt (März 2017). War ich also auch nicht sonderlich überrascht, so hat mich das Buch doch insofern sehr betroffen, als darin das Schicksal des Ehemanns einer von mir erfolgreich betreuten Promovendin nachgezeichnet wird, nämlich das des Professors für Latinistik und Direktors der Sektion Orient- und Altertumswissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Dr. habil. Wolfgang Kirsch.

Ich kann mich noch gut an unsere letzte Begegnung anlässlich der Beerdigung seiner Frau, Dr. Erika Kirsch, wenige Jahre nach der Wende erinnern. Man kann, so man will, die Passage über die Begegnung in meinen Memoiren Unerhörte Erinnerungen eines Sonstigen nachlesen. Unfassbar für ihn der Tod seiner Frau, doch selbst an einem solchen Trauertag konnte er das nachwendische Geschehen nicht ausblenden, das für ihn durch seine missliche Evaluierung über eine der berüchtigten Personalkommissionen, die Infragestellung seiner Person, seiner Professur, seines Amtes zerstörerisch bestimmt worden war. Er konnte es einfach nicht fassen, dass man seine Integrität derart beleidigte. Man war nicht davor zurückgeschreckt, ihn als „Offizier der Stasi“ zu verdächtigen, streute vorsätzlich entsprechende Gerüchte an passender und unpassender Stelle aus. Ich halte es nicht für übertrieben, wenn seine zweite Frau Gertraude Clemenz-Kirsch, Picasso-Forscherin und Leiterin der inzwischen geschlossenen Saalkreis-Bücherei, schreibt, er habe noch auf dem Totenbett „von diesen für ihn so schlimmen Vorgängen phantasiert.“ Sie war es auch, die 2011 an den Autor und Verleger Jahns herantrat mit der Bitte, über ihren ein Jahr vorher verstorbenen Mann (72), den international und auch in der BRD anerkannten Altphilologen Wolfgang Kirsch, zu schreiben, um die Vertreibung aus Amt und Würden ans öffentliche Licht zu bringen. Erforderliche Aufzeichnungen und Dokumente, besonders über seine Entlassung aus dem Hochschuldienst, vom Verstorbenen mit der Überschrift Evaluierung versehen, stellte sie dem Verfasser zur Verfügung. Der Brief an Jahns ist in dem Buch gewissermaßen als Einleitung abgedruckt.

Auch wenn sich die Verleumdungskampagnen, die rechtsstaatlich mehr als fragwürdigen Evaluierungsprozesse, die Machenschaften ostdeutscher Helfershelfer mit individuellem Gesicht vollzogen, kommt ein Selbstbetroffener nicht umhin, allgemeingültige Strukturen zu erkennen, die die Vertreibung der DDR-Elite offensichtlich kennzeichnen: Bestellung von Evaluierungskommissionen, die im Westen undemokratisch zusammengestellt wurden. Um ihre Legitimation zu erhöhen, werden Hel-fershelfer aus der DDR integriert, denen angeblich Unrecht geschehen ist. Nicht, dass es solche Benachteiligten nicht gegeben hätte, doch nur zu oft schoben sich Leute in den Vordergrund, die es verstanden, Hochschulkräfte zu diffamieren und sich selbst über solche Schmutzarbeit in gewünschte Positionen zu rücken. Sie werden im Buch mit Namen und Adresse genannt und es wird aufgezeigt, wie sie ihre Biografien zurechtbogen. So behauptete ein Mehlig, er habe in der DDR 10 Jahre nicht publizieren dürfen. Jahns kann jedoch problemlos nachweisen, dass eben dieser Mehlig in dieser Zeit gar wohl publiziert hatte, beispielsweise in der universitätseigenen Zeitschrift. Seine frühere SED-Mitgliedschaft verschwieg die intrigante Person geflissentlich. Im herderblog.net sind derartige Vorteilsnehmer auch benannt und charakterisiert. Solche und andere Leute mögen das Mitglied der Evaluierungskommission des Wissenschaftsrates Manfred Fuhrman bewogen haben, in der Frankfurter All-gemeine zu schreiben: „Im Westen glaubt man manchmal mehr zu wissen als den unmittelbar Beteiligten bekannt ist.“
Wenn man nicht selbst bundesrepublikanische Schlamperei schwarz auf weiß dokumentiert hätte, würde man womöglich gar nicht glauben, dass in Kirschs Abberufungsurkunde vom 16. Oktober 92 seine Professur nicht einmal korrekt bezeichnet ist. Er, der noch ein Jahr vorher vom Bildungsminister Sachsen-Anhalts ein Dankesschreiben für konzeptionelle Erneuerungen des Lateinunterrichts erhalten hatte, musste von einem Tag zum anderen gehen. Mir bescheinigte der DAAD vor meiner Entlassung gelungene Projektarbeit.

Zwei 2 Jahre nach dem Rauswurf wurde Prof. Kirsch im Dienstzeugnis eine „internationale Anerkennung“ attestiert, auch, dass er sich „in außerordentlichem Maße für Belange des Instituts eingesetzt“ habe.“
Wie in meinem Fall gab es im Umkreis von Wolfgang Kirsch Solidaritätsbekundigungen aus dem Westen. Bei mir war es z.B. Prof. Hans-Eberhard Piepho, hier wird u.a. der bekannte Tacitus-Forscher Reinhard Häußler von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf genannt.

Es ist nachvollziehbar, dass der Autor den Kreis um Wolfgang Kirsch weiter zieht und andere Familienmitglieder einbezieht. Das sind einmal der Bruder, der Dichter Rainer Kirsch und dessen Frau, die Lyrikerin Sarah Kirsch. Sicherlich können solche berühmten Namen das Leseinteresse erhöhen, aber so recht stimmig ist das letztlich im gegebenen Zusammenhang nicht, weil die Verbindungsglieder wie existenzielle Zuspitzungen und Brüche, Berufsverbote, oppositionelles Verhalten nicht ausreichen, die Arbeit zusammenzuhalten.

Sosehr man das Verdienst des Verfassers der sachorientierten biografischen Dokumentation würdigen muss, sowenig kann ich verhehlen, dass ich mir wünschte, Wolfgang hätte sich selbst der subjektiven Authentizität wegen aufgerafft, die schmerzlich durcherlebten Vertreibungsvorgänge aufzuschreiben. Offensichtlich hatte die existenzielle Krise, in die ihn die Verleumdungskampagne stürzte, seine Kraft derart aufgezehrt, so dass ihm die Energie fehlte, sich durch Schreiben von dem erlittenen Trauma zu befreien. Einfach zu viel für einen, der sich in der DDR um die Pflege der Altertumswissenschaft, um den Fortbestand seines Fache bemüht hatte. Seine erschütternde Enttäuschung von unterlegenen Gegenspielern ließ ihn den Weg des Rückzugs wählen und nicht z.B. das Arbeitsgericht anrufen.

Diese persönliche Einschätzung soll auf keinen Fall die Bedeutung die akribische Arbeit des Autors herunterspielen. Zum einen sind die unrechtmäßigen Vertreibungen ostdeutscher Intellektuellen viel zu wenig bekannt, und zum anderen verlangen die entsprechenden ‚Vorkommnisse‘ eine wissenschaftliche Aufarbeitung, wozu solche biografisch bestimmten Arbeiten eine unabdingbare Quellenbasis bilden.
Überdies muss man neidlos anerkennen, dass Jahns gründlich recherchiertes Werk etwas bewirkt hat: Prof. Dr. habil. Wolfgang Kirsch ist rehabilitiert: Sein Porträt-Foto ist in die sogenannte Ahnengalerie der Martin-Luther-Universität aufgenommen worden. Leider erst nach seinem Tod – aber immerhin.

Vergleiche, die zum Himmel stinken II

2017 13. April
von Martin Löschmann

Ja, die Überschrift gibt es bereits in diesem Blog und muss doch noch einmal herhalten für einen aktuellen verantwortungs-, respekt- und würdelosen Vergleich. Im ersten Beitrag zu stinkenden Nazivergleichen – einem Neologismus der 80er Jahre – ging es um Hillary Clintons Gleichsetzung von Hitler mit Putin in einer ihrer Wahlreden. Mein Fazit dort: Kein Aufschrei der westlichen Welt, ist ja nur Putin, mit dem man es machen kann. Keinen Respekt vor einem Land und seinem Repräsentanten, obwohl es ganz wesentlich dazu beitragen hat, das Nazi-Regime unter Millionen von Opfern zu zerschlagen. Welch ein Zynismus der mit Recht untergegangenen Wahlkämpferin! Zu welchem Preis ist natürlich eine ganz andere Frage.
Nun kommt der Erdogan daher und übersät Deutschland mit eben solchen Vergleichen, die nicht weniger zum Himmel stinken. Mit Recht wehrt sich die sogenannte westliche Welt gegen seine Nazi-Vergleiche, seien sie auf Deutschland oder Holland bezogen. Fraglos, Erdogan betreibt mit seinen Nazivorwürfen ein schmutziges würdeloses Geschäft. Extrem, äußerst extrem, was sich dieser türkische Präsident – sich selbst entlarvend – erlaubt. Da gibt es kein Wenn und Aber, das darf man einfach nicht hinnehmen.
Offensichtlich ist das auch die Meinung des F.A.Z. Artikels vom 7. März 2017 „Erdogans Nazi-Vergleich ‚absurd‘ und ‚deplatziert‘“. Ich gestehe, dass ich selten die Frankfurter Allgemeine lese. Aber am 22. 03. 2017 stoße ich mehr oder weniger zufällig auf eine Leserzuschrift von Hans-Jürgen Georgi, Berlin: „In den Spiegel schauen“, in dem er – offensichtlich eine generelle Einordnung derartiger Vergleiche vermissend – schreibt: „Es hat viel Heuchlerisches, wenn sich unisono die deutschen Politiker und die ganze Presse darüber erregen, dass der türkische Präsident das adaptiert, was in Deutschland tagtäglich passiert: die politisch Unliebsamen als Nazis zu bezeichnen.“
Diese Leserzuschrift wurde mir erneut zum Schreibanlass in dieser Sache, spät, aber sicherlich nicht zu spät, denn man kann getrost davon ausgehen, dass diese Vergleiche in absehbarer Zeit nicht aufhören werden. Sie sind über die Jahrzehnte einfach in der Politik, aber auch in vorwiegend rechts orientierte historische Betrachtungen gekommen und derart eingeschliffen, dass, wenn womöglich nichts mehr zieht, zu dieser scheinbar probaten Keule gegriffen wird, um den politischen Gegner zu diffamieren. Nazivergleich schaffen immer Aufmerksamkeit, ganz gleich, wo immer die Nazi-Karte gespielt wird.
Neo-Nazis, die sich zum faschistischen System bekennen, müssen selbstverständlich als solche bezeichnet und bekämpft werden. Das versteht sich.

Meine Güte, wie oft habe ich nicht von bundesrepublikanischen Größen beleidigende Nazi-Vergleiche in Bezug auf die DDR lesen müssen. Im Kalten Krieg war die Gleichsetzungen des „real-existierenden Sozialismus“ mit dem NS-Staat ein weit verbreitetes antikommunistisches Propagandamittel der politischen Rechten in der westlichen Welt, gewissermaßen ein entscheidendes Totschlagargument gegen die DDR. Umgekehrt scheute sich die DDR nicht, sich gegenüber der Bundesrepublik dieser propagandistischen Keule ebenfalls zu bedienen. Man müsse sich gegen den Faschismus durch eine Mauer schützen und einen antifaschistischen Wall errichten. Was für eine plumpe Verdrehung der wahren Gründe. Ich gebe zu, dieser unseligen DDR-Propaganda erst kurz vor der Wende öffentlich energisch entgegengetreten zu sein, obwohl ich seit meiner Oberschulzeit vehement gegen derartige Vergleiche, in welcher Form sie sich auch zeigten, aufgetreten bin. Mein Antrieb dabei: Man darf dieses verbrecherische System der Nazis nicht relativieren und damit enthistorisieren, ihm das Merkmal des verbrecherisch Einmaligen nehmen. Deshalb hilft es überhaupt nicht weiter, wenn man sich durch Erdogan provozieren lässt, ihn nunmehr selbst mit Hitler und seinem Ermächtigungsgesetz in Verbindung bringt.
Überdies weisen Erdogans abwegige abstruse Schmähungen auf eine Gefahr der Gewöhnung an solche Nazi-Vergleiche hin – nach dem Motto: Man gewöhnt sich an allem, auch an den Dativ. Was dieser erste Mann der Türkei von sich gibt, ist so abwegig, dass es wirkungslos bleibt. Muss uns also nicht sonderlich interessieren. Doch es wäre verheerend, wenn dergestalt die Misse-, Schand-, Gräueltaten, die Verbrechen der Nazis obendrein noch verharmlost würden.

Nach der Beerdigung von Dr. Hans-Georg Jank

2017 6. Februar
von Martin Löschmann

Den eignen Tod, den stirbt man nur,
doch mit dem Tod der andern muss man leben.

(Mascha Kaléko)

Es gibt unterschiedliche Erzählungen vor und nach Beerdigungen. Die Bestattung unseres Freundes und Kollegen Dr. Georg Jank an einem kalten, aber sonnigen Tag im Januar vor einer Woche hallt noch nach. Sie ist eher eine Erzählung des DANACH. Ach, schreib doch ein paar Worte des Gedenkens und der Erinnerung, höre ich eine Stimme oder war es gar die eigene?

In der Trauerrede des Enkels, der wie sein Vater, dem ältesten Sohn von Schorsch, so wurde er genannt, Arzt geworden ist, wird liebevoll nachgezeichnet, wie wichtig die Familie für den Verstorbenen war. Die Arbeit ist wichtig, entscheidend, wirklich wichtig ist die Familie, hat er dem Sinne nach nicht nur einmal gesagt. Die literarisch oft gestaltete Enkelperspektive ist gegeben: der Großvater mit seinen Erzählungen in der Familie. In der Tat Schorsch zeigte sich, wo auch immer wir zusammen waren, stolz auf seine Familie, die auch zu bewundern ist: zwei Söhne, 6 Enkel, bis 9 Urenkel bis dato, und natürlich nicht zu vergessen die hinterbliebene Ehefrau Inge, Mutter, Großmutter und Urgroßmutter, die sich in diesem Blog mit einem Beitrag Wie war das damals eigentlich? eingeschrieben hat. Unter der Trauergemeinde ein Urenkel, erst wenige Monate alt, symbolträchtig, das Leben geht weiter. Und so ganz nebenbei die Frage, welches Bild wird er von seinem Urgroßvater aufbauen und mit sich tragen. Oder wird ihm der zu Grabe Getragene schon in weiter Ferne erscheinen und irgendwie fremd bleiben. In dieser Familie kaum denkbar, aber wer weiß das so genau? Was können wir wissen? Aber ich denke schon, der Janksche Familiensinn wird sich weitertragen. Die Tradition ist da, und wir haben sie sogar in unserem literarischen Lesebuch Einander verstehen (Peter Lang in New York 1997 erschienen), durch das Schwarz-Weiß-Foto Familie Jank um 1870 dokumentiert. Für die Rubrik Generationen in diesem Lesebuch brauchten wir genau so ein Familienbild. Und Hans-Georg wusste Rat und stellte uns das besagte Foto zur Verfügung.

Gewiss, die Zukunft ist ungewiss. Was wir indes unwiderruflich wissen, hier wurde ein Mensch zur letzten Ruhe gebettet, dessen Leben sich vollendet hatte. Mit fast 90 Jahren kann man das getrost und zum Troste der Familienangehörigen sagen. Dennoch, wenn ein Mensch für immer geht, ist es schrecklich, ein Verlust, ein Riss in der Familie. Auf einmal ist da eine Lücke, eine Leere, die bleibt. Aus der Zweisamkeit mit seiner Ingeburg wird Einsamkeit, die durch die Söhne, Schwiegertöchter, Enkel, Urenkel, auch Freundinnen und Freunde aufgefangen, gemildert, aber nicht aus der Welt geschafft werden kann. Denn der Tod ist unwiderruflich. Bei Hemingway in Death in the Afternoon lesen wir: „Madame, alle Geschichten enden, wenn man sie weit genug erzählt, mit dem Tod, und der ist kein echter Geschichtenerzähler, der Ihnen, das vorenthält.“
Die Geschichte Dr. Hans-Georg Jank hat sich zu Ende erzählt. Jedoch, er hat Erzählungen hinterlassen, die noch lange im Gedächtnis haften bleiben werden. Nach dem Ende des Krieges beginnt die Ausbildung als Neulehrer, die ich in den Unerhörten Erinnerungen eines Sonstigen beschrieben habe, weil nicht wenige Neulehrerinnen und -lehrer ihren Arbeitsplatz später am Herder-Institut fanden. Seinen Namen hatte ich nicht erwähnt, obwohl er genau in diesen Passus gepasst hätte. „Wie sehr diese Neulehrerbewegung ein Kind der Nachkriegszeit und zeitlich begrenzt war“, so schrieb ich, „wurde mir so recht deutlich, als ich erst vor kurzem auf die klare Bestimmung stieß, dass diese Neulehrer, die kurz nach dem Krieg im Eilverfahren ausgebildet worden waren, bis 1954 eine dreijährige Lehrerausbildung erfolgreich bestanden haben mussten, anderenfalls wurden sie entlassen.“ Die Gewinnung und Ausbildung von Neulehrern sowie die besondere Förderung der Arbeiter- und Bauernkinder gehören für mich zu den nicht wegzudiskutierenden Leistungen des Landes, in dem sich sein Arbeitsleben erfüllte.

Mit der sprachlichen und fachlichen Vorbereitung ausländischer Studierender am Herder-Institut der Karl-Marx-Universität Leipzig stand der einstige Neulehrer und Chemielehrer vor Neuland, das nicht nur in der täglichen praktischen Arbeit, sondern auch wissenschaftlich beackert werden musste. Einmal die Notwendigkeit erkannt, packte er die wissenschaftliche Arbeit mit voller Kraft an und ließ sich nicht aufhalten. Es traf sich dabei sicherlich gut, dass seine Frau Ingeburg, die einige Jahre nach ihm ans Institut kam, am gleichen Strang zog und beide sich neben anderen den Mühen einer Promotion unterzogen, die dazu beitrug, die spezifische Ausbildung zu grundieren, die in der fachsprachlichen Vorbereitung der Studierenden auf ein Studium bestand. „Zur Erhöhung der Qualität des Chemieunterrichts bei ausländischen Studienbewerbern unter Berücksichtigung des polytechnischen Aspekts“, so lautet der Titel seiner Dissertationsschrift. Anhand der Ammoniak-Synthese erklärte er uns Nichtfachleuten leidenschaftlich seine gewonnenen Erkenntnisse. Mit Fug und Recht kann festgehalten werden: Die Qualifizierung der fachsprachlichen Ausbildung im Laufe der Jahre gehört auch zu den bleibenden Verdiensten des Herder-Instituts. Nicht von Ungefähr, unter den wenigen Trauergästen vom Herder-Institut – es sind ja viele vor Schorsch gegangen: Renate Riedel, die ehemalige Fachgruppenleiterin für medizinisch – biologische Fachrichtungen, und Dr. Manfred Pudszuhn, der nach der Wende ein Buch Fachunterricht versus Sprachunterricht zum Thema Fachsprachenunterricht am Herder-Institut vorgelegt hat. Sie alle, ich meine die Fach- und Fachsprachenlehrer, und Schorsch unter ihnen, mussten zudem ein aufwändiges Zusatzstudium am Herder-Institut absolvieren, auf dass sie ihre Lehraufgaben qualifiziert erfüllen konnten. Hans-Georg hatte bestimmt Freude am philologisch ausgerichteten Zusatzstudium. Knifflige Sprachanwendungsbeispiele gab er jedenfalls gern zum Besten: Na, wann heißt es derselbe/dieselbe/dasselbe und wann der gleiche, die gleiche, das gleiche …?
Als nach der Wende sich ein gewisser Kollege Scholz, Helmut Scholz, darüber beklagte, dass man ihn gewissermaßen gezwungen habe, die Leitung des Lehrbuches für den Fachsprachunterricht Chemie aufzugeben, wurde ihm u.a. entgegengehalten, wäre nicht das Ehepaar Drs. Inge und Hans-Georg Jank, inzwischen erfahrene Lehrbuchautoren, zu dieser Zeit im Ausland gewesen, hätten auf jeden Fall sie die Leitung übernommen. Sie waren nun mal höher qualifiziert. Das galt auch für Dr. Schaar, der in der Tat im Gegensatz zu dem besagten Scholz die Promotion vorweisen konnte und Leiter des Lehrbuchkollektivs wurde. Scholz hatte die Chance zu promovieren wie viele andere am Institut, hat sie aber nicht genutzt – aus welchen Gründen auch immer.
Als Macher, wie man heute sagen würde, fühlte Schorsch sich bei den Auslandseinsätzen besonders wohl, ob es in Angola, Ungarn oder Portugal war. Die Wende überraschte die Janks in Lissabon. Was für eine Geschichte, die sie uns erzählten, als wir wenige Jahre später unseren Urlaub in Portugal mit den Beiden verbrachten. Die Diplomaten hatten sich wohl schon aus dem Staube gemacht, nur der Hausmeister und die beiden Sprachlektoren waren noch da und die mussten gewissermaßen als Letzte das Licht in der Botschaft ausmachen, konkreter formuliert: die DDR-Fahne einziehen. Wie oft haben wir gesagt, Mensch, Schorsch, schreib das doch auf! Wir haben immer angenommen, er führe sein Tagebuch.

Darin hätten bestimmt sein gesellschaftliches Wirken als Vorsitzender unserer Gewerkschaftsorganisation, das neben seiner fachlichen Arbeit und zeitlich begrenzt im Rahmen des Möglichen erfolgte, und sein Engagement als Leiter der kommerziellen Ausbildung am Herder-Institut bestimmt Eingang gefunden. Letzteres eine schwierige Aufgabe. Auf der einen Seite sollte mit der sprachlichen und fachlichen Vorbereitung ausländischer Studenten und Studentinnen Geld, was schreibe ich da, Valuta sollten verdient werden. Sie kamen zuhauf, stellten ihre Forderungen, wollten für ihre ‚Dollars‘ entsprechend gute Lebensbedingungen haben, die in der DDR nicht in jedem Fall auf Anhieb geboten werden konnten. Es war nicht der Unterricht, der sie gelegentlich protestieren ließ, sondern eben die ‚äußeren Umstände‘. Doch Dr. Hans Georg Jank stürzte sich geradezu auf die neue Herausforderung, kniete sich in die für alle am Institut neue Aufgabe, verlor auch bei den lybischen Studierenden nicht seinen Optimismus, sein positives Denken und meisterte die brisante Leitungsaufgabe nicht zuletzt dank seiner Leitungserfahrungen im In- und Ausland und auch als Gewerkschaftsboss mit Bravour.

Wir waren, wir sind Dr. Hans-Georg Jank für immer, was in unserem Fall heißt: bis zu unserem Tode verbunden.

Apropos Weltfrieden

2017 3. Januar
von Martin Löschmann

voelkischer-beobachterEs muss in einer Sendung des Deutschlandfunks an irgendeinem Morgen im Dezember 2016 gewesen sein. Die normalen morgendlichen Routine-Handlungen verhindern konzentriertes Hinhören. Doch das da eine weibliche Stimme, womöglich eine Dichterin, aus der DDR kommend und sich 88 in Westberlin niederlassend, das Wort vom WELTFRIEDEN fallen lässt, das sie viel zu selten bis gar nicht höre, ließ mich aufhorchen.

Mein Gott, die Frau, Irina Liebmann (Google macht’s möglich!) hat Recht. Auch wenn man nichts von ihr weiß, wird klar, sie muss an einem Ort gelebt haben, wo das anders war, womöglich in einem Land, wo das Wort Weltfrieden in aller Munde war. Zwar offiziell zerredet, letztlich zur Phrase verkommen, es gab dennoch genügend Leute, die dieses Ideal, das ja beileibe keine Erfindung des Marxismus oder gar der sozialistischen Länder nach dem II: Weltkrieg ist, ernst nahmen und sich nicht schämten, es individuell unverbraucht in den Mund zu nehmen. Ich jedenfalls gehörte zu ihnen.
Gewiss erinnere ich mich durchaus an einzelne Stimmen, die das Ideal vom Weltfrieden, seltener des Philosophen Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ heraufbeschworen. Die amerikanische Schauspielerin Sandra Bullock z.B. muss in Miss Undercover gesagt haben: „Ich wünsche mir den Weltfrieden und eine gute Gesinnung für jedermann.“ Und ich will nicht unerwähnt lassen, dass mir Michael Wolffsohns, Historiker und Publizist, aufschlussreiches, zum Handeln aufforderndes Buch Zum Weltfrieden (dtv 2015) ein Jahr zuvor unter die Augen kam. „Wann fängt wer an, richtig zu denken und richtig zu handeln? Solange das nicht geschieht, ist der Weg zum Weltfrieden nicht einmal in Sicht.“

Allein im gefühlten öffentlichen Bewusstsein der letzten Jahre bei Weltfrieden eher Fehlanzeige. Selbst in Verlautbarungen der UNO scheint das Ideal eine Fehlstelle zu markieren. Frieden selbstverständlich kommt vor. Die Friedens-Botschaft des neuen Generalsekretärs Antonio Guterres an seinem ersten Arbeitstag lässt aufhorchen. Ich schaue die Weihnachts- und Neujahrspost durch, zum Teil über die landläufigen Medien gesendet, und was muss ich feststellen: In all den guten Wünschen kommen Weltfrieden und Frieden nicht vor. „Möge 2017 endlich im Nahen Osten Friede einziehen.“ „Möge endlich in Syrien, in der Ukraine der Friedensschluss durchgesetzt werden.“ Nichts dergleichen in der Post. Oh Schreck, oh Weh‘, auch ich habe das Wort Frieden nicht auf das Weihnachts- und Neujahrspapier gebracht. Das war mal anders oder etwa nicht?

In meinen Unerhörten Erinnerungen eines Sonstigen, vor nunmehr schon zwei Jahren im Engelsdorfer Verlag erschienen, deutet sich die eigene Ohnmacht gegenüber dem Friedensgedanken an, wenn es im letzten Kapitel, das eigentlich erst nach meinem Tode gelesen werden sollte und sich in Form einer, des Verfassers Bestattungsrede präsentiert, heißt es: „Indes, die alte-neue Welt hat für ihn den Frieden nicht näher gebracht, um es dem Ort angepasst versöhnlich auszudrücken. Sobald Nachrichten über Kriege im wohlbehüteten Haus eintrafen, in dem sie es sich gut gehen ließen, waren immer die Leiden der Kinder, die Opfer unter ihnen, zuerst in seinem Blick, riefen eigene Kriegserlebnisse hervor und zerstörten jedes Mal aufs Neue seine kindlich-romantische Vision vom Frieden auf der Welt. Vom Endpunkt wie vom hohen jugendlich geprägten Anspruch her betrachtet, hat sich somit sein Leben nicht erfüllt. Was ein professioneller Redner sicher nicht derart direkt ausgesprochen hätte.“

Angesichts der Kriege in der Welt, allen voran des nun mehr schon 4 Jahre dauernden Bürgerkrieges in Syrien scheinen wir uns, scheint sich die Welt an die furchtbaren Zerstörungen und Vernichtungen von Menschenleben gewöhnt zu haben und sich bestenfalls mit Waffenruhe, mit brüchigen Waffenstillstands-Bemühungen zufriedenzugeben. „Möge der ‚kleine‘ Waffenstillstand in Syrien halten“ (gemeint ist die am 30.12.2016 zwischen Russland, der Türkei und dem Iran ausgehandelte Waffenruhe für Syrien) – ein frommer Neujahrswunsch? Ja, vor den so dringend erforderlichen Friedensverhandlungen muss es einen Waffenstillstand geben, aber das Problem lässt sich mit der Frage umreißen: Sind wir vielleicht schon mit einer Waffenruhe zufrieden?

Sollten wir uns womöglich auf einen dreißigjährigen syrischen Krieg einstellen? Nein, so geht das doch nicht! Es muss endlich Schluss gemacht werden mit dem Krieg in Syrien und den Kriegen anderswo. Die betroffenen Völker und alle Völker, deren Regierungen nach außen vorgeben, den Frieden anzustreben, sich als erfolgreiche Krisenmanager und -managerin feiern lassen, sollten sich erheben, auf die Straße gehen, ihre Regierungen zwingen, in Syrien einen Friedenschluss herbeizuführen, wissend, ohne Kompromisse auf beiden, hier besser: auf allen am Krieg beteiligten Seiten wird es keinen Frieden geben. Ich weiß, das ist plakativ. Aber wie bringen wir es fertig, Jahr aus Jahr ein unzählige Kriegsopfer in der Welt hinzunehmen? Wieso lassen wir alle zu, dass der scheidende USA-Präsident, der weithin sichtbar gescheiterte Friedensnobelpreisträger, bis zum Ende seiner Amtszeit den Konflikt mit einer nicht zu unterschätzenden Kriegspartei unverantwortlich schürt, Russland als Hauptschuldigen für den Syrienkrieg ausmacht, Russland als Regionalmacht verspottet, geradezu verhöhnt, sich so über Russland mit reinen Händen stellend, als ob es z.B. Libyen nicht gäbe. Ein Land, das einst wie auch immer prosperierte und einzig und allein mit USA-Hilfe für sogenannte Oppositionsgruppierungen, vermeintliche Demokratievertreter, ganz ohne Russland, ins ‚Chaos‘ gestürzt wurde. Ein heute abgewetztes journalistisches Wort, das ich normalerweise nicht verwende, doch hier drängt es sich auf, weil das Elend, der Verfall dieses Landes hier nicht im Einzelnen beschrieben werden kann und auch nicht muss. Auch nicht die Ausweisung der 35 russischen Diplomaten aus den USA kurz vor Toresschluss, weil angeblich Hackerangriffe aus Russland erfolgten. Nur gut, dass Putin Obamas kläglichen Versuch, Russland in einen neuen kalten Krieg zu ziehen, ins Leere laufen ließ, und auf den erwarteten Gegenzug, die Ausweisung von USA-Diplomaten, verzichtete.

Meine Güte, wen willst du mit diesem nachweihnachtlichen Text erreichen? Und dann: Völker sollen sich erheben, auf die Straße gehen, um den Frieden in Syrien, Libyen, Gaza, im Irak und nicht zuletzt in der Ukraine ohne Anwendung von Gewalt zu erzwingen. Wo lebst du denn?!
Ich weiß, ich weiß, es wird nicht sein, aber als Gedankenexperiment für mich persönlich bedeutsam. Der Text wurde überdies durch das Bild Völkischer Beobachter von der österreichischen Künstlerin Doris Kraushaar angeregt. Es verarbeitet das Motiv der Taube auf eine überraschende Weise. Nicht Picassos Friedenstaube, sondern Magrittes Taube, die für die Künstlerin „Freiheit, Hoffnung und Zuversicht symbolisiert“. Gesehen habe ich es zwischen den Jahren in einer kleinen Ausstellung im Restaurant Der dritte Mann, gleich um die Ecke in der Kollwitzstraße im Prenzlauer Berg, wo wir wohnen.

Nachlese

2016 1. Dezember
von Martin Löschmann

Eigentlich hätte mir diese Publikation schon längst auffallen können, ja müssen, stellt sie doch mein nachwendisches Schicksal in einen von mir schmerzlich erlebten Zusammenhang. Die Rede ist von Arno Hechts (Hrsg.) Enttäuschte Hoffnungen. Autobiographische Berichte abgewickelter Wissenschaftler aus dem Osten Deutschlands. (verlag am park in der edition ost Ltd. Berlin 2007); ausführlich und treffend besprochen von Klaus Mylius in: Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät 95(2008), 17 3–178. Michael Thormann hat sie gefunden und mich dankenswerter Weise auf sie aufmerksam gemacht.

Nicht, dass ich nicht bemüht gewesen wäre, mich mit Veröffentlichungen zur „Verdrängung der Wissenschaftselite Ostdeutschlands“ zu beschäftigen bis hin zur Erarbeitung meiner eigenen Memoiren Unerhörte Erinnerungen eines Sonstigen (Engelsdorfer Verlag, 2015). Nachzulesen u. a. vor allem hier unter Verjagt mit keinem guten Grund. Allerdings war mein Schreibanlass das eigene Erleben, wobei meine Gedankengänge mitbestimmt wurden von den leicht beweisbaren Tatsachen, dass sich die Erinnerungsbestände in einem weithin sichtbaren Verallgemeinerungsraum bewegen. So konnte es gar nicht anders sein, als dass sich in meinem Erinnerungsband Namen wiederfinden, die in Enttäuschte Hoffnungen in voller Größe in Erscheinung treten. Bei mir wird nur kurz der Rostocker Mediziner Prof. Dr. Klinkmann erwähnt, „mit mehreren Ehrendoktorhüten und -professuren ausgestattet und in mehr als zwanzig internationalen wissenschaftlichen Gesellschaften tätig, Präsident der Welt- und europäischen Gesellschaft für künstliche Organe. Er musste wegen ‚schweren Fehlverhaltens‘ sein Amt als Klinikdirektor aufgeben. Derartige Beispiele gibt es bekanntlich viele, viele: die Leipziger Professoren Lommatzsch, Kiene, Arnold, die wie ich geklagt und erstinstanzlich gewonnen hatten usw. usf.“

Die aufmerksamen Lesenden – ich vermeide unglücklich den eingeschliffenen Begriff ‚der aufmerksame Leser‘ – merken natürlich sogleich, dass ich meinen Fall in eine illustre Gesellschaft einbinden will, soll heißen, in der ‚Säuberungsaktion‘ wurden ganz andere Kaliber von den ostdeutschen Universitäten verjagt. Neben den schon bei mir aufgeführten Professoren Siegfried Kiene, ehem. Direktor der Chirurgischen Klinik an der Karl-Marx-Universität, und Peter Lommatzsch, Prof. für Augenheilkunde und ehem. Klinikdirektor, ebenfalls an der KMU, sollen aus dem Sammelband nur der Herausgeber des besagten Bandes und ehemaliger Direktor des Instituts für Pathologie an der KMU und Vorsitzender der Gesellschaft für Pathologie der DDR sowie Gisela Jacobasch, Professorin für Biochemie der Charité, und Professor Reinhard Mocek, ehemaliger Dekan der Philosophischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, genannt werden. Das reicht wohl, um zu zeigen, dass Prof. Martin Löschmann vom Herder-Institut der Leipziger Universität beileibe kein Einzelfall war. Im Übrigen kann die vollständige Liste der Beiträger und Beiträgerinnen nachgelesen werden. Sie zeigt, dass es dem Herausgeber und den anderen Mitwirkenden darauf ankam nachzuweisen, dass „der wissenschaftliche Rang bei den ‚Evaluierungen‘ niemals auch nur die allergeringste Rolle gespielt“ hat. (Mylius, S. 174) So sehr dieses Anliegen auf der einen Seite hervorgehoben werden muss, weil dergestalt die Mär des nichtfachlichen Geeignetseins als Vertreibungsgrund Lügen gestraft wird, so wenig ist natürlich zu übersehen, dass eine derartige Auswahl womöglich das inhumane Vorgehen der Regierungsvertreter der Bundesrepublik gegenüber der DDR-Wissenschaftselite insofern relativieren, als unterschwellig mitklingen könnte, man hätte wenigstens die Koryphäen der jeweiligen Wissenschaftsbereiche schonen können, wenn nicht gar müssen. Freilich lässt sich das Unrecht im Angesicht bedeutender Persönlichkeiten besonders wirkungsvoll demonstrieren. Für mich war lange Zeit, abgesehen von meiner Wenigkeit, das Paradebeispiel, das auch in diesem Band, nicht jedoch in meiner Veröffentlichung gegeben wird: Thomaskantor Hans-Joachim Rotzsch, der aus dem Amt vertrieben wurde trotz aller Vertrauensbekundungen der Thomaner und ihrer Eltern. In Österreich wurde seine Kompetenz geschätzt: Er fand am Mozarteum in Salzburg als Gastprofessor für evangelische Kirchenmusik eine Anstellung. Aus Hechts Band erfahren wir weiteres: der Onkologe Stefan Tanneberger ging nach Bologna, der Molekularbiologe Charles Coutelle wie ich nach London, der Biotechnologe Reinhard Renneberg nach Hongkong.

Dass die Entfernung der DDR-Eliten beschlossene Sache war, macht dieses Buch einmal mehr deutlich. So musste der soeben erwähnte Charles Coutelle wie auch ich erfahren, dass keine Vertrauensbeweise halfen. Prof. Coutelle erhielt 1990 mehr als 90% Zustimmung in seinem Arbeitsbereich und musste trotzdem gehen. Bei mir waren es nicht ganz so viele Prozentpunkte, aber dennoch verfügte ich – wie es heute heißt – über ‚eine satte Mehrheit‘.
Aber solche demokratischen Vertrauensbekundungen zugunsten einer Wissenschaftlerin oder eines Wissenschaftlers wurden einfach von der jeweiligen Personalkommission ignoriert, deren widerwärtiges Auftreten mir gegenüber ich ja relativ ausführlich in meinen Erinnerungen schildere. Im Falle von G. Jacobasch scheint ihre Kommission vorerst den Vogel des Zynismus abgeschossen zu haben: Durch ihre „wissenschaftlichen Leistungen“ hätte sie „das internationale Ansehen der DDR erhöht“ und sei „deshalb nicht berufungsfähig“ (S. 94). Dümmer geht’s nimmer, besser: dummdreister geht’s nimmer. Wie habe ich mich darüber geärgert, mit welchen primitiven Verdächtigungen ich aus dem Sattel gehoben werden sollte und letztlich auch trotz arbeitsgerichtlicher Freisprechung gehoben wurde.
Anders als Prof. Lindenau (Herzchirurg), der bei ‚seiner‘ Personalkommission‘ feststellen musste, dass seine fachliche Arbeit, sein ärztlicher Lebensweg völlig unbeachtet blieben. Traun für wahr, die Personalkommissionen waren einzig und allein eingerichtet, um unter dem Vorwand der Überprüfung persönlicher Integrität, also der Sittlichkeit, des Wohlverhaltens, der Politiknähe bzw. Regimenähe, der Stasiverstrickung der Deliquenten im Schnellverfahren zu richten, d.h., sie von den Lehrstühlen zu vertreiben. Auch ich habe mich gefragt, was denn die Personalkommissionen überhaupt berechtigte, Urteile über ehemalige Kollegen und Kolleginnen zu fällen, die diese brotlos machten. Mit Rechtstaatlichkeit und Transparenz hatte dies nichts zu tun. Die Mitglieder der Personalkommissionen wurden durch relativ leicht durchschaubaren Zuruf zusammengestellt und offensichtlich praktisch nicht aufgehalten, in nicht wenigen Fällen Rufmord zu begehen.
Im Buch, um das es hier geht, werden auch Wissenschaftler aufgeführt, die sich nicht anders zu helfen wussten, als sich selbst zu töten. Ich greife hier nur zwei Beispiele auf: Prof. Heinz Köhler, ehemaliger Direktor im Universitätsklinikum Leipzig, und Prof. Gerhard Riege, in Jena zum Rektor der Friedrich-Schiller-Universität gewählt, diese Wahl allerdings von der vermeintlich zuständigen Behörde annulliert. (Vgl. Mylius, S.175)

Man kann dem Rezensenten (siehe Einleitungstext) nur zustimmen, wenn er sich „ein Lexikon der bei diesem Elitenwechsel tätig gewesenen Macher und ihrer Opfer“ wünscht, das nicht nur „für spätere Historikergenerationen eine verlässliche Materialsammlung bieten“ (S.176) könnte, sondern für jedermann sichtbar das im Zuge der Verwestlichung der ostdeutschen Universitäten begangene Unrecht und die Verletzung der Rechtsstaatlichkeit demonstrieren würde.
Diese ‚Macher‘, in einigen Fällen besser ‚die Mitmacher‘ kamen nicht nur aus dem Westen, sondern zu einem Großteil aus der DDR selbst. Ehemalige Kolleginnen und Kollegen, in den wenigsten Fällen Opfer der DDR-Zeit, wie einige aufgeführten Beispiele unmissverständlich zeigen, beteiligten sich in vielen Fällen aus leicht erkennbaren Gründen an der Hetzjagd. Neben dem sächsischen Wissenschaftsminister Prof. H.-J. Meyer, dem obersten Hexenjäger in Sachsen, dem Initiator der sog. Schwarzen Liste, der sowohl in meinem Memoiren (S. 224 f.) als auch im herderblog.net (Zugeordnet und eingeordnet und auf der Schwarzen Liste, Verjagt mit keinem guten Grund) ausführlich in seiner Treibjagd beschrieben ist, wird z.B. ein Prof. Hans-Albrecht Freye, ehemaliger Staatssekretär im Magdeburger Wissenschaftsministerium erwähnt (S.223), der zur DDR-Zeit mit dem Vaterländischen Verdienstorden ausgezeichnet worden war. Wenn es hier wie dort nicht schwarz auf weiß dastände, man würde es nicht glauben. Aber es ist die bezeugte Wahrheit. Wohin Hass, Rachsucht, Neid, Selbstgerechtigkeit, Geltungsdrang, Gier führen können, enthüllt die menschenverachtende Äußerung von Prof. Fritz Meißner, der „alle über 55 alten Professoren in die Wüste schicken“ wollte, weil sie „nur die Ausstrahlung einer Taschenlampe“ hätten. (Ebenda)

Frau Prof. G. Jacobasch führt das miese Verhalten einiger Kollegen auf „ihre charakterlichen Schwächen“ zurück (S.92) Das ist sicherlich generell nicht zu bestreiten, für mich war und ist dennoch die Charakterisierung als Vorteilsnehmer zielführender. Einen Menschen, der sich vordergründig um meinen Hinausschmiss verdient gemacht hat, führe ich deshalb unter der Überschrift Ein Vorteilsnehmer ist ein Vorteilsnehmer ist ein Vorteilsnehmer vor.
So sehr man mit den neuen Machthabern und den diese auf Kosten anderer unterstützenden Vorteilsnehmern ins Gericht gehen muss und so sehr eine Aufarbeitung des Unrechts, des Denunziantenklimas, der Rechtsverletzung und der Intransparenz im Zeitraum der Wende noch aussteht, einen Bezug zum Verhalten restaurativer Kräfte nach dem Ende des 2. Weltkrieges würde ich nicht herstellen wollen, wie es der Rezensent Mylius vorschlägt (vgl. 175). Keine Frage, dass in der Nachkriegszeit die Nazis weitgehend unbehelligt in ihren Ämtern, an den Universitäten blieben bzw. auf ihre Posten zurückkehrten. Indes was einst tabu war, pfeifen inzwischen die Spatzen von den Dächern der heutigen Bundesrepublik. Man kann es drehen und wenden, wie man will, die DDR hat dazu auch beigetragen. Doch der Vorwurf, mit den Nazis sei man wesentlich ‚freundlicher‘ ‚nachsichtiger‘ umgegangen als mit Wissenschaftlern in der DDR, die sich zu ihrem Staat loyal verhalten und ihn unterstützt haben, scheint mir in hohem Maße abwegig. Weil hier etwas verglichen wird, was nicht zu vergleichen ist, ganz abgesehen davon, dass sich die Bundesrepublik inzwischen gewandelt und ihre Vergangenheit in einem bestimmten Maße aufgearbeitet hat bzw. aufarbeitet.

Die „autobiographischen Berichte abgewickelter Wissenschaftler aus dem Osten Deutschlands“ bieten eine verallgemeinerungswürdige Grundlage für die längst fällige Aufarbeitung, abgesehen davon, dass sie sich interessant lesen.

Missverständnis Kurssprache

2016 11. September
von Martin Löschmann

Ich weiß nicht, ob es Thomas Chr. Dahme freuen wird, wenn ich bekenne, dass ich seine „Sprachschule“ bei Seminaren zur deutschen Fachsprache gern als Einstieg gewählt habe, selbstredend mit der Nennung seines Namens. Die Seminarteilnehmer und -teilnehmerinnen, Germanisten und Deutschlehrer z.B. in Russland, sollten das jeweilige Kompositum mit ‚Sprache‘ einsetzen. So wie es die erste Zeile vorgibt.

Sprachschule

Ich werde vernachlässigt, sagte die Aussprache.
Ich setze mich für andere ein, sagte die ……………………………………….
Ich bin gebildet, sagte die ………………………………………………………….
Wie bin ich feierlich, sagte die …………………………………………………..
Ich gebe ein Zeichen, sagte die …………………………………………………..
Nur wenige verstehen mich, sagte die …………………………………………
Ich werde mangelhaft beherrscht, sagte die …………………………………
Ich werde manchmal noch verweigert, sagte die……………………………
Nicht einmal mit mir können viele richtig umgehen, sagte die ……..

(Fürsprache, Hochsprache, Ansprache, Zeichensprache,
Fachsprache, Fremdsprache, Mitsprache, Umgangssprache)

Das Wort Kurssprache, in unserer Überschrift signalisiert, ist nicht dabei. Seltsam, warum fiel mir gerade Dahmes „Sprachschule“ ein, als ich vor ein paar Tagen Deutschlehrbücher für Integrationskurse durchblätterte und dabei rein zufällig auf eben diesen Begriff stieß: Kurssprache. Vielleicht weil ich stutzte und bestürzt war. Assoziationen gehen manchmal seltsame Wege… von Eulen zu Euler ist es nicht weit.
Klar, Kurssprache ist zunächst die Sprache in einem Kurs – Die Kurssprache ist Englisch, heißt, im Kurs/im Seminar etc. wird Englisch gesprochen, nicht die Muttersprache. Korrekte Bezeichnung. Doch diese Bedeutung ist in dem zur Hand genommenen Deutschlehrbuch nicht gemeint; denn in Integrationskursen ist die Unterrichtssprache zugleich Zielsprache, also Deutsch.

Kurssprache versteht sich in dem beschriebenen Kontext als Mittel der Unterrichts-, Arbeits- und Lernorganisation. Sie ist somit ein notwendiges Vehikel, sich über bestimmte Sachverhalte zu verständigen und Handlungsanweisungen zu formulieren. Im vorwiegend zielsprachlich geführten Unterricht sind Handlungsanweisungen, Erklärungen, metasprachliche Hinweise unabdingbar, die nicht direkt der Entwicklung von Fertigkeiten der alltäglichen Kommunikation dienen.

Aber dazu braucht man keine Kurssprache zu etablieren. Kurssprache als Teil des Lernwortschatzes aufzuführen, ist zumindest irreführend. Erst recht, wenn man z.B. in Schritte plus 1. Kursbuch + Arbeitsbuch. Niveau A1/1 (Ismaning: Hueber, 2013, S. 95) Wörter findet wie: Beispiel, ansehen, antworten, fragen, schreiben, spielen, zeigen, noch einmal. Was für ein Verwirrspiel! Diese Wörter sind doch eindeutig Wörter der Alltagssprache, gehören zum Grundwortschatz.

Eine Begriffsprägung wie die obige lenkt ab von der eigentlichen Zielstellung, der Vermittlung und Erarbeitung von Sprache als Kommunikationsmittel, als wesentliches Mittel der Integration von Flüchtlingen, Asylanten, Migranten. Das Kompositum Kurssprache kann da nur als abschreckendes Signal verstanden werden Oh Schreck, oh Weh! Man muss eine Kurssprache lernen! Ein aufgeweckter Lernender könnte sich fragen: wozu, wozu?

Meine Güte, da hat man sich sein Leben lang mit der kommunikativen Orientierung, dem communicative approach im Fremdsprachenunterricht beschäftigt und mitgeholfen, ihn im DaF-Unterricht durchzusetzen, und muss nun erleben, dass das Lernen einer Kurssprache als Bestandteil eines Lehr- und Arbeitsbuches eingeführt wird.

Mir scheint die Angabe einer Zielgröße Kurssprache in Deutschlehrbüchern ebenso problematisch wie die Aufnahme von fehlerhaften Texten in Deutschlehrbüchern. Jeder Deutschlehrer, jede Deutschlehrerin weiß, der Unterricht, das Lernen selbst erzeugt genügend Texte mit Fehlern, die man korrigieren muss bzw. von Mitlernenden korrigieren lassen kann. Im Lehr- und Arbeitsbuch sind solche Texte schlicht eine Vergeudung von Papier.

Kurzum in ‚Klarsprache‘: Sprachkurse bedürfen keiner Kurssprache.

Was mir Island erzählt

2016 8. August
von Martin Löschmann

SplendidaGernot1
Ein Junge, vielleicht 10, 11 Jahre, sitzt neben mir in einem mächtigen Jeep mit noch nie gesehenen breiten Rädern, der uns in die prächtig karge Vulkangebirgslandschaft um Reykjavik bringt, fragt mich, warum ich Island besuche. Ich mochte nicht flachsen, obwohl einiges dafür sprach, denn einen zwingenden Grund gab es nicht. Etwa so: Fehlt mir noch in meiner Sammlung. Der Hinweis auf meine „Unerhörten Erinnerungen eines Sonstigen“ in denen ich von der Erfüllung meines Zieles berichte, 50 Länder zu bereisen, und Island nicht darunter, schien mir indes schon gar nicht passend. Inzwischen sind es fast 60 geworden. Ich sage ihm, es war der Wunsch, endlich dieses Extremland mit seinen Vulkanen, die Vulkaninsel mit den Geysiren, Gletschern, den Geothermieanlagen kennenzulernen, und meine Bewunderung für dieses kleine Land, nicht klein mit Blick auf die Fläche, denn die entspricht in etwa der der ehemaligen der DDR, wohl aber von der Bevölkerungszahl her: rund 330 000 Einwohner.
Vielleicht wollte ich mit meinen Angaben auch nur auf mein und sein Schulwissen zugreifen. Immerhin hatte er mir schon mitgeteilt, dass Island auf der Vulkanspalte des nordatlantischen Rückens, auf der Grenze zwischen zwei Kontinentalplatten liegt und sich pro Jahr um ca. 2 cm in Ost-West-Richtung ausdehnt. Ergebnis seiner Ringstraßen-Exkursion. Er war ungemein gebildet für sein Alter, schon weitgereist. Mich der Werbungssprache bedienend, hätte ich ihm auch sagen können, ich wollte endlich das Land aufsuchen, das „vom Golfstrom umarmt, von Thermalwasser erwärmt und von Vulkanen beheizt wird.“
Später fiel mir ein, ich hätte ausgefallener den isländischen Schriftsteller Halldor Laxness, 1955 mit dem Nobelpreis geehrt, als Grund angeben können. Seine Roman Atomstation, Islandglocke, Fischkonzert wurden in der DDR zuerst ins Deutsche übersetzt und geradezu verschlungen, nicht zuletzt, weil sie von einer fernen, exotischen, allerdings für DDR-Bewohner kaum zugänglichen Welt erzählten, in der die sozialen Probleme nicht ausgeblendet werden. Fast alle Romane, die ich einst Halldor_Laxness_gravestonegelesen hatte, spielten in Island, obwohl der Schriftsteller nicht in seinem Geburtsland festsaß, sondern viel unterwegs war – in Deutschland, Dänemark, Frankreich, Italien, Kanada, den USA.
Laxness war mir vertraut als Schriftsteller, leibhaftig war mir dagegen bisher nur ein Isländer begegnet, und zwar am Herder-Institut in Leipzig Anfang der siebziger Jahre: groß, blond, zurückhaltend, bedacht, bestrebt, die deutsche Sprache schnell zu erlernen. Seinen Namen habe ich vergessen, aber -son war da natürlich am Ende. Anders als wir es kennen, werden bekanntlich Vorname und Vatersname bzw. Muttersname zusammengesetzt: -son für Sohn, -dottir für Tochter. Der Name des bekannten Trainers der deutschen Handballnationalmannschaft Sigurðsson, der vorher die Berliner Handballmannschaft – die Füchse – an die Spitze geführt hatte, versteht sich als Sohn des Sigurðs. ‚Unseren‘ Isländer damals hatte es übrigens nicht in der ihm so völlig fremden, unruhigen Welt, im Menschengewühl der Großstadt, in der international zusammengesetzten impulsiven Lerngruppe, dem lärmigen Internat gehalten, nach ein paar Monaten fuhr er zurück in seine Welt, zu seiner Familie, von uns aus gesehen, in die Einsamkeit in eisiger Kälte. Nach 50 Jahren selbst in seinem Lande stellen sich verschiedene Begründungsargumente ein. Man bekommt selbst als Tourist mit, wie unmittelbar die Natur in das Alltagsleben der Isländer eingreift und Traditionen und Bräuche noch gelebt werden. Sagen, Elfen und Trolle sind fester Bestandteil der Kultur, bevölkern nicht nur die Souvenir-Läden. Umfragen belegen, der Glaube an die Existenz übernatürlicher Wesen ist im isländischen Volk noch weit verbreitet.
Wer Island mit Deutschland, Italien, Frankreich, England vergleichen und womöglich berühmte Gebäude sehen will, wird in Island enttäuscht. Ich hatte den Eindruck, Reykjavikdass es unserem schwäbischen Tischnachbarn auf der Splendida so erging. Häuser älter als 200 Jahre gibt es nicht, Bauernhäuser aus dem Mittelalter sind längst verfallen. Keine Frage, die karge Lava-Natur voller sehenswürdiger Überraschungen, Gletscher, Geysire, das Brodeln der HeißwasserquellenIslandlandschaft, die Wasserfälle, die Vielzahl und Vielgestalt der Basaltfiguren waren ihm und auch uns die Reise wert. Dennoch konnte ich nicht lassen, mein übriggebliebenes Wissen aus dem Germanistikstudium anzubringen: die überlieferten, zur Weltliteratur gehörenden Edda-Lieder über nordische Helden, Götter und Mythen aus vorgeschichtlicher Zeit und die Sagas vorwiegend über Personen, die tatschlich gelebt haben. In beiden ist die alte Geschichte Islands auf eine ganz spezifisch-literarische Art abgebildet. Wagner-Kenner wissen natürlich, dass seine Opern ohne den Einfluss besonders der Lieder-Edda schwer vorstellbar sind.
Erstaunlich, dass bei allen Exkursionen, die wir mitmachten, weder Laxness noch die Edda und Sagas eine Rolle spielten. Dass musste uns umso mehr auffallen, als Island ein durchaus literaturfreudiges Land ist. In allen Städten, die wir besuchten, gab es Buchhandlungen und öffentliche Bibliotheken. Mögen die Städte auch noch so klein gewesen sein, z.B. in Isafjördur mit seinen 2.602 Einwohnern.Buchladen Man stelle sich einmal vor, in diesem kleinen Land werden immer noch pro Jahr rund 1500 Bücher gedruckt.
Es hätten sich einige Bezugspunkte zu Laxness angeboten, z.B. als darauf hingewiesen wurde, dass die Einrichtung eines USA-Stützpunktes von Protesten begleitet war. Laxness gehörte damals zu den Protestierenden. Das kleine Land konnte und kann sich klugerweise keine eigenen Streitkräfte (außer dem Küstenschutz) leisten, deshalb hat es sich 1949 wohl in den Schutz der NATO begeben, für die Island strategisch wichtig ist. Nach Beendigung des kalten Krieges verließen die Amerikaner den Stützpunkt, betreiben jedoch ihre Naval Air Station mit verringertem Personal weiter in Keflavík westlich von Reykjavík. Für die Exkursionsleiterin zur Blauen Lagune, dem Thermalfreibad unweit von Reykjavik, ist nur wichtig, dass die USA wesentlich zur Verbesserung der Infrastruktur Islands beigetragen haben. Aber auch, was uns dann schon sehr interessierte, dass die amerikanischen Astronauten in den Kuhlen, Senken, Spalten, Löchern, auf den Kanten und Wülsten der Vulkanlandschaft ihr Mondlandefahrzeug ausprobierten. Ein Drittel der Lava, die die Erde bedeckt, befindet sich in Island.

Besonders stolz wird von den sogenannten ‚Kabeljaukriegen‘ gegen Großbritannien berichtet, die sich über einen Zeitraum von 1958 bis 76 hinzogen. Kabeljau ist der ‚goldene Brotfisch‘ für Island. Der besonders in Nordeuropa begehrte Fisch fühlt sich in den Gewässern um Island besonders wohl, lässt sich vom Golfstrom nordwärts treiben, laicht an seichten Meeresstellen in Küstennähe. Diesen lukrativen Segen sah Island in Gefahr und sicherte sich die existentiellen Fanggründe, indem die Exklusivzone von wenigen Meilen letztendlich auf 200 Seemeilen ausgedehnt werden konnte. Das große und mächtige Großbritannien musste klein beigeben. David setzt sich gegen Goliath durch, was ja nicht so oft vorkommt und immer großen Zuspruch erfährt. Dass 40 Jahre später die kampfstarken Isländer mit dem 2:1 die Eng-länder aus dem Turnier zur Fußballeuropameisterschaft in Frankreich schossen, musste das ganze Land ein weiteres Mal in Jubelstimmung versetzen. Reste davon konnten wir in Reykjavik noch bestaunen.
Ein bewunderungswürdiges Land, das sich da vor einem selbst bei einem touristisch-flüchtigen Besuch auftut. Ein Land bevölkerungsmäßig in der Dimension einer Stadt wie Mannheim schafft trotz aller Unbilden der Natur die siebte Stelle in der UNO-Liste der Ländern zu erklimmen, in denen es sich am besten lebt. Die Position mag auch erklären, dass Isländer, die es in die große weite Welt zieht, in den meisten Fällen irgendwann in ihr Heimatland zurückkehren. wenn sie eine entsprechende Arbeit finden. Und es gibt natürlich eine große Breite an Arbeitsmöglichkeiten, weil schließlich alle Funktionen einer arbeitsteiligen Gesellschaft von den wenigen Menschen ausgeübt werden müssen. Wie man sieht, gelingt es diesem kleinen Land, allen Erfordernissen einer modernen Gesellschaft zu entsprechen.

Reykjavikkirche1Ein Shuttle-Bus bringt uns von der Splendida zum neuen Konzerthaus in Reykjavik, Harpa genannt und erst vor 5 Jahren eingeweiht. Olafur Eliasson, Kind isländischer Eltern, entwarf die spektakuläre Fassade des Konzert
weithin sichtbaren Konzert- und Konferenzgebäudes.

Hallgrimskirche in Reykjavik

Eine doppelte Glasfassade mit komplex regelmäßiger Geometrie, rechte Winkel in der Vertikalität meidend. Eine rasante „Fassadenpartitur‘, in der sich mannigfach das Licht spiegelt und bricht, deren Glaselemente mit einem Spiel aus wechselnden Farben auf Tageslicht und Wetter reagieren. Man vergleicht unwillkürlich mit ähnlichen öffentlichen Gebäuden am Wasser, mit dem Opernhaus in Sydney, dem National Centre fort the Performing Arts in Peking an einem künstlichen See errichtet, mit der Finlandia-Halle, die wir alle in Augenschein genommen haben, zuletzt in Hamburg die noch unfertige Elbphilharmonie, und stellt fest, hier in Reykjavik ist etwas Eigenständiges entstanden, das mit Charakteristika des Landes zusammenhängt. Was für eine Leistung angesichts der das Land tief erschütternden Finanzkrise, die 2007 ausbrach und den aufwändigen Bau zwar um 3 Jahre verzögern, aber nicht verhindern konnte. Dieses kleine Land machte es möglich.Beton

Vor dem Rathaus in Reykjavik

Ein Nobelpreisträger machte das Land statistisch gesehen zu einem Land mit der höchsten Nobelpreisdichte. die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes, die Zahl der Schachgroßmeister, der Schwimmbäder, der Internetanschlüsse, der luxuriösen Geländewagen u.a.m. ließe sich ebenso öffentlichkeitswirksam hochrechnen. Pro-Kopf-Vergleiche sind beliebt, oft leicht ironisch gebrochen, aber letztlich ernst gemeint. Der Nationalstolz ist nicht zu übersehen. Isländer sind selbst anders als die Dänen, Norweger und Schweden.

Ein Isländer geht in Schweden zur Polizei: „Man hat mein Auto gestohlen“. Antwortet des Polizisten: „Nein, das haben wir abgeschleppt.“ Der Isländer widerspricht energisch: „Auf keinen Fall stand da ein Parkverbotsschild. „Mag sein, aber es stand da auch kein Schild: ‚Parken erlaubt‘“, erwiderte der Polizist.

Wieder zu Hause lese ich: „Finnland will 2017 das bedingungslose Grundeinkommen mit tausenden Probanden testen.“ Wäre für eine solche Erprobung Island als Gesamtstaat nicht ein lohnendes Experimentierfeld? Beste Voraussetzungen dafür schienen mir gegeben: hoher Bildungsstand, bemerkenswerte soziale Leistungen, gute medizinische Versorgung, neunzig Prozent der Frauen arbeiten, die höchste Geburtenrate neben Irland in Europa.
Ist dies ein mitteilenswertes Fazit unserer Islandreise oder wären es die Kuriosa gewesen, die unter folgender Adresse zu lesen sind?

Brüder werden gegeneinander kämpfen und sich den Tod bringen,
Schwesternsöhne werden die Verwandtschaft zerbrechen;
schlimm ist’s in der Welt, viel Ehebruch,
Axtzeit, Schwertzeit, gespaltene Schilde,
Windzeit, Wolfszeit, bis die Welt zugrunde geht;
kein Mann wird den andern schonen.
(aus der Lieder-Edda über den Weltuntergang Ragnarök, übersetzt von Arnulf Krause, zitiert nach „Gebrauchsanweisung für Island“ von Kristof Magnusson. E-Book bei Piper 2011)

Ganz persönliche Gedanken zum Brexit

2016 27. Juni
von Martin Löschmann

Ich werde gefragt, was ich als Experte denn von dem Brexit hielte.
Na, wohl kaum. Der sei ich eher nicht.
Wie auch immer: Auf jeden Fall kennst du England besser als ich

Ich muss gestehen, als vermeintlicher England-Experte habe ich kläglich versagt, denn ich war geradezu stoisch davon überzeugt: Great Britain will remain, schließlich habe ich wie einst Theodor Fontane erfahren, dass Engländer sehr gut rechnen können. Doch offensichtlich wurden sie da jetzt von den Schotten und den Nordirländern übertroffen. Ob die ‚älteren Brexitanhänger‘ und ‚die vom Lande‘ daran gedacht haben, dass Great Britain nun endlich doch auseinanderbrechen könnte?

Ich war ja in den 90er Jahren ein Nutznießer der EU im besten Sinne des Wortes, warum sollte ich den Brexit nicht bedauern? Im Übrigen bin ich der Meinung: Zur europäischen Union gibt es letztlich keine Alternative. Keine Frage ist: Es muss nicht diese, es darf nicht die heutige sein.

In meinen „Unerhörten Erinnerungen eines Sonstigen“ steht, wie ich nach der Wende nach Kingston upon Thames kam. Eben über ein EU-Projekt (Tempus) unter Federführung der Kingston University in London.

Wir schreiben das Jahr 92 und ich bin auf dem Wege in die Arbeitslosigkeit. Da kommt mir – eben noch an der Uni Leipzig – das Mitwirken an einem EU-Projekt „zur Förderung europäischer Kommunikationsfähigkeit“ zupass. Es hat konkret die Vermittlung und Aneignung der Fachsprache Medizin zum Ziel, weshalb sich das Projekt zuerst auf den Fachsprachenunterricht an der Uni Leipzig/Herder-Institut und an der Budapester Semmelweis-Universität konzentriert, ein Jahr später wurde die Medizinische Universität in Varna einbezogen.
Am Rande bemerkt: Was für eine Freude, als es in diesem Jahr (2016), also nach 18 Jahren, im Rahmen eines EU-Mobilitätsprojekts des IIK Ansbach ein Wiedersehen mit damaligen Mitstreiterinnen und Mitstreitern gab.
Sollte sich jemand für das alte Projekt interessieren, verweise ich auf die vom DAAD herausgegebenen Success Stories (Bonn 1992), in dem ich darüber berichtet habe.

Man mochte sich fragen, weshalb gerade die „School of Languages“ die Federführung seinerzeit bekam. Schon bei diesem Projekt zeigte sich nämlich eine Schwäche des EU-Managements, ein hoher bürokratischer Aufwand, den man erst einmal begreifen und bewältigen musste. Aber das ändert nichts am Segen des gemeinsamen Unternehmens für alle Beteiligten – auch für die Briten.

Die Schwäche bestand für mich damals darin, dass eine Institution die Federführung bekam, die mit dem fachlichen Gegenstand des Projekts anfänglich wenig zu tun hatte. Halt eine Aushandlung von Politmanagern.
Der berühmt gewordenen Kommission, die die grüne Gurke in Brüssel geradeziehen wollte, hätte man allerdings von vorneherein die Ohren langziehen müssen.
Doch von dieser Problematik abgesehen, die übrigens durch Verringerung, ich schreibe nicht durch Abschaffung der sich allmählich immer höher auftürmenden Bürokratie zu beseitigen sein sollte, handelte es sich wirklich um ein für alle Seiten ertragreiches Unternehmen. Wir haben gemeinsam etwas daraus gemacht. Und ich persönlich fand mich schließlich im Gefolge der Aktion über eine aufwändige Bewerbungstour als Reader an der Kingston University.

Kaum zu glauben, solche und andere Projekte unter Beteiligung des United Kingdom wird es wohl vorerst nicht mehr geben, wirklich schade.

Trotz meines Versagens als das Brexit-Votum voraussehender Experte bleibe ich dabei: ein Rückschritt, eine rückwärtsgewandte Entscheidung, keine Revolution, eine Rückkehr zum sich isolierenden Inselbewusstsein. Dass die ältere Generation und die vom Lande vor allem für den Ausstieg plädierten, macht für mich – einen alt gewordenen Deutschen und vom Lande Herkommenden – die Sache nicht besser. Ich kann mich mit ihnen nicht solidarisieren, denn sie haben aus meiner persönlichen Sicht die falsche Entscheidung getroffen. Aber das ist noch lange kein Grund, von Deutschland aus Altersdiskriminierung zu betreiben, wie sie deutsche Medien gegenwärtig veranstalten. Alte und Deppen vom Lande haben die rückwärtsgerichtete Entscheidung bewirkt. So schürt man einen Generationskonflikt im fremden Lande und verunglimpft die Leute vom Lande.

Wenn ich einerseits die älteren ‚Pro-Exiter und -Exiterinnen‘ nicht so recht verstehen kann, so kann ich natürlich nicht übersehen, dass auch sie wie Wähler vom Lande gute Gründe auf ihrer Seite haben, die nicht einfach übergangen werden können.

Der venezianische Botschafter Andrea Travisana schrieb 1497 „Sie glauben nicht, dass es andere Menschen als sie selbst oder eine andere Welt als England gibt. Wenn sie einen attraktiven Ausländer sehen, sagen sie, dass er wie ein Engländer aussehe, oder sie bedauern, dass er kein Engländer sei.“ (zitiert nach „Der Engländer an sich“ – http://www.sotscheck.net/leseproben/englandbuch.html)
Das kann man bis heute beobachten, wenn auch nicht durchgehend, aber doch hier und da und z.T. unterschwellig. Das einfach zu ignorieren und gar zu versuchen, Engländer zu disziplinieren und ihnen eine gerade Gurke als Maß aller im Königreich angebauten Gurken offerieren zu wollen, kann nicht klappen. Schon gar nicht dürfen dabei Deutsche das Sagen haben. Sie genießen ohnehin den Ruf, alles besser wissen und andere ständig zu ihrem „Ordnungssinn“ bekehren zu wollen. Dazu kommt, die ältere Generation hat nicht vergessen und kann nicht vergessen, dass einst Deutsche sie angegriffen, Bomben abgeworfen und Raketen auf ihr Land gerichtet hatten.
In Deutschland machte und macht man sich lustig über TV-Filme über den 2. Weltkrieg, die die Zeit von 35 bis 45 reflektieren und in denen die Deutschen schlecht bei wegkommen: Sie organisieren alles perfekt, sind gehorsam, und die schlauen Engländer legen sie mit einfachsten Finten herein. Ich weiß nicht, ob die Filme heute noch gespielt werden, aber im Bewusstsein der älteren Generation sind die damaligen Ereignisse auf jeden Fall wirksam. Ein Beleg dazu aus meinen Erinnerungen:

„Auf einer Party mit Mrs. Elvin werde ich einem relativ jungen Mann vorgestellt. Er fragt mich ziemlich unverblümt, auf keinen Fall trunken, in gutem Deutsch, ob ich einen älteren Bruder habe. Ich bejahe es und schon schießt es snobistisch giftig aus ihm heraus: „Dann war er bestimmt in der Naziarmee und hat gegen uns gekämpft.“ Verabschiedet sich, zitiert aus Löns martialischem Englandlied „wir fahren, denn wir fahren,/Denn wir fahren gegen Engeland, Engeland“ und verschwindet im Party-Getümmel. Der Krieg der Deutschen ist immer noch gegenwärtig, nicht nur im Film und Fernsehen.“

Unsere Kanzlerin blendet dies und anderes aus, sonnt sich in ihrer deutschen Willkommenskultur für Flüchtlinge. Oh, liebe Flüchtlinge, oh, kommet nur. Und sie kamen ja auch zuhauf (ohne Obergenze!). Als Deutschland aus den Kapazitätsnähten platzte, wurde die europäische Reißleine gezogen: Alle EU-Länder müssen Flüchtlinge aufnehmen, natürlich auch das Königreich. Doch wer mal in Great Britain war, weiß natürlich, dass dieser Staat unübersehbar bereits einen hohen Ausländeranteil hat, auch aus den EU-Ländern, gar nicht zu schreiben von dem Anteil mit ‚Migrationshintergrund‘. Wer wollte da nicht verstehen: Enough is enough, Brüssel. Eine Quittung geht bestimmt in diese Richtung, wenngleich auch Frau Merkel sie nicht wird akzeptieren wollen.