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Verjagt mit keinem guten Grund

2012 10. September
von Martin Löschmann

Auf dem Kreuzfahrtschiff Artana, das uns im Sommer dieses Jahres die norwegischen Fjorde bis hin zum Nordkap erschließt, werde ich, als wieder einmal die Wendezeit ins Gespräch einfließt, in gemütlicher Runde bei einer Flasche Rotwein in Freds Bar gefragt: „Warum bist du eigentlich damals entlassen worden?“ „Ganz einfach: Ich habe gegenGrundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit‘ verstoßen.“ „Soll das einer deiner üblen Witze sein?“ „Kein Scherz“, greife zum Ipad, das ich neuerdings meistens bei mir habe, und zitiere die Begründung aus dem ersten Entlassungsschreiben: „Sie denunzierten als Cheflektor des Herder-Instituts Leipzig einen Mitarbeiter mit der Folge, daß dieser von seinem Aufenthalt am Germanistischen Institut der Universität Helsinki vorzeitig aus politischen Gründen abberufen wurde. In Ihrer Funktion als Mitglied der Abteilungsparteiorganisationsleitung am Herder-Institut entzogen Sie einem seit 30 Jahren erfahrenen Mitautor von Lehrbüchern die Leitung des Autorenkollektivs zugunsten eines Arbeitsparteiorganisationssekretär, der keinerlei Lehrbucherfahrung besaß. Sie mißbrauchten so Ihr Amt als Cheflektor aus rein parteipolitischen Gründen.“ „Gab es bei euch einen Arbeitsparteiorganisationssekretär?“ „Nein, diese Funktionsbezeichnung existierte auch am Herder-Institut nicht.“ Sie ist aber erster Hinweis darauf, wie schlampig gearbeitet wurde. Aber es kommt ja noch krauser: Ein Mitglied einer ‚Parteilabteilungsleitung‘ soll einem Mitarbeiter etwas entzogen haben. Das ging nun wirklich nicht in einer derart hierarchisch organisierten Partei, wie es die SED war. Machen wir es kurz: Der Text, vom Staatssekretär Noack unterschrieben, konnte nur von einem ahnungslosen Mitarbeiter aus der Bundesrepublik verfasst worden sein, der intellektuell überfordert, oder ideologisch fehlgeleitet oder nur einfach unmenschlich faul war. Aus meinen Unterlagen war doch zu ersehen, dass es am H.-I. keinen Cheflektor gab, ich folglich dort mein „Amt als Cheflektor gar nicht missbrauchen“ konnte. Cheflektor war ich nur zwei Jahre am DDR-Kulturzentrum in Finnland, eine Amtsbezeichnung, die direkt über das Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen vergeben wurde und einem Lektor innerhalb einer Lektorengruppe koordinierende Aufgaben übertrug. „Aber interessiert euch das überhaupt?“Doch, doch, sonst hätten wir ja nicht danach gefragt.“ „Also gut, aber ich warne euch, ich muss da ein wenig ausholen.“ Das Entlassungsschreiben basierte auf der Zuarbeit der sogenannten Ehrenkommission, die unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Ulla Fix stand, einer Linguistin. Vor diese Kommission wurde ich geladen, weil Anwürfe mir gegenüber vorlagen. Sie wurden mir aber nicht, wie es die „Arbeitsordnung für Personalkommissionen“ des sächsischen Staatsministers Herrn Meyer vorsah, nicht vor der Sitzung mitgeteilt, sondern erst in der Veranstaltung unterbreitet. Aber gut, darüber kann ich heute hinwegsehen. „Also nun mal konkret.!“ „Wird gemacht, um euch nicht zu langweilen, konzentriere ich mich hier auf die im Entlassungsschreiben angesprochenen ‚Fälle‘. Der erste Fall bezog sich auf Herrn Dr. Horst Weber und lag 16 Jahre zurück und betraf unseren Finnland-Aufenthalt von 1969 bis Anfang 1973. Während Dr. Horst Weber am renommierten Germanistischen Institut der Universität Helsinki unter dem Institutsdirektor Prof. Kaj B. Lindgren arbeitete, war ich als Leiter des Deutschlektorats beim DDR-Kulturzentrum ab dem zweiten Jahr meines Auslandseinsatzes als Cheflektor tätig. Das Ansehen, das das Germanistische Institut in Helsinki hatte, fiel gewissermaßen auf Herrn Dr. Weber zurück. Er war als Lektor anerkannt und von Lindgren hoch geschätzt, was unter den Lektoren und Lektorinnen auch von mir nicht in Frage gestellt wurde. Er kam vom Germanistischen Institut in Leipzig, wir beide hatten so gut wie keine Berührungspunkte – weder dienstlich noch privat; und was behauptete er, ich habe als damaliger Cheflektor dafür gesorgt, dass er vorzeitig Finnland verlassen musste. Eigentlich beschämend für ihn, dass ihm nichts Besseres eingefallen war. Normalerweise war ein Lektoren-Auslandseinsatz im ‘nichtsozialistischen Ausland‘ auf drei Jahre begrenzt. Selbstverständlich konnte es vorkommen, dass ein weiteres Jahr genehmigt wurde, z.B. wenn der Partner es ausdrücklich wünschte, sicherlich konnte in raren Ausnahmefällen noch ein fünftes Jahr hinzukommen, aber dann war Schluss. Aber dieser Weber kehrte nach sechs Jahren zurück (sic!), was sogar vom Kommissionsmitglied Dr. Johannes Wenzel bestätigt wurde, allerdings erst als ich ihn direkt angesprochen hatte. Gewissermaßen als Autoritätsbeweis lieferte ich noch nach: Familie Löschmann kehrte nach genau 3 Jahren 5 Monaten zurück und wäre gern länger geblieben. Könnt ihr euch mein Entsetzen vorstellen, als ich die dummdreiste Beschuldigung im Entlassungsschreiben wiederfinde?“ Der zweite‘ Fall‘ bezog sich auf Kollegen Dr. Dieter Schaar, ein ehemaliger Doktorand, den ich angeblich als Leiter eines Autorenkollektivs einsetzte, obwohl er „keinerlei Lehrbucherfahrung“ besessen hätte. Wer was von Lehrbucherarbeitung versteht, wird wissen, dass Lehrbucherfahrung nicht das einzige Kriterium für die Wahl des Leiters eines Lehrbuchautorenteams sein kann, doch Schaar verfügte auch über diese. Dr. Dieter Schaar (sein Doktortitel wird in dem Schreiben nicht aufgeführt! ) hatte zu dieser Zeit zusammen mit seinem Kollegen Leander Frank bereits ein Lehr- und Lernmaterial für das postgraduale Studium erarbeitet und wie man sich hätte leicht überzeugen können, ist damit auch erfolgreich gearbeitet worden. Da ich mich nicht erinnern konnte, je in die Personalpolitik der Abteilung Erziehung und Ausbildung, zu der Herr Scholz gehörte, eingegriffen zu haben, habe ich in der Kommission nachgefragt, worauf er seine Behauptung gründe. Seine Präzisierung: Herr Schaar (ebenfalls Chemielehrer wie Herr Scholz) habe ihm mitgeteilt, „dass Löschmann der Meinung gewesen sei, dass er das Amt abgeben solle. Später entblödet man sich nicht, Herrn Scholzens Begründung aufzugreifen. Er habe „der beabsichtigten Maßnahme der Parteileitung zuvorkommen“ wollen. „Könnt ihr folgen?“ Oberlehrer Scholz legt das Amt, übrigens in einem Nebenjob, nieder, weil ein entsprechender Beschluss der Parteileitung zu erwarten gewesen wäre. Ich bestritt in der Kommission nicht, dass ich Dieter Schaars berechtigter Leitungsanspruch kannte und ihn ermuntert habe, ihn in E/A anzumelden, schließlich hatte er bei mir erfolgreich auf dem Gebiet des Fachsprachenunterrichts promoviert. Überdies: Wie könne ich dafür verantwortlich gemacht werden, was andere von mir sagen, und ich erinnere daran, dass er, Herr Scholz, wie andere kompetente Lehrer auch, geradezu umworben wurde, eine Doktorarbeit in Angriff zu nehmen, er aber immer konsequent abgelehnt habe und er in den letzten Jahren kaum mit Erfahrungsberichte, geschweige denn wissenschaftlichen Untersuchungen in Erscheinung getreten sei. In einem umfänglichen Rechtfertigungsschreiben (11 Seiten!) spielt Herr Scholz auf eine ominöse Kollektivdissertation an, an der er sich beteiligen wollte. Eine solche Dissertation ist am Herder-Institut nie geschrieben worden, sie war ohnehin in Professorenkreisen generell mehr als strittig. Ganz klar, dieser Herr Scholz hat sich den Mühen, eine Dissertation zu schreiben, entzogen und möchte seinen Verzicht aus welchen Gründen auch immer politisch begründen. Dabei wäre er nicht an Leipzig gebunden gewesen, sondern hätte die Möglichkeit gehabt, an die Technische Universität in Dresden zu gehen. Er hätte einfach nur begreifen müssen, dass ein promovierter Fachmann gegenüber einem nichtpromovierten bei der Besetzung von Leitungsfunktionen an einer Hochschule in der Regel größere Chancen habe. Ich verweise auf den parteilosen Mathematiklehrer Walter Burska, der sich nach mehreren Gesprächen zur Promotion bereit erklärte und sie bei Prof. Harald Hellmich erfolgreich abschloss.“ Im Übrigen hätte Herr Scholz ohnehin nicht die Chance zur Lehrbuchleitung bekommen, auch nicht Dr. Schaar, wenn nicht das Ehepaar Dr. Inge und Dr. Georg Jank zu dieser Zeit im Ausland gewesen wären, nicht weil sie SED-Angehörige waren, sondern weil sie als Chemielehrer zumindest ebenso erfahren wie Scholz und obendrein höher qualifiziert waren. Wie hatte es der neue Rektor der Leipziger Universität Cornelius Weiss formuliert: „Wer unbewiesene Verdächtigungen ausstreut oder weiterträgt, übt nicht nur Rufmorde aus, er schadet dem Gemeinwohl.“ (LVZ v. 7.2.92) Ich hätte es nach meinen Erfahrungen mit der Ehrenkommission populärer formuliert: Der schlimmste Lump im ganzen Land ist und bleibt der Denunziant. Bis heute kann ich mir nicht erklären, wie man derartiges Zeug, diese mich unterfordernden und leicht zu widerlegenden Anschuldigungen nach Dresden weiterreichen konnte. Welches Motiv sollte ich für meine ‚Untaten’ gehabt haben? Ich, ein böser Mensch an sich, die Inkarnation des Bösen? Man hat versucht manche der zum Himmel schreienden Ungereimtheiten in den Ehrenkommissionen damit zu erklären, dass sie überfordert waren. Das waren sie auf jeden Fall und in meinem todsicher, dennoch kann ihre nachweisbare Überforderung nicht die Verbreitung der Unwahrheit begründen. Plausibler ist da schon das in Krisenzeiten zu beobachtende Verhalten einiger, sich auf Kosten eines anderen zu profilieren, von sich abzulenken, seine Schäflein ins Trockene zu bringen. Golo Mann reiht solche Menschen ein in die Phalanx derer, „die es bisher mit der alten Ordnung gehalten haben – und sich unter Vorteilsnahme und zum Nachteil von anderen anschicken, „mit der neuen ihren Frieden zu machen“. Es war ja keine unvoreingenommene Ehrenkommission, schon allein deshalb nicht, weil ein Großteil der Kommissionsmitglieder z.B. Auslandskader waren, die nun wahrlich nicht aus der Opposition heraus rekrutiert wurden. Ins westliche Ausland kam nur, wer sich in Wort und Tat zur DDR bekannte. Ich weiß, wovon ich spreche, und ich weiß auch, dass jede Person, die dieses Privileg genoss, in irgendeiner Form von der Stasi ins Visier genommen wurde. Zum Beispiel las die Stasi die Berichte mit, die man im Ausland über seine Tätigkeit schreiben musste. Gut, die Namen sagen euch nichts, ich muss dennoch die Vorsitzende der Kommission, Frau Prof. Ulla Fix nennen, die in den 80er Jahren als DDR-Lektorin in Helsinki tätig war, Frau Prof. Dr. Wotjak, und nicht zuletzt Prof. Johannes Wenzel, den ihr ja aus eurer Finnlandzeit kennt, nicht habilitiert, obwohl er es hätte tun können, Mitglied der LDPD, also einer der Blockparteien, zweimal in Tampere als Universitätslektor, allerdings beim zweiten Male vorzeitig zurückbeordert, ohne allerdings seine Leitungsfunktion am Herder-Institut in Leipzig, geschweige denn seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Ganz nebenbei: Alle drei genannten Kommissionsmitglieder wurden nach der Wende berufen. Die auf Verleumdung beruhende Begründung für meine Entlassung traf mich umso mehr, als mir in einer Versammlung, organisiert von dem sich nunmehr wirklich frei fühlenden FDGB, in denen sich die Leiter auf den verschiedensten Ebenen der Wahl stellen mussten, das volle Vertrauen ausgesprochen wurde. Bei einer Zweidrittelmehrheit war man am Institut gewissermaßen gewählt, d.h. im Amte bestätigt. Ich erhielt weit mehr als die geforderte Mehrheit. Eigentlich hätte auch die von meinem Wissenschaftsbereich federführend erfolgreich durchgeführte Lehrbuchkonferenz („Lehr- und Lernmittel für Deutsch als Fremdsprache – Theorie und Praxis“) für mich sprechen müssen. Sie fand vom 30. Oktober bis zum 1. November 1990 statt. Rund 200 Personen aus 17 Ländern nahmen teil, darunter so bekannte Namen wie Prof. Freudenstein (Marburg), Prof. Neuner (Kassel), Dr. Müller-Jacquier (heute Professor in Bayreuth als Nachfolger des Begründers des Lehrstuhls für Interkulturellen Germanistik Alois Wierlacher). Ihr werdet verstehen, gegen diese ein Menschenleben bedrohende und ein Arbeitsleben vernichtende Entlassungsbegründung musste ich etwas tun.“ Frau Tübke, Gattin des bekannten Malers Werner Tübke und gewissermaßen Nachbarin riet als Rechtsanwältin den Gang zum Arbeitsgericht. Mit 58 Jahren stand ich also zum ersten Male vor Gericht und war fest überzeugt, was immer in meinem Leben schief gelaufen ist und was man mir vorwerfen konnte, diesen Prozess kannst du nur gewinnen, und ich habe ihn gewonnen. Ich vertraute den neuen Gerichten. Dennoch war ich schrecklich aufgeregt, obwohl mich Herr Wunderlich, mein Rechtsanwalt aus Dresden im Talar mehrmals sanft beruhigte. Das gelang ihm so richtig erst in dem Moment, als festgestellt wurde, dass Dr. Weber der Aufforderung des Gerichts als Zeuge aufzutreten, ohne Angabe von Gründen nicht gefolgt war. „Dieser Feigling, dieser miserable Schweinehund, diese erbärmliche Kreatur, Scheißkerl“, ich hätte ihm leidenschaftlich gern meine Verachtung ins Gesicht geschrien und ihn in die Reihe derjenigen Intellektuellen gestellt, die es irgendwie nicht geschafft haben, vom Ehrgeiz zerfressen sind, womöglich selbst verstrickt mit ehemaligen Machtstrukturen. „Entschuldigt, ich lass mich von den damaligen Emotionen treiben.“ Die Universität musste mich, wenn auch zähneknirschend wieder einstellen und war bereit „zur Fortzahlung der Bezüge rückwirkend ab 01.01.93“ „unter dem Druck des erstinstanzlichen Urteils und vorbehaltlich anderslautender Entscheidungen in den weiteren Instanzen.“ Natürlich ging der Freistaat Sachsen in die Berufung, konnte sich aber auch nicht beim Landesarbeitsgericht in Altenberg trotz für ihn günstiger Umstände durchsetzen. Der Einspruch der beklagten Seite bezog sich zum einen auf das fadenscheinige Argument des Verstreichenlassens der Klagefrist (was klar widerlegt worden war) und zum anderen auf die Rechtfertigung der ordentlichen Prüfung der Kündigung durch den Hauptpersonalrat, die wegen ins Gesicht springender Ungereimtheiten nicht zu stützen war. In der Annahme, dass sich das Landesarbeitsgericht auch in Leipzig befände, war mein Rechtsanwalt Herr Uwe Wunderlich, dem ich unendlich dankbar bin, zum Verhandlungstermin pünktlich angereist. Bloß nicht den Termin verpassen, war auch meine Devise, zwei Stunden vor Prozessbeginn stehe ich vor der Pforte des Arbeitsgerichts in Altenburg. Doch wer nicht kam, war mein Rechtsanwalt. Ich überprüfe Ort, Zeit, Zeit, Ort, rufe in der Kanzlei in Dresden an, bin ohne Handy, erfahre, ihr Mitarbeiter sei nach Leipzig gefahren. Das kann ja gut gehen, werde aufgerufen und erfahre, dass an meiner Seite kein Rechtsanwalt sein wird. Er hatte dem Gericht sein Missgeschick inzwischen mitgeteilt. Den Termin verschieben hätte eine Wartezeit von mehreren Monaten bedeutet, denn die Gerichtsbarkeit in den neuen Bundesländern war noch im Aufbau. Ich höre mich sagen: „Hohes Gericht, ich denke, dass die Verhandlung ohne meinen Rechtsanwalt stattfinden kann.“ Das war kühn, ich werde auf die Konsequenzen aufmerksam gemacht und bleibe dennoch bei meiner Aussage. Der Richter, ein Schwabe, hebt nicht gerade hoffnungsvoll an, verweist auf meine SED-Vergangenheit, ich sei ein Roter und obendrein noch Parteisekretär gewesen, er wüsste nicht, was ich denn überhaupt zu meiner Verteidigung vorbringen könne. „Einspruch, Euer Ehren, ich war kein hauptamtlicher Sekretär, sondern ein ehrenamtlicher auf der untersten Ebene und das nur für vier Jahre.“ Oh Gott, wie willst du diese schwarze Wand aufbrechen, Selbstmotivation setzt ein, bleib ruhig, argumentiere wie bisher immer sachlich, rein sachlich, lass dich nicht provozieren, du musst es schaffen. Ich frage, geht es hier um einen allgemeinen Gesinnungsprozess, dann allerdings bin ich im falschen Gericht. Nein, ich bin entlassen worden, weil ich gegen „Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit“ verstoßen hätte. Diese Verstöße seien in der erstinstanzlichen Verhandlung von der Gegenseite nicht zu belegen gewesen und soweit ich sehe, gibt es überhaupt keine neuen Erkenntnisse, ich müsse mich schon fragen, wie man angesichts der Beweislage es wagen konnte, die kostbare Zeit des hohen Gerichts in Anspruch zu nehmen. Was soll man von einem Zeugen von einem Hauptzeugen halten, der ohne Angabe von Gründen der Einladung des Gerichts nicht folgt. Wohlan, das mag Sie nicht überzeugen, ich bin kein Jurist, dann schauen wir doch mal auf die Anschuldigung. Ich sage Ihnen, Herr Weber hätte mich anklagen können, dass ich ihn tätlich bedroht, bestohlen, seine Frau misshandelt, seine Tochter verleumdet hätte, alles schon auf den ersten Blick plausible, aber höchst verwerfliche Handlungsmöglichkeiten, aber nicht, dass ich dafür gesorgt hätte, dass er vorzeitig in die DDR zurück musste, denn die Regelzeit für Lektorentätigkeit in westlichen Ländern war nun mal drei Jahre, in Ausnahmefällen vier. Herr Weber war aber nachweislich fünf, ich behaupte sogar sechs Jahre, ich wiederhole 6 Jahre am Stück in Finnland. „Nun aber Schluss, wir wollen uns doch den Abend nicht verderben.“ Die Universität musste sich etwas anderes einfallen lassen, ich werde „wegen mangelnden Bedarfs und wesentlicher Änderung im Aufbau der Beschäftigungsstelle in Verbindung mit Personalabbau gemäß Einigungsvertrag“ entlassen. Erhalte von dem Direktor Wenzel ohne Kommentar, Bedauern, Entschuldigung ein qualifiziertes Dienstzeugnis, in dem meine geleistete Arbeit anerkannt wird. Damit konnte ich leben. „Auch von den anderen Mitgliedern der Kommission keine Reaktion?“ Bis heute warte ich darauf, dass sich Frau Prof. Ulla Fix, die Vorsitzende der Ehrenkommission, aber auch Frau Prof. Barbara Wotjak, ein prominentes Mitglied wie auch Herr Prof. Wenzel in irgendeiner Form bei mir entschuldigen oder auch nur ihr Bedauern ausdrücken. Noch ist es nicht zu spät. Ich könnte mir schon vorstellen, dass eine Stellungnahme zu dem hier Vorgebrachten den psychischen Druck der Beschuldigten, den ich einfach mal aus humanem Mitgefühl unterstelle, mildern könnte.

12 Kommentare Kommentar schreiben →
  1. Michael Düring permalink
    September 12, 2012

    Hallo M & M,

    heute habe ich mir endlich mal wieder den blog angesehen und bin glatt versumpft im sumpf der geschichte. Unglaublich, was sie mit dir/euch gemacht haben. Ich wusste die details gar nicht so genau und bin nun erstaunt über so viel unrecht und skandal. Wer euch kennt, muss doch wissen, dass dies nicht eure spielart war. Irgendjemand wollte dich/euch da einfach loswerden. Es ist schlimm, weil hier vorurteile, unwissen und machtgier wohl zusammenkamen.

    Dein letzter beitrag hat mich stark berührt. Auch hier wieder etwas gutes am lauf der dinge – wir hätten uns nie kennen gelernt… du wärest vielleicht nicht nach london gekommen und die earl grey versorgung wäre erheblich beeinträchtigt 🙂

    Natürlich tröstet das wenig im angesicht solchen unrechts, doch aus zwei geistigen weltbürgern hat das schicksal dann auch zwei physische weltbürger gemacht. Einer begann diese tournee durch das „westliche ausland“ in der britischen monopole london und die andere musste erst noch den kasper hauser aus dem dornröschenschlaf wecken, bevor auch sie in der weltstadt berlin landete. Gut, Finnland war auch schon ein vorwendeschritt in das „kapitalistische“ ausland und leider auch der aufhänger für diese verleumdungskampagne…

    Ihr habt beide nichts falsch gemacht und die menschlichkeit, die ihr verkörpert, wiegt schwerer am tag des jüngsten gerichts, wo man dann ruhig auch mal über bundesdeutsches unrecht richten darf. Verstöße gegen die menschlichkeit fände man dann in hülle und fülle. Dass durch den blog eventuell nicht bis zu diesem tag gewartet werden muss, begrüße ich und sende liebe

    Grüße aus Thüringen

    Euer Michael

    PS Man verzeihe mir die Ottografy, oder wie schreibt man das jetzt? 🙂

  2. Inge Jank permalink
    September 21, 2012

    Hallo, Martin, nicht erst heute las ich Deinen Artikel mit dem vielsagenden Titel „Verjagt aus keinem guten Grund“, dachte aber, einigen dort genannten Personen vielleicht den Vortritt in einem Kommentar zu lassen. Nun ist mir nur Michael Düring zuvorgekommen – ich habe ihn nie kennengelernt, stimme ihm aber zu! Mir geht es fast wie ihm: Wir sind seit Jahren befreundet, trotzdem kannten wir längst nicht alle Einzelheiten Deines „Abgangs“ vom alten Herder-Institut; wir hatten in unseren Gesprächen meistens doch erfreulichere Themen!
    Da wir erst 1991 von unserem Einsatz in Portugal ans Institut zurückkamen, ist uns einiges in dieser von Dir geschilderten Zeit entgangen oder besser gesagt erspart geblieben. Schon der Begriff „Ehrenkommission“ klingt ja schrecklich, hieß die wirklich so? Übrigens wurden wir damals aus Altersgründen entlassen; das ist nach bundesdeutschem Recht zwar kein Kündigungsgrund, aber dafür gab es halt den sogenannten BAT Ost, da war das rechtens.
    Was mich in der von Dir geschilderten „Anklage“ interessiert, ist der zweite Fall, da das ja meine ehemalige Fachgruppe Chemie betrifft. Selbstverständlich war der Kollege Schaar der kompetentere Kollege für die Leitung des wenn auch kleinen Autorenkollektivs. Ich gehe davon aus. dass es sich dabei um das Lehr- und Lernmaterial im Rahmen des sogenannten KLL (Komplexes Lehr- und Lernmaterial) handelt, also die Gemeinschaftsarbeit der verschiedenen Fachgruppen (Mathematik, Physik, Chemie, Biologie und Allgemeinsprachlicher Unterricht). Und da gab es doch eine Gesamtleitung, also war die doch wohl zuständig oder die Leitung der Abteilung Erziehung und Ausbildung, wenn es um die Bestimmung von Verantwortlichkeiten ging – mehr war das ja eigentlich nicht, diese Lehrbucharbeit fand im Rahmen der dienstlichen Verpflichtungen statt und brachte eigentlich weder Ruhm noch größeren finanziellen Segen. Warum also dieser Aufruhr? Aber es war schon eine wilde Zeit, nicht wahr? Da wurden eben auch alte Differenzen oder Animositäten hochgespielt. Aber davon lassen wir uns die positiven Erinnerungen an unser altes Institut nicht kaputt machen! In diesem Sinne!
    Inge

  3. Martin Löschmann permalink*
    September 22, 2012

    Richtig, es handelte sich bei dem zweiten Fall um das Komplexe Lehr- und Lernmaterial (KKL), das unter der Gesamtleitung von Dr. Fritz Kempter stand. Ihn hätte man auf jeden Fall befragen müssen, auch deshalb, weil er ja auch etwas gegen mich vorzubringen wusste, was aber nicht von der Landesregierung in Dresden aufgegriffen wurde. Für die Kommission eine vertrauenswürdige Person.
    Die Bemerkung zum Begriff ‚Ehrenkommission‘ hat mich stutzig gemacht. Es war schon die verbreitete Bezeichnung für derartige Kommissionen in der Wendezeit an den Universitäten. Offiziell nannte sich die ‚Ehrenkommission‘ in Leipzig jedoch Personalkommission.
    Gibt man bei Google ‚Ehrenkommission an Universitäten‘ ein, findet man genügend Belege für den von mir gewählten Sprachgebrauch. Dennoch werde ich den offiziellen Terminus in meinen Text einbauen.

  4. Martin Löschmann permalink*
    September 28, 2012

    Ich hätte durch meinen Kommentar die Neugier angestachelt und werde gebeten, den ‚Fall‘ Kempter darzustellen, obwohl er im ersten
    Entlassungsschreiben keine Rolle gespielt hat, in der Ehrenkommission dagegen schon. Sein Verhalten ist insofern besonders betrüblich, als er ja nicht nur Parteimitglied, sondern ein durchaus angesehener Mitarbeiter meines Wissenschaftsbereiches war, zuletzt Leiter der Entwicklung einer neuen Generation von komplexen Fachsprachlehrbüchern am Institut. Ich will allerdings nicht verheimlichen, dass es Widerstände gab, ihn als Gesamtchef des Projekts durchzusetzen. Seine Anschuldigung könnte einen natürlich eines Besseren belehren:

    Ich hätte die Einladung des Instituts für Deutsch als Fremdsprache an der Ludwig-Maximilians-Universität München, die an ihn gerichtet war, für mich umfunktioniert, umgebogen und sei an seiner Stelle nach München gefahren. Das verschlug mir im wahren Sinne des Wortes die Sprache, denn ich war unabhängig von Dr. Kempter eingeladen worden.

    Richtig ist, dass Dr. Kempter selbst eine Einladung erhielt, allerdings nach mir. Meine Einladung – etwa ein Jahr vorher, also 1988, konnte ich jedoch nicht wahrnehmen, weil zu dieser Zeit für mich noch das Reiseverbot ins westliche Ausland bestand. Solche Verbote waren am Institut wie an anderen Institutionen auch leider kein Einzelfall. Dr. Fritz Kempter gehörte zu denjenigen, denen verwehrt wurde, die Einladung aus München wahrzunehmen. Aber zu glauben, man hätte mich an seiner Stelle schicken oder gar, ich hätte seine Einladung für mich nutzen können, war mehr als naiv, ganz abgesehen davon, dass er damit ja Prof. Dietrich Krusche, Professor für interkulturelle Hermeneutik am Institut für Deutsch als Fremdsprache der Ludwig-Maximilians-Universität München unterstellte, er würde sich einen nicht gewünschten Wissenschaftler aus der DDR unterschieben lassen.
    Da von der Kommission abgelehnt wurde, Prof. Krusche zu befragen, musste ich es selbst tun. Ich war und bin ihm dankbar dafür, dass er postwendend schriftlich bestätigte, was ich der Kommission geantwortet hatte: Prof. Löschmann ist von uns persönlich eingeladen worden. Was blieb Fritzchen anderes übrig, als seine niederträchtige Anschuldigung schriftlich bei der Kommission zu widerrufen, die mir in Gestalt ihrer Vorsitzende Prof. Ulla Fix telefonisch noch bedeutet hatte, ich solle „eigene Recherchen in meiner Angelegenheit“ unterlassen, weil ich dadurch „alles noch viel schlimmer“ machen würde. Sie hat sich mir gegenüber bis heute nicht zur der Relativierung meines ‚schlimmen‘ Verhaltens durch Herrn Dr. Fritz Kempters Widerruf geäußert.

  5. Helmut König permalink
    Oktober 12, 2012

    Hallo Martin,
    als interessierter Blogleser habe ich natürlich die Story, die deiner
    Entlassung vorausging, gelesen. Neben einem Kopfschütteln drängte sich mir auch die Überschrift „Unglaublich, aber wahr“ auf.
    Persönlich habe ich davon gar nichts mitbekommen.
    Ja, ja Martin, die Zeit damals (wie das klingt) war schon bizarr. Da konnte man mit Anschuldigungen problemlos Rufschädigung betreiben. Jeder versuchte auch nach der unwürdigen Entlassung irgendwie, seine Zukunft abzusichern. Aber wer dabei zu solchen Mitteln greift, muss schon eine gehörige Portion „humanes“ Missverständnis mitbringen. Gut, dass du dich erfolgreich gewehrt hast.
    Beste Grüße
    Helmut

  6. Katharina Löschmann permalink
    November 4, 2012

    Hallo Vater,
    ja die Frau Fix, Frau Breugel und andere Frauen haben damals aufgeräumt.
    Ich kann mich noch gut erinnern, wie eine Kollegin 1991 von Gewissenbissen geplagt, mir beichtete, dass sie denunziert hatte und dafür in einem Projekt untergekommen war. Heute arbeitet sie als Psychologin in der Bundeswehr.
    Irgendwann benutzt jeder mal seine Ellenbogen, dafür sind sie schließlich da. Einigen allerdings liegen Ellen in der Hand, um sich Raum zu schaffen.
    Sie haben dich mit diesen Verleumdungen aus Leipzig vertrieben. Ich finde, da steht dir ebenso eine Vertriebenenrente zu? Sollten die Piraten mal in ihr Programm aufnehmen.
    Mit Augenzwinkern
    Tochter

  7. daniela böhme permalink
    März 11, 2013

    lieber martin, wir waren gestern abend wieder am strand, die sommerhitze hoert nicht auf hier. und weisst du was? allerlei dreck trieb auf dem wasser umher, was mich an alle wenzels, scholzes usw. erinnert. so was schwimmt immer oben und nervt.
    was fuer ein glueck, dass ihr mit geradem ruecken und ohne gewissensbisse auf eure arbeit zurueckschauen koennt, mancher wenzel wird schon lange vor der zeit altersvergesslichkeit ins feld fuehren muessen.
    seid herzlich gegruesst
    daniela

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