Eine Anfrage
Sehr geehrter Prof. Löschmann,
ich bin vor einiger Zeit im Internet auf Sie gestoßen, und Ihr Name hat dabei allerlei Kindheitserinnerungen bei mir wachgerufen, und zwar jene, die mit dem Herder-Institut in den 1960er und 1970er Jahren im Zusammenhang stehen.
Ein Teil meiner Familie war über viele Jahre eng mit dem Haus in der Lumumbastraße verbunden, in dem ich als Kind häufig verkehrte (keineswegs nur zu den denkwürdigen Kinderweihnachtsfeiern): meine Mutter (Helga Loch), meine Tante (Hildegard Loch) und selbst eine meiner Großcousinen (Monika Grunert). Ich entsinne mich noch gut an die Korridore, die Klassenräume, den Geruch des Instituts.
Ohne dass ich Sie seinerzeit näher kannte, fiel doch bei uns zu Hause Ihr Name zumindest so häufig, dass er – warum auch immer – ziemlich fest in meinem Gedächtnis haften geblieben ist.
Wie Sie bestimmt noch wissen, ist meine Mutter dann leider recht früh aus dem Leben geschieden. Sie war 56. Mein Vater starb wenige Jahre später und Hildegard, meine Tante, dann 1996.
Ich selbst bin inzwischen 66 und genieße seit ein paar Monaten, von den Merkwürdigkeiten der Covid-Situation einmal abgesehen, als Rentner neue, ungeahnte Freiheiten, die es mir erlauben, einen Großteil meiner Zeit der Familie und meinen persönlichen Interessen zu widmen.
Soweit zu ein paar erklärenden Vorbemerkungen, nun überfalle ich Sie mit meinem Anliegen: Ein paar Freunde aus der Leipziger Thomasschulzeit und ich verfolgen die Idee, eine Art Elternporträt zusammenzustellen, bei dem möglichst viele und möglichst viele verschiedene DDR-Biografien ein buntes Kaleidoskop der damaligen Wirklichkeit entstehen lassen sollen. Wir möchten unsere Eltern und ihr Leben in den Kontext ihrer Zeit stellen. Ein Strauß von Lebensbildern könnte das vorherrschende Klischee zerstören, wonach es nur harte Stalinisten, edle Dissidenten und dazwischen eine Menge ewig unzufriedener, undankbarer oder resignierter Kleinbürger ohne Rückgrat gab.
Ich habe es bedauerlicherweise versäumt, meine Familienangehörigen rechtzeitig zu manchen Details ihres Lebens zu befragen, mit ihnen über Irrungen, Ängste, Selbstzweifel oder Träume zu sprechen, ihnen jene Fragen zu stellen, deren Antworten mich heute brennend interessieren würden. Zu spät.
Sie haben meine Mutter über mehrere Jahre als Kollege begleitet. Ich weiß nicht, wie gut Sie sie kannten. Ich weiß ebenso wenig, ob Sie einander nahe standen oder wie vertraut Sie miteinander umgingen. Aber vielleicht können Sie mir, wenn auch nach so vielen Jahren, und sei es nur fragmenthaft, noch etwas erzählen über meine Mutter, das mein Bild über sie komplettieren hilft.
Sollten Sie Lust und/oder Interesse haben, mit mir darüber zu sprechen, würde mich das sehr freuen, und wir könnten uns telefonisch oder, besser noch, persönlich verabreden.
Ich lebe mit meiner Familie seit 40 Jahren in Berlin.
Es grüßt Sie recht herzlich
Roland Loch