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Apropos Weltfrieden

2017 3. Januar
von Martin Löschmann

voelkischer-beobachterEs muss in einer Sendung des Deutschlandfunks an irgendeinem Morgen im Dezember 2016 gewesen sein. Die normalen morgendlichen Routine-Handlungen verhindern konzentriertes Hinhören. Doch das da eine weibliche Stimme, womöglich eine Dichterin, aus der DDR kommend und sich 88 in Westberlin niederlassend, das Wort vom WELTFRIEDEN fallen lässt, das sie viel zu selten bis gar nicht höre, ließ mich aufhorchen.

Mein Gott, die Frau, Irina Liebmann (Google macht’s möglich!) hat Recht. Auch wenn man nichts von ihr weiß, wird klar, sie muss an einem Ort gelebt haben, wo das anders war, womöglich in einem Land, wo das Wort Weltfrieden in aller Munde war. Zwar offiziell zerredet, letztlich zur Phrase verkommen, es gab dennoch genügend Leute, die dieses Ideal, das ja beileibe keine Erfindung des Marxismus oder gar der sozialistischen Länder nach dem II: Weltkrieg ist, ernst nahmen und sich nicht schämten, es individuell unverbraucht in den Mund zu nehmen. Ich jedenfalls gehörte zu ihnen.
Gewiss erinnere ich mich durchaus an einzelne Stimmen, die das Ideal vom Weltfrieden, seltener des Philosophen Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ heraufbeschworen. Die amerikanische Schauspielerin Sandra Bullock z.B. muss in Miss Undercover gesagt haben: „Ich wünsche mir den Weltfrieden und eine gute Gesinnung für jedermann.“ Und ich will nicht unerwähnt lassen, dass mir Michael Wolffsohns, Historiker und Publizist, aufschlussreiches, zum Handeln aufforderndes Buch Zum Weltfrieden (dtv 2015) ein Jahr zuvor unter die Augen kam. „Wann fängt wer an, richtig zu denken und richtig zu handeln? Solange das nicht geschieht, ist der Weg zum Weltfrieden nicht einmal in Sicht.“

Allein im gefühlten öffentlichen Bewusstsein der letzten Jahre bei Weltfrieden eher Fehlanzeige. Selbst in Verlautbarungen der UNO scheint das Ideal eine Fehlstelle zu markieren. Frieden selbstverständlich kommt vor. Die Friedens-Botschaft des neuen Generalsekretärs Antonio Guterres an seinem ersten Arbeitstag lässt aufhorchen. Ich schaue die Weihnachts- und Neujahrspost durch, zum Teil über die landläufigen Medien gesendet, und was muss ich feststellen: In all den guten Wünschen kommen Weltfrieden und Frieden nicht vor. „Möge 2017 endlich im Nahen Osten Friede einziehen.“ „Möge endlich in Syrien, in der Ukraine der Friedensschluss durchgesetzt werden.“ Nichts dergleichen in der Post. Oh Schreck, oh Weh‘, auch ich habe das Wort Frieden nicht auf das Weihnachts- und Neujahrspapier gebracht. Das war mal anders oder etwa nicht?

In meinen Unerhörten Erinnerungen eines Sonstigen, vor nunmehr schon zwei Jahren im Engelsdorfer Verlag erschienen, deutet sich die eigene Ohnmacht gegenüber dem Friedensgedanken an, wenn es im letzten Kapitel, das eigentlich erst nach meinem Tode gelesen werden sollte und sich in Form einer, des Verfassers Bestattungsrede präsentiert, heißt es: „Indes, die alte-neue Welt hat für ihn den Frieden nicht näher gebracht, um es dem Ort angepasst versöhnlich auszudrücken. Sobald Nachrichten über Kriege im wohlbehüteten Haus eintrafen, in dem sie es sich gut gehen ließen, waren immer die Leiden der Kinder, die Opfer unter ihnen, zuerst in seinem Blick, riefen eigene Kriegserlebnisse hervor und zerstörten jedes Mal aufs Neue seine kindlich-romantische Vision vom Frieden auf der Welt. Vom Endpunkt wie vom hohen jugendlich geprägten Anspruch her betrachtet, hat sich somit sein Leben nicht erfüllt. Was ein professioneller Redner sicher nicht derart direkt ausgesprochen hätte.“

Angesichts der Kriege in der Welt, allen voran des nun mehr schon 4 Jahre dauernden Bürgerkrieges in Syrien scheinen wir uns, scheint sich die Welt an die furchtbaren Zerstörungen und Vernichtungen von Menschenleben gewöhnt zu haben und sich bestenfalls mit Waffenruhe, mit brüchigen Waffenstillstands-Bemühungen zufriedenzugeben. „Möge der ‚kleine‘ Waffenstillstand in Syrien halten“ (gemeint ist die am 30.12.2016 zwischen Russland, der Türkei und dem Iran ausgehandelte Waffenruhe für Syrien) – ein frommer Neujahrswunsch? Ja, vor den so dringend erforderlichen Friedensverhandlungen muss es einen Waffenstillstand geben, aber das Problem lässt sich mit der Frage umreißen: Sind wir vielleicht schon mit einer Waffenruhe zufrieden?

Sollten wir uns womöglich auf einen dreißigjährigen syrischen Krieg einstellen? Nein, so geht das doch nicht! Es muss endlich Schluss gemacht werden mit dem Krieg in Syrien und den Kriegen anderswo. Die betroffenen Völker und alle Völker, deren Regierungen nach außen vorgeben, den Frieden anzustreben, sich als erfolgreiche Krisenmanager und -managerin feiern lassen, sollten sich erheben, auf die Straße gehen, ihre Regierungen zwingen, in Syrien einen Friedenschluss herbeizuführen, wissend, ohne Kompromisse auf beiden, hier besser: auf allen am Krieg beteiligten Seiten wird es keinen Frieden geben. Ich weiß, das ist plakativ. Aber wie bringen wir es fertig, Jahr aus Jahr ein unzählige Kriegsopfer in der Welt hinzunehmen? Wieso lassen wir alle zu, dass der scheidende USA-Präsident, der weithin sichtbar gescheiterte Friedensnobelpreisträger, bis zum Ende seiner Amtszeit den Konflikt mit einer nicht zu unterschätzenden Kriegspartei unverantwortlich schürt, Russland als Hauptschuldigen für den Syrienkrieg ausmacht, Russland als Regionalmacht verspottet, geradezu verhöhnt, sich so über Russland mit reinen Händen stellend, als ob es z.B. Libyen nicht gäbe. Ein Land, das einst wie auch immer prosperierte und einzig und allein mit USA-Hilfe für sogenannte Oppositionsgruppierungen, vermeintliche Demokratievertreter, ganz ohne Russland, ins ‚Chaos‘ gestürzt wurde. Ein heute abgewetztes journalistisches Wort, das ich normalerweise nicht verwende, doch hier drängt es sich auf, weil das Elend, der Verfall dieses Landes hier nicht im Einzelnen beschrieben werden kann und auch nicht muss. Auch nicht die Ausweisung der 35 russischen Diplomaten aus den USA kurz vor Toresschluss, weil angeblich Hackerangriffe aus Russland erfolgten. Nur gut, dass Putin Obamas kläglichen Versuch, Russland in einen neuen kalten Krieg zu ziehen, ins Leere laufen ließ, und auf den erwarteten Gegenzug, die Ausweisung von USA-Diplomaten, verzichtete.

Meine Güte, wen willst du mit diesem nachweihnachtlichen Text erreichen? Und dann: Völker sollen sich erheben, auf die Straße gehen, um den Frieden in Syrien, Libyen, Gaza, im Irak und nicht zuletzt in der Ukraine ohne Anwendung von Gewalt zu erzwingen. Wo lebst du denn?!
Ich weiß, ich weiß, es wird nicht sein, aber als Gedankenexperiment für mich persönlich bedeutsam. Der Text wurde überdies durch das Bild Völkischer Beobachter von der österreichischen Künstlerin Doris Kraushaar angeregt. Es verarbeitet das Motiv der Taube auf eine überraschende Weise. Nicht Picassos Friedenstaube, sondern Magrittes Taube, die für die Künstlerin „Freiheit, Hoffnung und Zuversicht symbolisiert“. Gesehen habe ich es zwischen den Jahren in einer kleinen Ausstellung im Restaurant Der dritte Mann, gleich um die Ecke in der Kollwitzstraße im Prenzlauer Berg, wo wir wohnen.

  1. M. T. permalink
    Januar 4, 2017

    M.T.
    Es mag sein, dass der Weltfrieden tatsächlich ein unerreichbarer Idealzustand ist und das Wort selbst bereits gesunkenes Kulturgut darstellt. Insofern kann ich Irina Liebmanns Sorgen verstehen. Wenn es aber um die Frage geht, wer den Weltfrieden bedroht, hat sie sich allerdings gegen eine einseitige Schuldzuweisung ausgesprochen. In ihrem Buch „Wäre es schön? Es wäre schön!“, mit dem sie ihrem Vater Rudolf Herrnstadt, der für eine Demokratisierung der SED eintrat und von ihr ausgeschlossen wurde, ein Denkmal setzt, weil ihr Vater niemals rehabilitiert wurde, kommentiert sie, was sie als Kind zum Thema Weltfrieden gelernt hat: „Alle Menschen der Welt gehören zusammen und es wird nie wieder Krieg geben und keiner sieht auf den anderen herab, wenn sie sich zusammenschließen und es so wollen. Nur die Kriegstreiber müssen verschwinden. Das war meine heile Welt, und wie man sieht, war sie riesengroß. Die Kriegstreiber waren übrigens immer die Amerikaner. Bis heute hat sich an dieser Weltsicht für viele nicht viel geändert.“ (S.299)

  2. Martin Löschmann permalink*
    Januar 9, 2017

    Nein, die ‚Bösen‘, die Kriegstreiber sind nicht immer die Amerikaner. Aber ich sehe auch nicht ein, weshalb ‚die Amerikaner‘ außen vor bleiben sollen.
    Deshalb schreibe ich: Es wird“ in Syrien keinen Friedenschluss geben, ohne Kompromisse auf beiden, hier besser: auf allen am Krieg beteiligten Seiten wird es keinen Frieden geben.“ Ganz klar, ‚die Amerikaner‘ gehören zu den Kriegsmächten in Syrien. Sie müssen wie ‚die Russen‘ und die zig anderen Kriegsparteien, das Assad-Regime eingeschlossen, auch kompromissbereit sein, d.h., mit einfachen Worten: Macht, Einfluss abgeben, eigene Machtinteressen ein wenig zurückstellen.
    Nach 50 Jahren Bürgerkrieg in Kolumbien ist ein Friedensabkommen mit der Farc in greifbarer Nähe. Wie kam es dazu? Beide Seiten hielten inne und nahmen ein Stück Abstand von ihren eigenen Machtinteressen. Mit Recht hat Kolumbiens Präsident Santos den Friedensnobelpreis dafür erhalten, dass er auf der Regierungsseite zu Kompromissen bereit war und ein Friedensabkommen mit den Guerillas aushandelte. Obama dagegen konnte dem Anspruch, die mit seiner Auszeichnung verbunden war und ist, nicht gerecht werden.
    Im Übrigen ergänzen die weiterführenden kommentierenden Äußerungen zu der Schriftstellerin Liebmann meine spontanen Überlegungen zu dem Begriff Weltfrieden.

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