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Nach der Beerdigung von Dr. Hans-Georg Jank

2017 6. Februar
von Martin Löschmann

Den eignen Tod, den stirbt man nur,
doch mit dem Tod der andern muss man leben.

(Mascha Kaléko)

Es gibt unterschiedliche Erzählungen vor und nach Beerdigungen. Die Bestattung unseres Freundes und Kollegen Dr. Georg Jank an einem kalten, aber sonnigen Tag im Januar vor einer Woche hallt noch nach. Sie ist eher eine Erzählung des DANACH. Ach, schreib doch ein paar Worte des Gedenkens und der Erinnerung, höre ich eine Stimme oder war es gar die eigene?

In der Trauerrede des Enkels, der wie sein Vater, dem ältesten Sohn von Schorsch, so wurde er genannt, Arzt geworden ist, wird liebevoll nachgezeichnet, wie wichtig die Familie für den Verstorbenen war. Die Arbeit ist wichtig, entscheidend, wirklich wichtig ist die Familie, hat er dem Sinne nach nicht nur einmal gesagt. Die literarisch oft gestaltete Enkelperspektive ist gegeben: der Großvater mit seinen Erzählungen in der Familie. In der Tat Schorsch zeigte sich, wo auch immer wir zusammen waren, stolz auf seine Familie, die auch zu bewundern ist: zwei Söhne, 6 Enkel, bis 9 Urenkel bis dato, und natürlich nicht zu vergessen die hinterbliebene Ehefrau Inge, Mutter, Großmutter und Urgroßmutter, die sich in diesem Blog mit einem Beitrag Wie war das damals eigentlich? eingeschrieben hat. Unter der Trauergemeinde ein Urenkel, erst wenige Monate alt, symbolträchtig, das Leben geht weiter. Und so ganz nebenbei die Frage, welches Bild wird er von seinem Urgroßvater aufbauen und mit sich tragen. Oder wird ihm der zu Grabe Getragene schon in weiter Ferne erscheinen und irgendwie fremd bleiben. In dieser Familie kaum denkbar, aber wer weiß das so genau? Was können wir wissen? Aber ich denke schon, der Janksche Familiensinn wird sich weitertragen. Die Tradition ist da, und wir haben sie sogar in unserem literarischen Lesebuch Einander verstehen (Peter Lang in New York 1997 erschienen), durch das Schwarz-Weiß-Foto Familie Jank um 1870 dokumentiert. Für die Rubrik Generationen in diesem Lesebuch brauchten wir genau so ein Familienbild. Und Hans-Georg wusste Rat und stellte uns das besagte Foto zur Verfügung.

Gewiss, die Zukunft ist ungewiss. Was wir indes unwiderruflich wissen, hier wurde ein Mensch zur letzten Ruhe gebettet, dessen Leben sich vollendet hatte. Mit fast 90 Jahren kann man das getrost und zum Troste der Familienangehörigen sagen. Dennoch, wenn ein Mensch für immer geht, ist es schrecklich, ein Verlust, ein Riss in der Familie. Auf einmal ist da eine Lücke, eine Leere, die bleibt. Aus der Zweisamkeit mit seiner Ingeburg wird Einsamkeit, die durch die Söhne, Schwiegertöchter, Enkel, Urenkel, auch Freundinnen und Freunde aufgefangen, gemildert, aber nicht aus der Welt geschafft werden kann. Denn der Tod ist unwiderruflich. Bei Hemingway in Death in the Afternoon lesen wir: „Madame, alle Geschichten enden, wenn man sie weit genug erzählt, mit dem Tod, und der ist kein echter Geschichtenerzähler, der Ihnen, das vorenthält.“
Die Geschichte Dr. Hans-Georg Jank hat sich zu Ende erzählt. Jedoch, er hat Erzählungen hinterlassen, die noch lange im Gedächtnis haften bleiben werden. Nach dem Ende des Krieges beginnt die Ausbildung als Neulehrer, die ich in den Unerhörten Erinnerungen eines Sonstigen beschrieben habe, weil nicht wenige Neulehrerinnen und -lehrer ihren Arbeitsplatz später am Herder-Institut fanden. Seinen Namen hatte ich nicht erwähnt, obwohl er genau in diesen Passus gepasst hätte. „Wie sehr diese Neulehrerbewegung ein Kind der Nachkriegszeit und zeitlich begrenzt war“, so schrieb ich, „wurde mir so recht deutlich, als ich erst vor kurzem auf die klare Bestimmung stieß, dass diese Neulehrer, die kurz nach dem Krieg im Eilverfahren ausgebildet worden waren, bis 1954 eine dreijährige Lehrerausbildung erfolgreich bestanden haben mussten, anderenfalls wurden sie entlassen.“ Die Gewinnung und Ausbildung von Neulehrern sowie die besondere Förderung der Arbeiter- und Bauernkinder gehören für mich zu den nicht wegzudiskutierenden Leistungen des Landes, in dem sich sein Arbeitsleben erfüllte.

Mit der sprachlichen und fachlichen Vorbereitung ausländischer Studierender am Herder-Institut der Karl-Marx-Universität Leipzig stand der einstige Neulehrer und Chemielehrer vor Neuland, das nicht nur in der täglichen praktischen Arbeit, sondern auch wissenschaftlich beackert werden musste. Einmal die Notwendigkeit erkannt, packte er die wissenschaftliche Arbeit mit voller Kraft an und ließ sich nicht aufhalten. Es traf sich dabei sicherlich gut, dass seine Frau Ingeburg, die einige Jahre nach ihm ans Institut kam, am gleichen Strang zog und beide sich neben anderen den Mühen einer Promotion unterzogen, die dazu beitrug, die spezifische Ausbildung zu grundieren, die in der fachsprachlichen Vorbereitung der Studierenden auf ein Studium bestand. „Zur Erhöhung der Qualität des Chemieunterrichts bei ausländischen Studienbewerbern unter Berücksichtigung des polytechnischen Aspekts“, so lautet der Titel seiner Dissertationsschrift. Anhand der Ammoniak-Synthese erklärte er uns Nichtfachleuten leidenschaftlich seine gewonnenen Erkenntnisse. Mit Fug und Recht kann festgehalten werden: Die Qualifizierung der fachsprachlichen Ausbildung im Laufe der Jahre gehört auch zu den bleibenden Verdiensten des Herder-Instituts. Nicht von Ungefähr, unter den wenigen Trauergästen vom Herder-Institut – es sind ja viele vor Schorsch gegangen: Renate Riedel, die ehemalige Fachgruppenleiterin für medizinisch – biologische Fachrichtungen, und Dr. Manfred Pudszuhn, der nach der Wende ein Buch Fachunterricht versus Sprachunterricht zum Thema Fachsprachenunterricht am Herder-Institut vorgelegt hat. Sie alle, ich meine die Fach- und Fachsprachenlehrer, und Schorsch unter ihnen, mussten zudem ein aufwändiges Zusatzstudium am Herder-Institut absolvieren, auf dass sie ihre Lehraufgaben qualifiziert erfüllen konnten. Hans-Georg hatte bestimmt Freude am philologisch ausgerichteten Zusatzstudium. Knifflige Sprachanwendungsbeispiele gab er jedenfalls gern zum Besten: Na, wann heißt es derselbe/dieselbe/dasselbe und wann der gleiche, die gleiche, das gleiche …?
Als nach der Wende sich ein gewisser Kollege Scholz, Helmut Scholz, darüber beklagte, dass man ihn gewissermaßen gezwungen habe, die Leitung des Lehrbuches für den Fachsprachunterricht Chemie aufzugeben, wurde ihm u.a. entgegengehalten, wäre nicht das Ehepaar Drs. Inge und Hans-Georg Jank, inzwischen erfahrene Lehrbuchautoren, zu dieser Zeit im Ausland gewesen, hätten auf jeden Fall sie die Leitung übernommen. Sie waren nun mal höher qualifiziert. Das galt auch für Dr. Schaar, der in der Tat im Gegensatz zu dem besagten Scholz die Promotion vorweisen konnte und Leiter des Lehrbuchkollektivs wurde. Scholz hatte die Chance zu promovieren wie viele andere am Institut, hat sie aber nicht genutzt – aus welchen Gründen auch immer.
Als Macher, wie man heute sagen würde, fühlte Schorsch sich bei den Auslandseinsätzen besonders wohl, ob es in Angola, Ungarn oder Portugal war. Die Wende überraschte die Janks in Lissabon. Was für eine Geschichte, die sie uns erzählten, als wir wenige Jahre später unseren Urlaub in Portugal mit den Beiden verbrachten. Die Diplomaten hatten sich wohl schon aus dem Staube gemacht, nur der Hausmeister und die beiden Sprachlektoren waren noch da und die mussten gewissermaßen als Letzte das Licht in der Botschaft ausmachen, konkreter formuliert: die DDR-Fahne einziehen. Wie oft haben wir gesagt, Mensch, Schorsch, schreib das doch auf! Wir haben immer angenommen, er führe sein Tagebuch.

Darin hätten bestimmt sein gesellschaftliches Wirken als Vorsitzender unserer Gewerkschaftsorganisation, das neben seiner fachlichen Arbeit und zeitlich begrenzt im Rahmen des Möglichen erfolgte, und sein Engagement als Leiter der kommerziellen Ausbildung am Herder-Institut bestimmt Eingang gefunden. Letzteres eine schwierige Aufgabe. Auf der einen Seite sollte mit der sprachlichen und fachlichen Vorbereitung ausländischer Studenten und Studentinnen Geld, was schreibe ich da, Valuta sollten verdient werden. Sie kamen zuhauf, stellten ihre Forderungen, wollten für ihre ‚Dollars‘ entsprechend gute Lebensbedingungen haben, die in der DDR nicht in jedem Fall auf Anhieb geboten werden konnten. Es war nicht der Unterricht, der sie gelegentlich protestieren ließ, sondern eben die ‚äußeren Umstände‘. Doch Dr. Hans Georg Jank stürzte sich geradezu auf die neue Herausforderung, kniete sich in die für alle am Institut neue Aufgabe, verlor auch bei den lybischen Studierenden nicht seinen Optimismus, sein positives Denken und meisterte die brisante Leitungsaufgabe nicht zuletzt dank seiner Leitungserfahrungen im In- und Ausland und auch als Gewerkschaftsboss mit Bravour.

Wir waren, wir sind Dr. Hans-Georg Jank für immer, was in unserem Fall heißt: bis zu unserem Tode verbunden.

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