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Vergleiche, die zum Himmel stinken II

2017 13. April
von Martin Löschmann

Ja, die Überschrift gibt es bereits in diesem Blog und muss doch noch einmal herhalten für einen aktuellen verantwortungs-, respekt- und würdelosen Vergleich. Im ersten Beitrag zu stinkenden Nazivergleichen – einem Neologismus der 80er Jahre – ging es um Hillary Clintons Gleichsetzung von Hitler mit Putin in einer ihrer Wahlreden. Mein Fazit dort: Kein Aufschrei der westlichen Welt, ist ja nur Putin, mit dem man es machen kann. Keinen Respekt vor einem Land und seinem Repräsentanten, obwohl es ganz wesentlich dazu beitragen hat, das Nazi-Regime unter Millionen von Opfern zu zerschlagen. Welch ein Zynismus der mit Recht untergegangenen Wahlkämpferin! Zu welchem Preis ist natürlich eine ganz andere Frage.
Nun kommt der Erdogan daher und übersät Deutschland mit eben solchen Vergleichen, die nicht weniger zum Himmel stinken. Mit Recht wehrt sich die sogenannte westliche Welt gegen seine Nazi-Vergleiche, seien sie auf Deutschland oder Holland bezogen. Fraglos, Erdogan betreibt mit seinen Nazivorwürfen ein schmutziges würdeloses Geschäft. Extrem, äußerst extrem, was sich dieser türkische Präsident – sich selbst entlarvend – erlaubt. Da gibt es kein Wenn und Aber, das darf man einfach nicht hinnehmen.
Offensichtlich ist das auch die Meinung des F.A.Z. Artikels vom 7. März 2017 „Erdogans Nazi-Vergleich ‚absurd‘ und ‚deplatziert‘“. Ich gestehe, dass ich selten die Frankfurter Allgemeine lese. Aber am 22. 03. 2017 stoße ich mehr oder weniger zufällig auf eine Leserzuschrift von Hans-Jürgen Georgi, Berlin: „In den Spiegel schauen“, in dem er – offensichtlich eine generelle Einordnung derartiger Vergleiche vermissend – schreibt: „Es hat viel Heuchlerisches, wenn sich unisono die deutschen Politiker und die ganze Presse darüber erregen, dass der türkische Präsident das adaptiert, was in Deutschland tagtäglich passiert: die politisch Unliebsamen als Nazis zu bezeichnen.“
Diese Leserzuschrift wurde mir erneut zum Schreibanlass in dieser Sache, spät, aber sicherlich nicht zu spät, denn man kann getrost davon ausgehen, dass diese Vergleiche in absehbarer Zeit nicht aufhören werden. Sie sind über die Jahrzehnte einfach in der Politik, aber auch in vorwiegend rechts orientierte historische Betrachtungen gekommen und derart eingeschliffen, dass, wenn womöglich nichts mehr zieht, zu dieser scheinbar probaten Keule gegriffen wird, um den politischen Gegner zu diffamieren. Nazivergleich schaffen immer Aufmerksamkeit, ganz gleich, wo immer die Nazi-Karte gespielt wird.
Neo-Nazis, die sich zum faschistischen System bekennen, müssen selbstverständlich als solche bezeichnet und bekämpft werden. Das versteht sich.

Meine Güte, wie oft habe ich nicht von bundesrepublikanischen Größen beleidigende Nazi-Vergleiche in Bezug auf die DDR lesen müssen. Im Kalten Krieg war die Gleichsetzungen des „real-existierenden Sozialismus“ mit dem NS-Staat ein weit verbreitetes antikommunistisches Propagandamittel der politischen Rechten in der westlichen Welt, gewissermaßen ein entscheidendes Totschlagargument gegen die DDR. Umgekehrt scheute sich die DDR nicht, sich gegenüber der Bundesrepublik dieser propagandistischen Keule ebenfalls zu bedienen. Man müsse sich gegen den Faschismus durch eine Mauer schützen und einen antifaschistischen Wall errichten. Was für eine plumpe Verdrehung der wahren Gründe. Ich gebe zu, dieser unseligen DDR-Propaganda erst kurz vor der Wende öffentlich energisch entgegengetreten zu sein, obwohl ich seit meiner Oberschulzeit vehement gegen derartige Vergleiche, in welcher Form sie sich auch zeigten, aufgetreten bin. Mein Antrieb dabei: Man darf dieses verbrecherische System der Nazis nicht relativieren und damit enthistorisieren, ihm das Merkmal des verbrecherisch Einmaligen nehmen. Deshalb hilft es überhaupt nicht weiter, wenn man sich durch Erdogan provozieren lässt, ihn nunmehr selbst mit Hitler und seinem Ermächtigungsgesetz in Verbindung bringt.
Überdies weisen Erdogans abwegige abstruse Schmähungen auf eine Gefahr der Gewöhnung an solche Nazi-Vergleiche hin – nach dem Motto: Man gewöhnt sich an allem, auch an den Dativ. Was dieser erste Mann der Türkei von sich gibt, ist so abwegig, dass es wirkungslos bleibt. Muss uns also nicht sonderlich interessieren. Doch es wäre verheerend, wenn dergestalt die Misse-, Schand-, Gräueltaten, die Verbrechen der Nazis obendrein noch verharmlost würden.

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