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Vergleiche, die hinken und zum Himmel stinken

2014 12. März
von Martin Löschmann

Wer die Blog-Beiträge „Aus meinem Briefwechsel mit Prof. Hans-Eberhard Piepho zur Wendezeit“ gelesen hat, konnte feststellen, dass ich dem mutigen Kollegen aus Gießen in einem Punkt vehement widersprechen musste.
Auf der hochkarätigen Tagung des amerikanischen Deutschlehrerverbandes in Baden-Baden 1992, an dem Deutschlehrer und Germanisten aus 17 Ländern teilnahmen, befand sich auch der Blog-Schreiber mit einem Sektionsbeitrag und eben Prof. Piepho, der zusammen mit Frau Prof. Renate Schulz (Arizona) eines der drei Foren „Aktueller Stand und Tendenzen in der Sprachlehr-/Lernforschung und ihre Implikationen für den DaF-Unterricht“ leitete.
Im Rahmen dieser Veranstaltung nahm Prof. Piepho zu den Evaluierungsvorgängen im Osten Deutschlands während der Wendezeit Stellung, nannte Prof. Hexelschneider und den Schreiber namentlich und verstieg sich zu einem Vergleich mit der Nazi-Zeit.
Unklugerweise äußerte ich mich nicht im Forum unmittelbar zu dem mehr als hinkenden, weil politisch mehr als abwegigen Vergleich. Erst nach der Veranstaltung habe ich meinen verehrten Kollegen Piepho aufgebracht mitgeteilt, dass ich solche Vergleiche in jeder Beziehung für unangebracht halte und mit aller Entschiedenheit zurückweisen muss.(http://herderblog.net/2013/08/12/aus-meinem-brief-zur-wendezeit/)

Schon vor der Wende hatte ich, wenn auch zu spät, öffentlich erklärt, dass ich die offizielle DDR-Argumentation, wonach die Mauer als ‚antifaschistischer Schutzwall‘ zu betrachten ist, ablehne. Die Bundesrepublik Deutschland als faschistischen Staat hinzustellen, war eine rein propagandistische durchsichtige Wortprägung.

Auf der anderen Seite war natürlich auch die westliche Totalitarismustheorie entschieden entgegenzutreten, womit die Reduzierung auf einzelne Momente der Herrschaftsmethoden wie Einparteiensystem, Gleichschaltung der Medien, zentrale Wirtschaftslenkung usw. zu einer Gleichsetzung von Faschismus und Sozialismus begründet wird.

Es ist nur konsequent, wenn ich hier und jetzt gegen den Vergleich Hitler – Putin anschreibe. Man mag von Putin halten, was man will, aber ihn mit Hitler zu vergleichen, ist mehr als putin20140830_161746
fotografiert in der Nähe des Kaufhauses des Westens 2014

 
hirnrissig, Hillary Clintons Vergleich des Vorgehens von Hitler zur Heimholung der Sudentendeutschen mit Putins Krimengagement ist doch wohl als Machtkalkül zu werten, denn mit einem solchen Vergleich können Stimmen im rechten Spektrum eingefangen werden. Gerade diese Stimmen braucht sie, wenn sie 2016 Präsidentin der USA werden will. Der Republikaner McCain, ehemaliger Präsidentschaftskandidat, geizt nicht mit Zustimmung. Auf jeden Fall hat sie den aggressiven Vergleich hoffähig gemacht, wenngleich er von nicht wenigen Kommentaren als ein Schuss verstanden wurde, der nach hinten losgeht. Dass sich seit ihrer Wortmeldung die infamen Vergleiche Putin und Hitler in unserem Land mehren, muss nicht verwundern, denn im Schatten der USA fühlen sich nicht wenige immer auf der richtigen Seite. Das muss auch dem Kabarettisten Max Uthoff aufgefallen sein, in seiner bissigen Polit-Satire im ZdF („Neues aus der Anstalt“) vom 11. März wird im Rahmen des Komplexes Ukraine/Russland gerade auch dieser Vergleich aufs Korn genommen. Abgesehen von der aktuellen Ukraine-/Krimgeschichte, deren kritische Substanz meine Argumentation noch haushoch überragt, kann ich die ganze Sendung nur empfehlen. Sie wird am 15. März 21.00 Uhr bei 3-Sat wiederholt. Einfach großartig, bestes Kabarett.

Man muss sich mal ausmalen, was dieser Vergleich impliziert. Putin mutiert zu Hitler, das russische Volk, das uns einst vom Faschismus unter großen Opfern befreit hat, wird von einem Diktator vom Schlage eines Hitler geführt. Es akzeptiert ihn, ja unterstützt ihn. Das kann doch nicht wahr sein. Wie dumm ist denn dieses Volk. Also muss man nicht nur diesen Mann, sondern auch gleich das bedauernswerte Volk in die Knie zwingen. Das kann doch nur als eine Aufforderung zur Rückkehr zum Kalten Krieg gegen Russland aufgefasst werden? Oder heißt die Devise nur: Tötet diesen Mann, denn die eine Lehre aus der deutschen Geschichte ist eindeutig: Wehret den Anfängen.

Die Geschichte hat nur einen Haken, die Gleichsetzungsstrategen irren sich, irren sich gewaltig. Es gibt genug Kräfte auf der Welt, die diesen primitiven Vergleich ablehnen, da muss man sich nicht nur auf die Zustimmung in Russland beschränken, obwohl es mir nicht unerheblich scheint, dass in einer Erhebung des unabhängigen Forschungszentrums Lewada 69 % der Befragten angeben, der Politik ihres Staatschefs zuzustimmen. Immerhin waren das neun Prozentpunkte mehr als vor einem Jahr. (vgl. SpiegelOnline 12.03.14)

Die Befragten werden sich wie ich auch  schon wundern, fragen, wieso distanzieren sich diese Gleichsetzer eigentlich nicht von der rechtsgerichteten Svoboda Partei in der Ukraine, die offensichtlich rassistisch, antisemitisch und neofaschistisch orientiert ist, und trotzdem 5 Ministerposten einnimmt. Der extrem ausgerichtete Prawji Sector (‚der Rechte Sektor‘) stellt mit seinem Anführer Dimitro Jarosch den stellvertretenden Minister für Nationale Sicherheit. „Neo-Nazis in office is a first in post-war Europe. But this is the unelected government now backed by the US and EU“, schreibt Seumas Milne in the Guardian, Wednesday 5 March. Ich würde die neue ukrainische Regierung insgesamt deshalb nicht faschistisch nennen, aber Bedenken in diese Richtung können sich schon einstellen.

Vgl. auch http://www.sueddeutsche.de/politik/russlands-praesident-wladimir-putin-mann-fuers-boese-1.1909116

NachtragKein April-Scherz!

Ich bin kein Anhänger von Wolfgang Schäuble, unserem Finanzminister, aber seine Finanzpolitik verdient in mancherlei Hinsicht schon Respekt.
Sein Vergleich der heutigen Krim-Ukraine-Russland-Situation mit der „Heimholung“ der Sudeten-Deutschen in der Nazizeit hingegen stinkt mehr als zum Himmel. Bei ihm heißt es, nachdem er das entsprechende Szenarium vor Berliner Schülern beschrieben hat: „Das kennen wir alles aus der Geschichte. Solche Methoden hat schon der Hitler im Sudetenland übernommen – und vieles andere mehr.“
Einfach erbärmlich, was sich da Herr Schäuble geleistet hat. Er muss doch mitbekommen haben, wie Hillary Clintons Vergleich (siehe oben) in der Welt aufgenommen worden ist. Hätte er sie nicht wenigstens zitieren sollen, ja müssen? Oder sollte hier gar die Abhängigkeit von den USA verborgen werden?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Dr. Wolfgang Schäuble aus freien Stücken so tief gesunken ist. Welche Klientel musste denn bedacht werden, Herr Schäuble?
Oder wollten Sie einfach nur den Glanz von Frau Merkel erhöhen, indem Sie ihr eine Chance gaben, sich von Ihrem Vergleich zu distanzieren?
Ein Trost bleibt, dass Sie, Herr Schäuble, nicht unser Bildungsminister sind.

Nachtrag am 4. Januar 2016 nach der Lektüre von Michael Lüders, Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet. München: C.H.Beck 2015, S. 7f.:

Solche Hitler-Vergleiche sind nichts Neues. Sie werden gern bemüht, wenn man Regierungen, vor allem natürlich deren Vorsitzenden, deren Präsidenten diffamieren will, um sie loszuwerden.
Mohammed Mossadegh, demokratisch gewählter Ministerpräsident Irans, der die iranische Erdölindustrie verstaatliche und 1953 gestürzt wurde; der ägyptische
Präsident Nasser, der den Suezkanal verstaatlichte; Saddam Hussein, der einstige Staatspräsident Iraks, der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad, der 2013 abgewählt wurde.

  1. Ursula Böhnke-Kuckhoff permalink
    März 13, 2014

    Ich muss sagen, dass ich auch so ein „Antifaschistischer Schutzwall“-Sager war. Es ist leider so, dass man sich solche oft gesagten Worte automatisch einprägt und benutzt. Und so ist es aber auch mit diesen Putinhassern, die Parolen verstreuen, die unverdaut und gierig von einer nichtnachdenkenden Masse benutzt werden und meinungsbildend wirken. Ich glaube, der Gysi hat das heute sehr treffend formuliert. Gruslig immer die Reaktionen, bei Merkel klatschen vorwiegend die CDU-CSUler und bei Gysi seine viel kleinere Fraktion. Man kann nur hoffen, dass es, fragte man das Volk, nicht genau so wäre. Aber das Volk hat ja die Regierung, wie sie ist, nun mal auch gewählt. – Die Nachfolger der Sendung „Die Anstalt“ waren sehr gut. Bekamen auch gut verdienten Beifall. Wenn sie so bleiben, ist es kein Verlust, sondern ein Gewinn. Ja und antifaschistisch benimmt sich die momentane Regierung wirklich nicht, wenn man sieht, wie sie in der Ukraine Faschisten unterstützen. Und vor der Wende war es doch auch so, dass Antifaschisten in der BRD nicht sehr angesehen waren.

  2. Nadeshda Kusnetsova permalink
    April 5, 2014

    Schäubles Äußerung zu Russlands Vorgehen auf der Krim („Das kennen wir alles aus der Geschichte. Mit solchen Methoden hat schon der Hitler das Sudetenland übernommen – und vieles andere mehr“) ist ein eindeutiger Vergleich des russischen Präsidenten Putin mit Hitler. Schon rein linguistisch gesehen, lässt dieser Satz nur eine solche Interpretation zu.
    Ob die deutschen Medien diese Äußerung, wie Dr. Schäuble beklagt, verkürzt und daher falsch dargestellt haben, oder ob der Minister selbst das wegen der Spontanität von Unterhaltung zugelassen hat, ist zweitrangig. Wichtig ist: Derartige Vergleiche sind eine grobe Manipulation historischer Fakten und tragen nicht der Verständigung zwischen Deutschland und Russland bei.

  3. Johnd444 permalink
    Juli 23, 2014

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  1. Vergleiche, die zum Himmel stinken II | Herderblog.net

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