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Reminiszenzen zum studienvorbereitenden Fachsprachunterricht am alten Herder-Institut

2011 1. September

(1) Knapp zwanzig Jahre Abstand von der fachsprachlichen Lehre und seiner theoretischen Beschreibung, der Entwicklung von Lehr- und Lernmaterialien für die Studienvorbereitung und in Anfängen auch für die Lehreraus- und -weiterbildung im fachsprachlichen Bereich am alten Herder-Institut (HI) haben schmerzliche Umbrüche der Wende, aber auch die Frage was bleibt, was ist geblieben, in den Hintergrund gedrängt. Die neuen Herausforderungen als Mathematiklehrer in Klasse 11 und 12 einer Fachoberschule – ich habe u. a. um die 800 Schüler zum Fachabitur in Mathematik geführt – haben das Vergangene relativiert.

Wenn ich zunächst am Sinn und Zweck des Herderblogs zweifelte, so hat doch die wissenschaftsgeschichtliche Monographie von Marina Adams „Wandel im Fach, Historiographie von DaF als  Fachsprachen-Disziplin in der DDR“ meine Neugier auf die Einordnung unserer praktischen und theoretisch fundierten Bemühungen um eine fachsprachliche Vorbereitung ausländischer Studierender geweckt, ein bisschen auch die alte Leidenschaft für wissenschaftstheoretische Fragestellungen. Insofern empfinde ich den Herderblog nicht nur als geistige Heimat für eine Erinnerungsgemeinschaft, sondern auch als ein Forum Verschüttete freizulegen.

(2) Obwohl seitens der neuen Leitung des HI in der Wendezeit das Bemühen, die Erfahrungen und das theoretische Potential des studienvorbereitenden (stv.) fachsprachlichen Bereiches zu erhalten, durchaus zu erkennen war, war diesem Bemühen vor allem aus gesellschaftspolitischen Zwängen der damaligen Zeit und einem zögerlichen Willen der Verantwortlichen wenig Erfolg beschieden. Vor allem das Zerfallenlassen einer gewachsenen engagierten Wissenschaftssozietät  für die fachsprachendidaktische Forschung war die Hauptsünde. Als man plötzlich wegen fehlendem Bedarf arbeitslos wurde, fragte man sich schon, ob denn das, was man mit Leidenschaft und Engagement mit aufgebaut und entwickelt hatte, mit dem Aufgehen der DDR in ein Gesamtdeutschland wertlos sei. Bei allen Zweifeln war  ich mir doch sicher: Unsere Enkel werden, da sie unvoreingenommen an die Beurteilung von Geschichte und auch Wissenschaftsentwicklung der DDR-Zeit herangehen können, Lehre und Forschung ohne den damaligen ideologischen Ballast beurteilen und  – falls noch sinnvoll –  weiterentwickeln. Insofern empfinde ich mich/uns durch die obige Monographie bestätigt.

(3) Wie entwickelte  sich die methodisch-praktische und wissenschaftliche Durchdringung des stv.  fachsprachlichen Unterrichts am (alten) HI?

In den 60er Jahren beginnt eine erste Phase der Konsolidierung der stv. Ausbildung ausländischer Studierender am HI. Es entstehen überarbeitete Stoffpläne, der erste Teil „Deutsch. Ein Lehrbuch für Ausländer“  wird eingesetzt, erste Materialien für das verstehende Hören und Lesen werden erarbeitet, in „Deutsch Ein Lehrbuch für Ausländer. Teil II“ werden die Sprachmittel der Fachgegenstände Mathematik und Naturwissenschaften in kurzen Texten mit sprachlichen Übungen erfasst, und die ersten Lehrer für Mathematik und Naturwissenschaften schließen 1968 ein Zusatzstudium „Deutsch für Ausländer“ab. Dieses Zusatzstudium berechtigt auch DaF zu unterrichten. (Vgl.  auch Beitrag von Inge Jank)

Anfang der 70er Jahre, nachdem eine zweite Gruppe von Lehrern für die naturwissenschaftlichen Fächer ein Zusatzstudium für DaF beendet hatte,sollte damals aus gesellschaftspolitischer Sicht die Effektivität und Wirkung des Ausländerstudiums in der DDR entscheidend verbessert werden. Damit kamen auf das HI im Allgemeinen und auf die Studienvorbereitung im Besonderen eine Fülle von Aufgaben zu wie Präzisierung der spezifischen sprachlichen und fachlichen Anforderungen an die künftigen Studierenden, die Entwicklung eines geeigneten neuen integrativen Unterrichts- und Lehrbuchkonzepts, die Koordinierung zwischen den einzelnen Unterrichtsfächern usw. ein gigantisches Vorhaben.

Natürlich war der  stv. DaF-Unterricht am HI in der DDR an politische und pragmatische Ziele gebunden, aber die Mechanismen der didaktisch-methodischen Meinungsbildung im Rahmen eines fachsprachlichen Unterrichts folgten einer unterrichtspraktischen Perspektive, einer unbedingten Praxisbezogenheit. Daraus ergaben sich die vorwä¤rts treibenden Problemstellungen, die im Spannungsfeld zwischen Fach- und Fremdsprachenunterricht angesiedelt waren. Diese Problemstellungen setzten einen Diskurs in Gang, der mit den Jahren eine engagierte Fachsozietät hervorbrachte, wie sie für die Studienvorbereitung ausländischer Studierender in Deutschland wohl einmalig war.

Zunächst ging es beispielsweise  darum, mögliche (moderne) integrative Unterrichtskonzepte in Unterrichtsversuchen zu testen, z.B. den damals diskutierten ‚Programmierten Unterricht‘. „Ein programmierter Lehr- und Lerntext zu elementaren Zahlenfolgen“ für die Abiturstufe Mathematik wurde überarbeitet und zur sprachlichen Festigung des Wortschatzes durch Tonbandübungen ergänzt, in mehreren Studentengruppen eingesetzt und in einer Studie mit entsprechenden Vergleichsgruppen ausgewertet. In einer anderen Studie wurde zum Thema „Herstellung von Ammoniakâ“ die in einer Unterrichtseinheit unmittelbar aufeinander folgende Arbeit  eines Deutsch-und Chemielehrers als Tandem an diesem Fachtext getestet und ausgewertet. Beide Unterrichtskonzepte, so das Ergebnis, waren zwar möglich und sinnvoll, allein die Ausarbeitung entsprechender Materialien bzw. der personelle Aufwand waren vergleichsweise hoch. So konnten sie nicht im Zentrum unserer weiteren Bemühungen stehen.

Schließlich wurde 1970  die Idee der Konzipierung eines „Komplexen Lehr- und Lernmaterial für den allgemeinsprachlichen und fachsprachlichen Unterricht“, bestehend aus einem  Lehrbuch für den allgemeinsprachlichen Unterricht und je einem für Mathematik,  Physik, Chemie und Gesellschaftswissenschaften geboren und umgesetzt. So entstanden umfangreiche Lehrermaterialen, zusätzliche Lese- und Hörtexte, die zwischen dem ASU und dem FSU auf der Sach- und Sprachebene aufeinander abgestimmt waren, Anschauungsmittel zur sprachlichen Entwicklung ausgewählter Sprachhandlungstypen wie Beschreiben, Interpretieren, Erklären, Beweisen, aber auch Handlungsanweisungen zum Lesen bestimmter Aufgaben usw.

Seit Beginn der 80er Jahre öffnete sich die Zeitschrift Deutsch als Fremdsprache verstärkt auch den Themen des stv. fachsprachlichen Unterrichts, der so aus einer gewissen Selbstfixiertheit heraustrat und Erfahrungen und deren theoretische Aufarbeitung in einen Diskurs zum fachsprachlichen Unterricht und seinen Grundlagen einbrachte. Es entwickelte sich eine Zusammenarbeit mit stv. Einrichtungen der Sowjetunion (Lumumba-Universität Moskau), Polens, der CSSR und Bulgariens, die sich nicht nur auf einen Austausch von Personen beschränkte, sondern deren Ergebnisse auch in gemeinsamen Veröffentlichungen erschienen.

So war es nur folgerichtig, dass der WB Methodik (Ltr. zu dieser Zeit Prof. Löschmann) am HI schließlich 1987 eine kleine Forschungsgruppe „Wissenschaftliche Fundierung des stv. Unterrichts“ bestellte, deren Leiter ich wurde. Ein steigendes Interesse ausländischer Deutschlehrer der Sommerkurse an Themen der Didaktik eines fachsprachlichen Unterrichts und die Lehrerweiterbildung für andere stv. Einrichtungen der DDR erweiterten die Lehrverpflichtungen dieser kleinen Gruppe.

1988 wurde mit der konzeptionellen Arbeit für eine Neugestaltung des Lehrwerkes „Deutsch Komplex“ begonnen, die in einer Gesamt- und den Einzelkonzeptionen mündete. Schließlich wurde 1989 mit der Neubearbeitung der entsprechenden Lehrbücher begonnen.

(4) Seit 1990 konnte man nun auch die bisher nicht zugängliche Literatur zum stv. Unterricht und den Lehrgebieten DaF der alten Bundesrepublik auswerten, und es ergaben sich viele Möglichkeiten eines Austauschs mit westdeutschen Kollegen. Kurz nach der Wende wurde ich zum Mitglied des Beirates des Fachverbandes Deutsch als Fremdsprache (FaDaF)  gewählt und es gab vor allem seitens der Studienkollegs ein großes Interesse an Lehrmaterialien des HI, vor allem aber an unseren praktischen Erfahrungen und theoretischen Erkenntnissen zum integrativen Konzept von Fach- und Sprachunterricht in der Studienvorbereitung. So wurden auf den Jahrestagungen des FaDaF 1991, 1992 und  1993 Fragen eines fachsprachlichen Unterrichts, insbesondere der Verknüpfung  von Fach- und Sprachunterricht zu einem Schwerpunkt erhoben. Der Vorstand des FaDaF griff die zahlreichen Forderungen nach einer möglichst umfassenden, theoretisch fundierten Fortbildung der Fachsprachenlehrer der Studienkollegs auf.  Er wandte sich in einem Schreiben im Dezember 1992 an das HI mit der Bitte, mit Engagement und Nachdruck dieses uns allen nutzende Projekt zu befördern und die Einmaligkeit der Möglichkeiten des HI dafür zu nutzen.

Im Mai 1993 stellte ich schließlich vor der Leitung des sich in Abwicklung befindenden HI das Projekt „DaF-Unterricht im Fachunterricht“vor, das Möglichkeiten einer schrittweisen fachsprachendidaktischen Weiterbildung der Fachlehrer an deutschen Studienkollegs aufzeigte. Ein erster Entwurf eines Curriculums und entsprechende Thesen hatte ich vorher im FaDaF besprochen. Anwesend war auch der damalige Leiter des DAAD. Offenbar aus Zeitgründen fand dazu keine Aussprache statt. Möglicherweise war es schwierig, ein solches Konzept in die künftigen neuen Strukturen eines HI anzusiedeln, sicher fehlte es auch an ausreichendem politischem Willen.

Gegen Ende des Transformations(Zerfalls)prozesses des alten HI in die Nachfolgeeinrichtungen schlich sich ein nie gekanntes Gefühl einer schwebenden Unverbindlichkeit und Unsicherheit ein. Einerseits  wurde ich auch mit Veranstaltungen im Magisterstudiengang, im Zusatz- und Ergänzungsstudium DaF, in Fort- und Weiterbildungskursen und in die Abiturvorbereitung Physik von Russlanddeutschen betraut, andererseits ließn die spärlichen Informationen aus dem Kreis der neuen Leitung des HI, die Vorbildstrukturen der westdeutschen Hochschulen als Zielstrukturen für die Umgestaltung des HI und die gesellschaftspolitische Last dieses Instituts nichts Gutes ahnen. Als ich dann wegen fehlenden Bedarfs entlassen wurde, war mir damit auch die Grundlage für meine Arbeit im Beirat des FaDaF als Vertreter der Universität Leipzig entzogen worden. Zwar nahm ich weiterhin Einladungen der Universitäten in Regensburg, Bochum, Mainz und Marburg zu Vorträgen zur Fachsprachendidaktik wahr, hatte verschiedene Honorartätigkeiten z.B. für das Goethe-Institut in Kurk oder an einem  Ingenieurbüro in Halle, aber eine feste Arbeit hatte ich nicht.
Schließlich besann ich mich auf meine ursprüngliche Berufung, nämlich Lehrer für Mathematik und Physik für das Lehramt an 12-klassigen Oberschulen zu sein und nahm eine Stelle als Mathematiklehrer an einer Fachoberschule für die 11. und 12 Klasse an.

Die Arbeit an meiner Habilitationsschrift habe ich in der Übergangszeit vor allem durch ein Aufarbeiten der bis dato nicht zugänglichen Literatur fortgesetzt. Schon bald schlichen sich aber Bedenken ein, ob diese Arbeit noch sinnvoll sei, ob man sich nicht durch eine Überqualifizierung Chancen am Arbeitsmarkt verbaue, denn darum ging es schließlich nur noch. So fasste ich alles in einer Monographie zusammen, die unter dem Titel „Fachunterricht versus Sprachunterricht“1994 im Europäischen Verlag für Wissenschaften Peter Lang erschien.

War es Eitelkeit oder Idealismus in einem Kraftakt diese Monographie noch zu erstellen? Vielleicht war es beides. Doch die meist wohlgemeinten Rezensionen und vor allem das Aufgreifen und das Beurteilen unserer Arbeiten und Forschungsansätze zum fachsprachlichen Unterricht auch aus geschichtswissenschaftlicher Sicht 2011 stimmen versöhnlich. Jedenfalls waren für mich die 31 Jahre Unterricht, Entwicklung von Lehr- und Lernmaterialien und didaktische Forschung am alten HI spannende und fruchtbare Jahre, und das ist für mich keine ‚DDR-Nostalgie‘.

  1. Inge Jank permalink
    September 4, 2011

    Hallo, Manfred, ich finde es sehr gut, dass Du Dich trotz anfänglicher Vorbehalte zu unserer Arbeit am alten Herder-Institut geäußert hast. Leider haben wir durch unsere Auslandseinsätze von 1978 bis 1991 den engen Kontakt zu allem, was mit der fachsprachlichen Studienvorbereitung ausländischer Studierender zusammenhing, ein bisschen verloren, es war uns sogar entgangen, dass das komplexe Lehr- und Lernmaterial (KLL), an dessen Erarbeitung wir beteiligt gewesen waren, überarbeitet werden sollte – gerne hätten wir weiter dabei über strittige Punkte „gestritten“! Dass nach der Wende auch am Herder-Institut so vieles den Bach hinunter ging, ist schon sehr schade.
    Deinem letzten Satz jedenfalls kann ich nur zustimmen: Wir hatten eine sehr kreative Arbeit an dem alten HI, es gab genügend „Neuland“ zu bearbeiten und die Möglichkeiten für eine schöpferische Arbeit waren für die Kollegen, die daran interessiert waren, sehr gut. Und das hat wirklich nichts mit Nostalgie zu tun!

  2. Martin Löschmann permalink*
    September 14, 2011

    Die Auflistung der Dissertationen, die sich mit linguistischen und didaktischen Fragestellungen des Fachsprachenunterrichts beschäftigen, ist beachtlich und belegt, welches Gewicht die wissenschaftliche Fundierung des Fachsprachenunterrichts am Herder-Institut hatte. Beim Lesen deines Beitrages fiel mir noch Gerhard Röhr ein. War er Mathematiklehrer und/oder Physiklehrer?
    Wahrscheinlich hast du ihn nicht aufgeführt, weil er sich nicht direkt mit Problemen des Fachsprachenunterrichts beschäftigt hat. Ich denke, dass er dennoch ein wichtiges Thema behandelte, das auch in den Fachsprachenunterricht hineinspielt. Seine Diss. „Erschließen der Bedeutung unbekannter lexikalischer Einheiten aus dem sprachlichen Kontext beim stillen Lesen“(3 Bde.) hat er 1991 an der Philosophischen Fakultät der Universität Jena 1991, also kurz nach der Wende, verteidigt. Sie wurde ganz gewiss noch zum großen Teil unter den Bedingungen des alten Herder-Instituts erarbeitet. Wenn ich mich nicht irre, wirkte er im Wissenschaftsbereich Fremdsprachenpsychologie mit (vgl. Ulrich Esser in diesem Blog). Mir scheint die Arbeit auch insofern beachtenswert, als Gerhard Röhr auf der Basis seiner Dissertation ein Trainingsprogramm erarbeitete, das 1993 bei Langenscheidt erschien: „Erschließen aus dem Kontext. Lehren, Lernen, Trainieren“. Ihm geht es darin hauptsächlich um die Bedeutungserschließung aus textlichen Kontexten, wobei besonderer Wert auf das Erkennen von Prämissen bei den Erschließungsprozessen gelegt wird.
    Weshalb ich mich so genau daran erinnere? Ich war einer seiner Gutachten im Bunde mit Gutachtern aus der Bundesrepublik. Wer hätte von uns vor zwei, drei, vier Jahren an eine solche produktive Konstellation gedacht!

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