Opa, du bist doch gar kein richtiger Doktor!
Zu den in letzter Zeit häufig angeklickten Beiträgen gehören solche, die sich mit Plagiaten in Dissertationen von Politikern befassen: „Martin, hast du bei deiner Doktorarbeit auch was abgeschrieben“ und „Besten Dank, Frau Dr. Schavan“. Könnte es sein, dass Surfer oder Surferinnen erkunden wollten, ob im Blog etwas zu dem letzten prominenten Fall geschrieben wurde.
Ja, es wurde, aber nur in Gestalt eines Kommentars vom 27. Sept. des vergangenen Jahres. Doch um zu dem Fall der Bundesministerin von der Leyen zu gelangen, muss man sich durch eine Vielzahl von Kommentaren durchrangeln. Ich bezog mich dabei auf SpiegelOnline vom Samstag, dem 26. Sept. 2015. Inzwischen habe ich auch den ausführlichen Spiegel-Beitrag „Der Röschenkrieg“ (Nr. 41/2.10.15) gelesen, der mich zu drei Überlegungen führte:
1) Offensichtlich ist kein Ende der Plagiatsvorwürfe und der Aberkennung von Doktortiteln besonders von Politikern abzusehen, auch wenn von der Leyen ihren behalten sollte. Aber wenn die von Vroni Plag beanstandeten Stellen wirklich „44 Prozent der gesamten Arbeit“ ausmachen, wäre das für mich ein ausreichender Grund, die Doktorarbeit in Frage zu stellen. Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass Frau Dr. von der Leyen in ihrer Arbeit einen selbständig erarbeiteten experimentellen Teil aufzuweisen hat.
2) Man kommt schon ins Staunen, wenn man erfährt, dass die Arbeit nur 62 Seiten umfasst. Das ist ja bestenfalls der Umfang von Master-, früher Diplomarbeiten. Im Vergleich zur Universität Würzburg, wo lange Zeit eine Maximallänge von nur 40 Seiten für medizinische Doktorarbeiten gefordert war, ist Frau von der Leyens Arbeit geradezu opulent. Dort bekam zum Beispiel eine Zahnmedizinerin 2002 mit einer gerademal 24 Seiten langen Dissertation den Titel. (Vgl. SpiegelOnlineUnispiegel). So etwas ist nun in der Tat nur bei den Medizinern möglich. Mein Leben lang habe ich mich gefragt, wie es möglich sein kann, dass so viele Medizinstudenten den Doktortitel in kürzester Zeit erwerben. Nicht selten werden die Dissertationen in wenigen Monaten ‚zusammengestoppelt. Das war in der DDR nicht anders. Während sich Doktoranden in der Germanistik, Anglistik, Geschichte, Psychologie und anderen sog. Geisteswissenschaften 3,4,5 Jahre schinden müssen, schaffen die Mediziner ihren Doktor innerhalb eines Jahres, nicht selten sogar parallel zum Studium. Rund 80% der Medizinstudierenden promoviert. Ich denke, es ist nicht so unfair, wenn man in akademischen Kreisen von ‚Dünnbrettbohrern‘, ‚Flachbohrern‘, ‚Doktor Schmalspur‘, ‚Türschildforschung‘ usw. spricht. Was im Rückschluss natürlich keineswegs heißt, dass der Vorwurf alle promovierten Mediziner beträfe.
Die Misere mit dem medizinischen Doktor in Deutschland ist sogar dem Europäischen Forschungsrat (European Research Council) aufgefallen. Danach ist der Dr. med. nicht mit Promotionen anderer Länder gleichzustellen: „Deutsche Mediziner, die sich um Fördergeld der EU-Institution bewerben, müssen deshalb ihre wissenschaftliche Eignung gesondert nachweisen. Für alle anderen reicht die Promotion.“ (SpiegelOnlineUnispiegel)
3) Und jetzt kommt mein Enkel ins Spiel. Eines Tages sagt er doch zu mir: „Opa, du bist doch gar kein richtiger Doktor.“ Für ihn war nur der ‚Onkel Doktor‘ ein richtiger Doktor. In der alltäglichen Kommunikation ist die Gleichsetzung von Doktor und Arzt einfach gegeben. Der Arzt wird mit Doktor angesprochen: „Der Doktor ist im Moment beschäftigt“, sagt die Krankenschwester. Der Doktor wird als Titel weniger als akademischer Grad, was er ja ist, aufgefasst. Wer im Krankenhaus einen weißen Kittel trägt, wird mit Herr Doktor angesprochen. Einem Arzt, der keinen Doktortitel trägt, begegnen Patienten nicht selten skeptisch, weil eben der Titel in der Medizin enorm prestigesteigernd ist. Können Sie sich einen Chefarzt oder gar eine Chefärztin ohne Doktortitel vorstellen? Da der Doktorgrad in der Medizin seit Jahrhunderten so stark verwurzelt ist, wird man ihn schwerlich abrupt abschaffen und ihn nur in dem Fall verleihen können, wo eine wissenschaftliche Arbeit wie in den anderen Disziplinen auch vorliegt. Dahin muss aber die Reise gehen. Nur diejenigen, die die Schmalspur verlassen, erhalten den Titel Dr. med., die anderen und dazu zählte auch Dr. von der Leyen, hätte sie nicht so arg plagiiert, bekämen für ihre über den normalen Medizin-Abschluss hinausgehende Arbeit den sogenannten medizinischen Doktor (MD) wie an angelsächsischen Universitäten, natürlich nicht für hingeschluderte Arbeiten.