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Paris – Ein Fest fürs Leben

2015 1. Dezember
von Martin Löschmann

Fest2Es gibt zu viele Erklärer und zu wenige gute Schriftsteller. (Ernest Hemingway)

FestWer meine Memoiren gelesen hat, wird vielleicht mitbekommen haben, dass Ernest Hemingway, zu meinen bevorzugten Schriftstellern gehörte, denn nicht umsonst kann man dort lesen, wie gefragt dieser amerikanische Schriftsteller auch in der DDR war. Der alte Mann und das Meer (wofür er den Nobelpreis erhielt), Wem die Stunde schlägt, In einem anderen Land, um nur drei Werke zu nennen, ausgewählt von den 14 Büchern von Hemingway in meinem Bücherregal. Darunter auch: Paris – Ein Fest fürs Leben, das ich wieder zur Hand genommen hatte, als nach der Wende die erste Reise nach Paris anstand. Gewiss, das Erinnerungsbuch, geschrieben am Ende seines Lebens, spielt nach dem 1. Weltkrieg, aber atmosphärisch schien es mir damals schon irgendeine eine angemessene Vorbereitung jenseits von üblichen Reiseführern.
Seit Anfang der 90er Jahre ward es dann allerdings nicht mehr in die Hand genommen, ja bis Paris durch die 6 terroristischen Anschläge am 13. November 2015 erschüttert wurde und dabei 130 Menschen ums Leben kamen und mehr als 350 Menschen verletzt wurden. Wie überrascht war ich, als ich über Spiegel Online vom 20.11.2015, also knapp eine Woche später, dass es zu einem „Bestseller“ geworden ist bzw. wird.

Im ersten Moment fragte ich mich, wie kann das sein; denn wie man es dreht und wendet, A Moveable Feast , so der englische Titel, stammt aus einer ganz anderen Zeit, geschrieben von einem Amerikaner, der Paris nicht als ‚Kämpfer‘, als Widerständler beschreibt, eher als Vertreter „einer lost generation“, wie uns im Studium klar gemacht worden war, und worauf auch Gertrude Stein, die Paris lebende amerikanische Schriftstellerin, Verlegerin und Kunstsammlerin gern hinwies. In ihrem Salon verkehrte u.a. Picasso, Matisse, Braque, F. Scott Fitzgerald Hemingway und viele andere Künstler und Künstlerlinnen. Französische Kulturschaffende sind eher rar.

Der sprunghafte Verkauf des Werkes nach dem furchtbaren Geschehen in Paris war für mich beim ersten Hinsehen und Nachdenken kaum einsehbar. Weil Erinnerungsarbeit nicht weiterhalf, musste das Buch erneut gelesen werden und siehe da, aus neuer Perspektive zeigt sich ein ganz anderer Hemingway. Man erfährt und erliest, dass er sich in Paris wohlfühlt und nach dem 1. Weltkrieg eine glückliche, auch ihn prägende Zeit erlebt. Er versetzt uns mitten hinein in das pralle, sinnlich erfasste Leben der Literaten- und Maler-Clubs, lässt uns teilnehmen an den Atmosphären von Boheme, Hinterhof und Literaten-Cafés, zu der auch das ‚Tratschen‘ über Künstler und Künstlerinnen gehört. So kommt der eine oder die andere nicht gerade vorteilhaft beschrieben daher. Peinlich auf jeden Fall das Kapitel „Eine Frage der Maße“, das sich um die Größe von Fitzgeralds Penis dreht. Einfach nur peinlich.
Und welch ein Schwelgen im Essen und Trinken, ein Genießer der Pariser Ess- und Trinkkultur. Was Hemingway in Paris auch anpackt, es gelingt ihm einfach, seien es bescheidene Gewinne beim Pferderennen, beim Angeln, beim Entdecken einer Lese-Fundgrube. Zwei Beispiel mögen das zeigen:
„Das Bier war sehr kalt und trank sich wunderbar. Die pommes a l’huile waren fest und gut mariniert und das Olivenöl köstlich. Ich zermahlte etwas schwarzen Pfeffer über den Kartoffeln und tunkte das Brot in Olivenöl. Nach dem ersten tiefen Zug Bier trank und aß ich sehr langsam.“
„Damals hatten wir kein Geld, um Bücher zu kaufen. Ich borgte mir Bücher aus der Leihbibliothek von Shakespeare and Company; das war die Bibliothek und der Buchladen von Sylvia Beach in der Ruhe de l`Odéon 12. Auf einer kalten, vom Sturm gepeitschten Straße war hier im Winter ein warmer, behaglicher Ort mit einem großen Ofen, mit Tischen und Regalen voller Bücher, mit Neuerscheinungen im Fenster und Fotografien berühmter Schriftsteller, sowohl toter wie lebender, an der Wand…. Als ich zum ersten Mal den Buchladen betrat, war ich sehr schüchtern, und ich hatte nicht genügend Geld bei mir, um der Leihbibliothek beizutreten. Sie sagte mir, dass ich den Beitrag jederzeit, wenn ich Geld hätte, bezahlen könnte, und stellte mir eine Karte aus und sagte, ich könnte so viele Bücher mitnehmen, wie ich wollte.“
Natürlich darf man nicht alles für bare Münze nehmen. Da ist viel Dichtung und nicht immer die Wahrheit. Übertreibungen sind an der Tagesordnung. Man denke nur an das Kapitel, in dem von einer Autoreise berichtet wird, auf der Scott Fitzgerald und Hemingway nichts anderes tun, als Whisky und Wein bis zum Abwinken, in sich hineinzuschütten und der einer der beiden, natürlich nicht Hemingway, im Hotel zusammenbricht. In der Tat eine Feier des Lebens und auch des Schreibens. Man spürt, hier schreibt ein von Paris Begeisterter, der sich vom Journalismus, von der Auslandkorrespondenz verabschiedet hat. Ein romanhaft gestaltetes Erinnerungsbuch auf der Grundlage von Tagebüchern und Aufzeichnungen aus den goldenen Zwanzigern, die 1956 aus dem Keller des Hotels Ritz ans Tageslicht kamen, als Hem wieder Paris besuchte. Und er schildert seine Zeit in Paris nicht eigentlich als Vertreter der Lost Generation, sondern eher als Glückssucher und –finder, als Überwinder der ‚Tristesse‘. Und ich bin ziemlich sicher, dass es diese Haltung Hemingways war und ist, die die Pariser und Pariserinnen, die Franzosen und Französinnen bewog und bewegt, „A moveable Feast“ erneut zu kaufen. Sie haben damit ein Buch in der Hand, in dem der Pessimismus, der Skeptizismus, die Ängste der Zeit überwunden und Werte der westlichen Zivilisation gelebt und geschaffen werden. „Im Grunde zelebrierte Hemingways Blick eine Liebe zur Schöpfung, und das Erfrischende daran war, dass er es mit der Gestik des amerikanischen handfesten Buben vom Land tat, der alle Wehleidigkeiten, auf die sich die europäische Moderne längst verständigt hatte, mit gespielter Naivität einfach übersah. Und so ging es im speziellen Fall Hemingways denn auch nicht um Entfremdung, Identität, Skepsis oder gar Angst, sondern einzig und allein um das Glück. Die kühne Dreistigkeit, auf dem puren Glück zu bestehen und das sich trist und desillusioniert gebende Paris der zwanziger Jahre auf dieses Glück hin abzutasten und zu durchsuchen, war die revolutionäre Pointe von Hemingways Paris-Buch. Nichts anderes als diese Pointe machte das Buch zu einer solchen Ausnahmeerscheinung und daher zu einem unserer ‚Herzbücher‘. (Ernest Hemingway „Paris“: Es geht nur um das Glück. Die Urfassung von Hemingways unvollendetem Paris-Buch ist endlich zu lesen. Verfasser: Hanns-Josef Ortheil. In: Die Zeit Nr. 27/2011, 30 Juni, 8.00 Uhr)

Es ist dieser Trotz, sich nicht von unmenschlichen Kräften des Islamismus und Zerstörern westlicher Kultur unterkriegen zu lassen. „Wenn du das Glück hattest, als junger Mensch in Paris zu sein, dann trägst du die Stadt für den Rest deines Lebens in dir, wohin du auch gehen magst, denn Paris ist ein Fest fürs Leben.“ Das ist es, Paris als Inbegriff westlicher Zivilisation mit hohem Symbolwert. Nicht zu zerstören ist Hemingways Botschaft heute noch. So sehr ich sie indes im Moment verstehe, so wenig kann ich verhehlen, dass ein Restzweifel nicht beseitigt werden konnte. Gut, ich bin ja auch kein Pariser, kein Franzose. Manches liest sich heute im Jahre 2015 doch recht flach. Vor allem vermisse ich Hemingways Beobachtungen und Erfahrungen im Umgang mit der französischen Kultur, mal abgesehen vom Essen und Trinken, was nicht unterschätzt werden soll.

Gespannt bin ich, wie Woody Allen uns heute, am 1.12.2015, die 20er Jahre in Paris erleben lässt. Midnight in Paris, 3SAT, 20.15
.

  1. M. T. permalink
    Dezember 1, 2015

    „Ich lese keine Romane mehr“ – das waren Deine Worte, erinnerst Du Dich? Wann Du das gesagt hast? Vor 15 Jahren in England. – Und nun dieser frische Leseeindruck aus leider traurigem Anlass. Aber ich freue mich, dass der obige Satz offenbar nicht so absolut gemeint war, wie er sich anhört. Und es ist inspirierend, wie Du das Buch mit neuen Augen gelesen und Dich hast überraschen lassen: von manchem Schwachpunkt, aber auch von seiner vitalen Kraft und seiner lebensbejahenden Botschaft. Du beschreibst einen Grund, warum ich auch Bücher nach Jahren gern wieder lese. So wie man bekanntlich nie in denselben Fluss steigt, so liest man auch nie dasselbe Buch. Und wenn es gute Bücher sind, geben sie auch neue Antworten auf neue Fragen.

  2. Ines permalink
    Dezember 17, 2015

    … Übrigens habe ich neulich Ihren Artikel zu Hemingways „Paris – ein Fest fürs Leben“ gelesen. Ich denke, dass der Hype darauf zurückgeht, dass direkt nach den Anschlägen in Paris eine alte Dame in den Medien gezeigt wurde, die als Reaktion auf die Verunsicherung dazu aufgerufen hat. Ich habe das irgendwo im Internet (vermutlich auf Facebook) gesehen. Ist ja nicht die schlechteste aller Reaktionen.

    Ines

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