Skip to content

Eine Rezension

2015 9. April
von Michael Düring

Der Autor des empfehlenswerten Buches, herausgegeben vom Engelsdorfer Verlag in Leipzig (Februar 2015), ist Martin Löschmann (1935).

Ein historisches Buch, ein wissenschaftshistorisches – oder doch eher privates (auto-) biografisches Werk, womöglich mit zu viel Familie? Auf keinen Fall ist es eines, was der Leser so schnell wieder aus den Händen legen wird. Die Zielgruppe beschränkt sich keinesfalls auf im Buch Erwähnte mit und ohne Doktortitel. Ein Wissenschaftler schaut zurück auf 80 Lebensjahre, auf eine Zeit voller Umbrüche und auf ereignisreiche Lebensstationen. Er zeichnet somit Zeitbilder, die bewegen  in jeweils bewegten Zeiten. Wie für J.S. Bach ist der Hauptschaffensort Leipzig, was aber nicht dazu führt, dass hier am Ausgangsort der friedlichen Revolution verweilt wird, besonders vor allem, weil dieser Ort zum Schauplatz eines weniger friedlichen Einschnitts in den Lebenslauf eines Mannes wird, der dennoch nicht nach Abrechnung, gar nach Rache trachtet. Das macht das Buch und den Autor groß. Zielgruppe, d.h. mögliche Leserschaft, könnte aus Ossis aller Generationen bestehen, müssten unbedingt Wessis sein, wenn sie Motive, Motivation und Zeitläufte im und nicht außerhalb des Systems des Wissenschaftlers ergründen möchten, der aus verschiedenen Umwälzungen, die dem Krieg, der Vertreibung, dem Neuanfang unter sozialistischer Regie und der Abwicklung der DDR geschuldet sind, nicht frustriert und gedemütigt hervorgeht/hindurchgeht.

Angekommen in einem neuen Deutschland, das sich demokratisch gibt, fühlt er sich nicht mehr willkommen und verstanden und hier setzt die über das Buch hinausgehende ernüchternde Erkenntnis ein, dass egal, welche Vorzeichen herrschen, Macht, Geld und Eigennutz die wirklichen Motive zu sein scheinen. Parteiabzeichen und Mitgliedsbücher waren folglich während der gesamten erzählten Zeit (1935-2015) nie unwichtig, um Macht, Einfluss und materiellen Wohlstand zu erringen. Es wird deutlich, dass nicht jeder, der Hitler folgte, ein Verbrecher war und nicht jedes SED-Mitglied im Nachgang ohne Kenntnis der jeweiligen Gegenwart zu verdammen ist. Zeitzeugen, die die 80 Jahre des Autors begleiten, können Auskunft geben, dass Menschlichkeit in jeder Diktatur und zu jeder Zeit gewahrt werden kann, dass Lebensfreude und Lebensmut dem Schreiber nicht verloren gingen.

Unerhört, ungehört – auf alle Fälle des Hörens wert sind diese Erinnerungen unbedingt. Wenn eingangs gefragt wird, ob es nur dem Historiker zu empfehlen sei, weil Krieg und Nachkriegszeit sehr fesselnd beschrieben werden, so ist das Buch auch für historisch interessierte Leser zu empfehlen, die die Nachwendezeit und die mit ihr einsetzenden Profilierungskämpfe an Universitäten (in den neuen Bundesländern) verstehen möchten. Nicht zuletzt ist es ein Muss für alle, die vorschnell das heutige Russland unter Putin geißeln und verachten, sich auf der demokratischen Seite wähnend. Der Autor hätte dazu selbst allen Grund gehabt, wären seine schrecklichen Kriegserlebnisse nicht durch jahrelange Arbeits- und Freundschaftsbeziehungen relativiert worden, einseitig Gräueltaten der Russen gegenüber deutschen Frauen im Fokus verblieben. Es war Nazideutschland, das Leid in die Welt trug.

Nicht zuletzt versteht es der Autor, wie in seinem Lesebuch „Einander verstehen“ (mit Marianne Löschmann 1997), Brücken der Verständigung zu schlagen. Durchsetzt mit literarischen Zitaten liest sich das Buch auch für Literaturfreunde, meist mit einem Augenzwinkern, mit Freude und verrät, dass sich der durch sein Studium literarisch geprägte Autor besonders der Germanistik und gelegentlich der Anglistik zugehörig fühlt. So ist sein Werk wie Silitoes  „Loneliness of a long-distance runner“ ein Sprint durch ein spannendes Leben und wie bei Silitoe ist dieser Lauf auch Therapie und Selbstfindung, Erklärung und Verarbeitung. Diese Ausflüge beleben die Lektüre und das gerade, weil der Autor, um mit Mark Twain (mit dem Löschmann sein Buch beschließt) zu argumentieren, sein Arbeitsleben der Vermittlung der „awful German language“ widmete. (Martin Löschmann war über 32 Jahre auf dem Gebiet Deutsch als Fremdsprache tätig.) Auf dieser Reise, nicht selten per Rad, erhält der Leser Einblicke in die Lebensstationen Finnland, Großbritannien, China und immer wieder Russland. Kurzweilig sind gerade die interkulturellen Erlebnisse, Missverständnisse und Anekdoten. Es ist ein Buch so bunt wie das Leben, nachdenklich und doch lebensfroh und immer die Neugier weckend, die dem 80jä¤hrigen nie abhanden zu kommen scheint. Somit ist es auch kein Buch für Langweiler und Nicht-Neugierige!

Filmemacher wären eingeladen, eine angemessene Umsetzung zu schaffen, Ironie dürfte nicht fehlen. Fokus wäre auf das alle Ideologien Überdauernde der „Menschlichen Komödie“ zu richten ohne zu richten… Namen hingegen wären Schall und Rauch. Der Klappentext erwähnt Lebenskatastrophen. Zweifelsfrei ist die Zwangsbeendigung der Professur in Leipzig als solche erlebt worden, dennoch öffnete sich nach dieser geschlossenen Tür ein neues Fenster – “ Room with a view “ – nach London/ Kingston, später China und lässt den Autor heute in illustrer Terrassengesellschaft über den Dächern des Prenzelbergs in den Olymp der Autoren aufsteigen. Dort angekommen, geht es nicht höher hinaus – will man meinen … und so radelt er über den Dächern von Berlin dahin, bis das letzte  – das verbotene – Kapitel gelesen werden darf. Es soll dann gelesen werden, wenn der Autor sich von dieser Welt verabschiedet hat, und entzieht sich so der Rezension…

Fazit: besonders lesenswert + sehr zu empfehlen!

 

  1. Helmut König permalink
    April 21, 2015

    Fürwahr eine gelungene Rezension deiner Memoiren, lieber Martin. Ich denke, sie trifft genau das, was du als Autor sagen wolltest.
    Da kann ich nichts Wesentliches mehr hinzufügen. Respekt dem Rezensenten!

    Ja, lieber Martin, dein Buch hatte ich eine Woche nach deinem 80. Geburtstag bereits vollständig gelesen. Mir bleiben nur ein paar
    persönliche Bemerkungen, die mir beim Lesen kamen. Ich bin gut mit deinen Gedankengängen klar gekommen. Ich würde auch mehr dazu neigen, dass es sich mehr um eine Dokumentation handelt als um einen Roman.
    Wie schon in einer Email mitgeteilt, gibt es, vor allem was Kindheit und Jugend betrifft, eine Reihe Parallelen zu mir. Ich erinnere mich besonders an die Ablehnung, die wir “vertriebenen ” Neuankömmlinge in der neuen Heimat erfahren mussten.
    Mich hat dieser Teil der Memoiren motiviert, für meine Enkel eine “Familienherkunft” nieder zuschreiben. Das scheint mir vor allem vor dem Hintergrund, dass ihr Vater leider nicht mehr unter uns ist, angezeigt und sinnvoll.

Trackbacks and Pingbacks

  1. Zwischenbilanz IV: Wohin nun des Wegs? | Herderblog.net

Kommentar schreiben

Info: Benutzung von einfachem XHTML (strong,i) erlaubt. Die E-Mail-Anschrift wird niemals veröffentlicht.

Kommentar-Feed abonnieren