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Wie viele Funktionen kann der Mensch bewältigen?

2014 10. Juni
von Martin Löschmann

Vor wenigen Jahren stieß ich rein zufällig auf eine Sendung, in der die ehemalige Bundestagspräsidentin, Frau Dr. Rita Süßmuth, Jahrgang 1937, CDU-Mitglied, vor ihrer politischen Laufbahn auch als Professorin an den Universitäten Bochum und Dortmund tätig, danach gefragt wurde, wie sie in ihrem Alter die mehr als 100 Mitgliedschaften, Funktionen und Aufgabenbereiche bewältige. Darunter seien ja nicht nur Mitgliedschaften in Stiftungen, Kuratorien, Sachverständigen-Räten, Aufsichtsräten, Vorstandsmitgliedschaften, sondern auch Präsidentschaften, so z.B. sei sie ja Präsidentin des Deutschen Volkshochschul-Verbandes, Präsidentin des Deutschen Polen Instituts, Vorstandsvorsitzende der Deutsch-Polnischen Wissenschaftsstiftung. Obwohl sie sich redlich mühte, eine plausible Erklärung zu finden, blieb ein unaufgeklärter Rest und für mich die Frage, auf wie vielen Hochzeiten kann der Mensch  und sei er noch so begabt, mit Kraft und Energie reichlich ausgestattet tanzen?
Sicherlich kann man da keine definitive Antwort finden, zu unterschiedlich sind die Menschen. Nur im Fall von Frau Süßmuth schien mir damals das Maß des Machbaren überschritten.
Das trifft für mich auch für den CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler in neuester Zeit zu, denn wie aus „veröffentlichungspflichtigen Angaben“ hervorgeht, glänzte der CSU-Politiker in den vergangenen Monaten dieses Jahres durch Abwesenheit bei namentlichen Abstimmungen. Dafür hat er aber seit der Bundestagswahl im Oktober 2013 insgesamt 19 Mandanten betreut.
Die Anhäufung von Mitgliedschaften in Beiräten, Sachverständigengremien, Präsidentschaften u.a.m. finden sich auch im Wissenschaftsbetrieb, wenngleich die von Süßmuth erreichte Zahl extrem bleibt. Bei den vielbeschäftigen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen fragt man dann schon, woher sie die Zeit für Forschung und Entwicklung nehmen, wenn sie derart mit anderweitigen befasst sind, und sich zudem mit dem Einwerben von Drittmitteln und Projekten herumschlagen müssen.
Als ich erfuhr, dass Prof. Dr. Gerhard Neuner von der Universität Kassel meine Stelle im Redaktionsbeirat der Zeitschrift Deutsch als Fremdsprache übernahm, beschlichen mich ähnliche Gedanken und ich schrieb ihm, wieso er, der doch in -zig Gremien säße, nun auch noch im Beirat der renommierten Zeitschrift des Herder-Instituts der Leipziger Universität Einzug halten müsse. Ich könne nicht sehen, inwiefern er bei unserer international anerkannten Zeitschrift Entwicklungshilfe leisten müsse. Er könne sich doch in der von ihm mitbegründeten und mitherausgegebenen Zeitschrift Fremdsprache Deutsch (klett edition deutsch) verwirklichen und würde zweifelsfrei als Beiratsmitglied einer anderen Zeitschrift in einen Interessenkonflikt geraten.
Sicherlich verdient es neidlose Anerkennung, was dieser Mann für DaF leistete: Herausgeber der Reihe „Fremdsprachenunterricht in Theorie und Praxis“ (FiTuP)/München: Langenscheidt, seit 1978; Herausgeber der Reihe „Kleine Reihe Deutsch als Fremdsprache“, München: klett edition deutsch, seit 1991; Mitherausgeber (mit B.D. Müller) der Reihe „Studium Deutsch als Fremdsprache“ Sprachdidaktik“, München: iudicium, seit 1982 (bis 1995); Mitherausgeber (mit H. Funk) der „Kasseler Werkstattberichte zur Didaktik Deutsch als Zweit- und Fremdsprache“, Kassel, seit 1988; Mitherausgeber (mit I. Haller) „Materialien zur Ausländerpädagogik“, seit 1995. Doch bei der Benennung  „Allgemeiner Herausgeber“ der Fernstudienreihe „Deutsch als Fremdsprache“, München: Langenscheidt, seit 1991, stutze ich. Ich kenne die Allgemeine Frankfurter Zeitung und lese sie gelegentlich sogar, den Allgemeinen Deutschen Automobil-Club, bin Mitglied des ADAC, besitze allgemeine Fachliteratur, befasse mich immer noch gelegentlich mit allgemeiner Psychologie, habe in meiner Zeit in England den auf Hume zurückgehenden wohltuenden Utilitarismus als ein dominierendes Prinzip erlebt, das die allgemeine Wohlfahrt ins Zentrum rückt, kenne allgemeine Teile in wissenschaftlichen Arbeiten, aber allgemeiner Herausgeber? Ein Herausgeber, der über dem jeweiligen Herausgeber steht, ein Oberkompetenter, ein Oberrezensent, ein Oberwissenschaftler, so ein Überherausgeber ist mir bisher nicht untergekommen.
Wie auch immer man die Vielbeschäftigung beurteilen möge, ich bleibe dabei: Prof. Gerhard Neuners Eintritt in den Beirat der Zeitschrift Deutsch als Fremdsprache nach der Wende war ein Schritt zu viel oder anders formuliert: des Guten zu viel.

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