Skip to content

Hätte er sich nicht eigentlich entschuldigen müssen?

2013 23. Oktober
von Martin Löschmann

Könnte es sein, dass in den letzten Jahren Entschuldigungen in der gesellschaftlichen Kommunikation zugenommen haben? Ich denke schon. Gewiss, eine Entschuldigung kann Geschehenes nicht ungeschehen machen, aber sie vermag manches. Allerdings nur dann, wenn sie Ausdruck tatsächlichen Bedauerns ist und ein bestimmtes Maß an Schuldeingeständnis enthält.

Beim folgenden Fall, der ein Abfallprodukt meiner Erinnerungen darstellt, frage ich Sie, die Blogleserinnen und -leser, wäre hier nicht eine Entschuldigung nach nunmehr rund 20 Jahren angebracht?

Ausdrücklich will ich erklären dass ich die Hürde für die Entschuldigung nicht so hochhängen will, wie es Nietzsche einst getan hat: „Wenn sich jemand vor uns entschuldigt, so muß er es sehr gut machen: sonst kommen wir uns selbst leicht als die Schuldigen vor und haben eine unangenehme Empfindung.“

Wer meine Blog-Beiträge zur Situation in der Wendezeit gelesen hat, wird verstehen, in welcher Not ich mich damals befunden habe. In dieser mehrfach beschriebenen Situation war ein 1993 in Aussicht gestellter bescheidener Lehrauftrag im Rahmen der „Zusatzausbildung von Lehrerinnen und Lehrern für Schülerinnen und Schüler verschiedener Muttersprachen“ an der Hamburger Universität ein tröstlicher Lichtblick. Prof. Rehbein, Professor für Linguistik des Deutschen/Schwerpunkt Deutsch als Fremdsprache am Germanischen Seminar der Universität Hamburg und verantwortlich für diese Zusatzqualifizierung hatte mich in diesem Rahmen laut Protokoll der 78. GK-Sitzung vom 6.4.1993 für Seminartätigkeit mit der Begründung vorgeschlagen, dass ich mich mit der Wortschatzarbeit im Fremdsprachenunterricht befasst habe und mit über 200 Publikationen als Experte auf diesem Gebiet gelten kann. Meine Frau, Dr. Marianne Löschmann, sollte ebenfalls einen Lehrauftrag erhalten und hat diesen dann auch über vier Semester wahrgenommen. Frohen Muts sind wir nach Hamburg zur Vorbereitungsveranstaltung aufgebrochen. Doch für mich endete diese Fahrt mit einer herben Enttäuschung, Prof. Rehbein musste mich ausladen, was ihm sichtlich nicht leicht fiel. Meine Empörung entlud sich himmelwärts. Warum hatte man mich bloß nach Hamburg kommen lassen? Wozu diese Demütigung? Du musst lächeln, immer nur lächeln, das Gesicht wahren, erhobenen Hauptes die Veranstaltung verlassen. Trotz eigenen Zuspruchs schaffe ich es nicht, was ich hätte schaffen müssen. Hochrotes Gesicht, fahrige Gesten, lautes Sprechen. Ein für mich neues Wort dringt an mein Ohr: Telefondemokratie – kurzfristige Entscheidungen werden durch Anrufe von Entscheidungsträgern untereinander geregelt wie in diesem Fall. Er bitte um Entschuldigung. Networking. Ich brauchte keine gute Spürnase, um herauszufinden, woher der Initialschuss kam. Ich schreibe an Hans-Jürgen Krumm, Professor für Sprachlehrforschung am Zentralen Fremdspracheninstitut der Universität Hamburg (1975 – 1993), einen recht ausführlichen Brief, in dem ich einfach meine Situation beschreibe, keinerlei Angriffe, kaum Anspielungen, ein Zitat von Gerhart Hauptmann, das bestenfalls aufhorchen lassen könnte: Moralische Urteile sind Bequemlichkeit. Inzwischen bin ich klüger geworden und würde einen derartigen Brief im Klartext formulieren. Der damalige Brief beginnt so:

„…es scheint mir nunmehr angezeigt, Ihnen persönlich mitzuteilen, daß in dem Leipziger Arbeitsgerichtsbeschluss vom 29. Januar das Fortbestehen meines Arbeitsverhältnisses verkündet worden ist. Zwar hat der Freistaat Sachsen wie in allen anderen Fällen Einspruch erhoben, aber die Vorlage des neuerlichen Schriftsatzes beim Landesarbeitsgericht in Chemnitz bereitet offensichtlich Schwierigkeiten, der Freistaat mußte um Fristverlängerung nachsuchen.“ Wie der aufmerksame Blogleser weiß, wurde der Einspruch abgelehnt und die Leipziger Uni musste mich wieder einstellen.

Prof. Krumm antwortete mir postwendend, was man von anderen Kolleginnen und Kollegen nicht sagen kann. Deshalb sei ihm dafür an dieser Stelle ausdrücklich gedankt:

„Sie haben mir eine ausführliche Darstellung zugeschickt, ich vermute, im Zusammenhang mit der Frage Ihres Auftrags an der Universität Hamburg. Ich darf Ihnen zunächst einmal sagen, daß dies von der gesetzlich hierfür vorgesehenen Kommission per Abstimmung beschlossen wird – und in dieser Kommission übe ich wegen meines Weggangs nach Wien mein Stimmrecht in diesem Semester nicht mehr aus…“

Ich habe zwar zu den Vorgängen in Leipzig eine Meinung und habe diese meinen Hamburger Kolleginnen und Kollegen nie vorenthalten und auch in Leipzig nie ein Geheimnis daraus gemacht, glaube aber nicht, daß es sinnvoll ist, daß wir dies nun per Brief hin- und hertransportieren. Mich hat nur sehr erstaunt, daß Sie den Hamburger Kollegen offenbar über die Verfahren in Leipzig und Ihre Situation dort so gar nichts mitgeteilt hatten – das hat sicher nicht gerade zur Vertrauensbildung beigetragen.“

 

Nach dem bereits zitierten Protokoll sind indes Herrn Krumms Interventionen nicht zu übersehen, schwarz auf weiß: „Nachdem Herr Rehbein von Herrn Krumm kurzfristig darüber informiert wurde, daß gegen Herrn Löschmann Vorwürfe im Rahmen (im Original fehlt im) einer SED-Parteisekretär-Tätigkeit am Herder-Institut erhoben werden, hatte er die Auskunft erhalten, daß die Universität bei der Vergabe einsemestriger Lehraufträge grundsätzlich keine politische Überprüfung vornehme (Frau Wagner) und daß der Prorektor der Universität Leipzig, Prof. Wartenberg wegen des Lehrauftrags keine institutionellen Einwände erheben werde. Weder Prof. Helbig vom Herder-Institut noch Prof. Wartenberg hatten von dem (möglichen) Hamburger Lehrauftrag für Prof. Löschmann Kenntnis. Außerdem habe Herr Löschmann in einem von ihm gegen das negative Urteil der Fachkommission erhobenen Widerspruchsverfahren in erster Instanz Recht bekommen.

Da formal nichts dagegen spricht, es sich um einen einmaligen Lehrauftrag handelt und insbesondere kurzfristig die Sicherung des Lehrangebots für das Sommersemester 1993 bei einer Ablehnung von Herrn Löschmann möglicherweise nicht gewährleistet wäre, schlägt Herr Rehbein der GK vor, sich für die Erteilung eines Lehrauftrags an Herrn Löschmann auszusprechen.

Herr Krumm führt dagegen an, daß Herr Löschmann SED-Parteisekretär war und daß ihm ehemalige Kollegen von Herrn Löschmann Beschwerden über ihn zu Ohren gekommen seien. Außerdem hätten sich einige Kollegen aus der ehemaligen DDR negativ über die Erteilung eines Lehrauftrags an Herrn Löschmann geäußert.

Die GK spricht sich mit einer Gegenstimme gegen die Erteilung eines Lehrauftrags an Herrn Löschmann aus.“

Liebe Leserin bzw. lieber Leser, falls Sie den Protokollauszug gelesen haben, bitte ich Sie bei Ihrer Beurteilung des Textes die Charakteristika der Textsorte zu beachten. Legen Sie nicht jedes Wort auf die Waagschale, mein Arbeitsgerichtsprozess z.B. hat nichts, aber auch rein gar nichts mit dem Urteil der Fachkommission zu tun, denn dessen Ergebnis ist mir ja bis heute nicht mitgeteilt worden, sondern eindeutig der sogenannten Integritätsüberprüfung geschuldet. Was allerdings aus dem abgedruckten Protokollteil unmissverständlich hervorgeht, ist doch wohl Folgendes: Da kommt einer daher, wendet sich gegen mich, obwohl ein gerichtliches Urteil vorliegt, das alle von Herrn Krumm kolportierten Vorwürfe für nichtig erklärt, stellt sich selbstgefällig und selbstgerecht – sehen so moralische Sieger aus? – über den richterlichen Spruch und beruft sich überdies noch auf Hörensagen. Doch eigentlich eines Wissenschaftlers unwürdig. Selbst der im damaligen Universitätsjargon als ‘Großinquisitor‘ bezeichnete Prorektor Prof. Günther Wartenberg, viermal als Kandidat für den Rektorenposten gescheitert, hatte keine Einwände gegen die Wahrnehmung meines Lehrauftrags.

Könnte es so sein? Dem anderen keine neue Chance geben, getrieben vom Motiv der Interpretationshoheit, der vermeintlichen fachlichen und moralischen Überlegenheit. Nun gut, vielleicht kann ein Zitat von Kant es richten: „Aus so krummen Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.“ Aber wäre eine Entschuldigung im gegebenen Fall nicht doch wenigstens ein Schritt zur gewiss nie erreichbaren Gerade?

 

 

 

 

 

Ein Kommentar Kommentar schreiben →
  1. F. Christianus permalink
    Januar 28, 2016

    Ohne Kommentar:

    Krumm kann nicht gerade werden, noch, was fehlt, gezählt werden.
    (zitiert aus der Lutherbibel 1984)

Kommentar schreiben

Info: Benutzung von einfachem XHTML (strong,i) erlaubt. Die E-Mail-Anschrift wird niemals veröffentlicht.

Kommentar-Feed abonnieren