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Fundsache: Das verschwundene Idol

2013 21. März
von Marianne Löschmann


Vor einiger Zeit war ich zu einer Lesung im Griechischen Kulturinstitut Berlin. Ulf-Dieter Klemm, unser Terrassen-Nachbar auf dem Prenzlauer Berge, stellte sein Buch „Das LeventisIdol“ vor. Nicht etwa ein Idol, wie wir es in unserer Alltagssprache verstehen, verschwand, nein, ein ‚echtes Idol, eine Marmorfigur aus der Kykladenkultur im alten Griechenland wurde aus einem Museum auf Amorfos gestohlen.

Der exzellente Griechenlandkenner, Dr. Klemm, hat dazu ein von ihm selbst als Kriminalroman geortetes Buch vorgelegt, was es vordergründig zweifellos auch ist, das darüber hinaus jedoch dem Zweck dienen soll und kann, junge Griechenlandbesucher für dieses Land zu interessieren und zu sensibilisieren, einer im weitesten Sinne pädagogischen Zielsetzung. Als ich das Buch, durch die Lesung animiert, dann im Nachhinein las, schon um zu erfahren, was für ein Idol da unter welchen Umständen und wer vielleicht noch verschwand, stieß ich auf eine  „Fundsache“, wenn auch das Herder-Institut da nicht explizit genannt ist.

Am Kriminalfall aktiv beteiligt, ist nämlich ein Grieche, der vor vielen Jahren in Leipzig studiert hat, was zumindest eine einjährige Ausbildung in der deutschen Sprache allgemein wie in der Fachsprache am HI eingeschlossen haben muss. Er bestätigt das: „Ich habe Deutsch in Leipzig gelernt.“ Und prompt wird von seiner Gesprächspartnerin als erstes Merkmal bezeichnenderweise vermerkt, dass sein Deutsch wohl einen sächsischen Tonfall habe. (S. 60) Aber nicht das war mir schon ein ausreichender Grund, das genannte Buch als Fundsache im Herderblog einzustellen. Aris Kammenos` tragisches Schicksal hat mich dazu bewegt. Der Ausgangspunkt für seine Lebensgeschichte war bei nicht wenigen unserer Studenten so oder so ähnlich: Sie hingen und gingen in ihrer Heimat revolutionären Ideen nach, kamen aus Ländern, in denen sie wegen dieser Gesinnung verfolgt, ausgegrenzt, auch gefoltert worden sind. Zum Beispiel in den Jahren nach 1949 in Griechenland.
„Dies ist eine lange Geschichte“, berichtet Aris, „die zurückgeht bis zum Krieg, bis zur deutschen Besetzung“. Die griechischen Kommunisten lehnten die Nachkriegsordnung ab und starteten 1947 den offenen Krieg gegen die Athener Regierung, der erst im August 1949 zu Ende ging.“(S. 131) Er erzählt später, dass er nach Makronissos kam, auf die berüchtigte Insel vor Sounion, in ein so genanntes militärisches Umerziehungslager. „Hier sollten wir junge Rekruten eine Erklärung unterschreiben, dass wir dem Kommunismus abschwören. Die meisten haben sich geweigert, manche aus  Überzeugung, manche aus „filotimo‘, aus Stolz. Ich hatte damals keine Ahnung vom Kommunismus. Dann begann die ‚Umerziehung‘. Danach war ich Kommunist. Umerziehung bedeutete Prügel, Erniedrigung, Arbeiten bis zur Erschöpfung. Es war entsetzlich, ein Alptraum. Jeden Tag fielen einige um und unterschrieben die berüchtigte Erklärung. Die wurde dann im Radio verlesen, damit alle die Schande hören konnten. Die Genossen, die unterschrieben, haben ihren Körper gerettet, nicht jedoch ihre Seele. Ich habe mich bis zuletzt geweigert. Schließlich wurde ich nach einem Sondergesetz wegen staatsfeindlicher Umtriebe zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. “ (S. 143) Nach Umerziehungslager und acht Jahren abgesessener Zuchthausstrafe entlassen, steht er vor dem Nichts, erhält über Umwege ein Ausbildungsstipendium in der DDR, bleibt jedoch auch nach abgeschlossenem Studium zurück in Griechenland ohne Perspektive, findet nie eine richtige Arbeit.

Solch Bemühungen um Ausbildung unter Entbehrungen, in einem fernen, fremden Land, um später in der Heimat ein menschenwürdiges Leben führen zu können, erwiesen sich für viele unserer Studenten als ein geeignetes Sprungbrett in eine bessere Zukunft, führten aber auch bei so manchem zu lebenslanger Entwurzelung. Wenngleich vielleicht nicht mit einem so dramatischen Ende, das hier natürlich nicht ausgeplaudert werden darf, schließlich haben wir es erklärtermaßen mit einer Kriminalgeschichte zu tun, die allerdings auch auf ihren anderen Erzählebenen kein Happyend ermöglicht. Das Verständnis des Autors für die Handlungsweise von Aris ist nicht zu ‚überlesen’˜, wenngleich Selbstjustiz keinen Lösungsweg darstellt. Das wissen wir.

„Das verschwundene Idol“ kann ich allen an Griechenland und seiner Geschichte Interessierten nur empfehlen, zwar ist es ureigentlich für Jugendliche geschrieben, die mit ihren Eltern einen Urlaub in Griechenland verbringen, aber Naturschönheit, kulturelle Traditionen und Historie kommen uns so plastisch direkt entgegen, dass alle ihre Freude an der Reiselektüre haben werden.

Ich danke Ulf-Dieter Klemm auch dafür, dass er diesen Fundsachen-Text inspiriert hat.

 

 

 

Collage: Lela Klemm

 

  1. Antonio Marmaras permalink
    April 28, 2013

    Marianne,
    deine Fundsache hat mich interessiert. Die Geschichte von Herrn Dr. Klemm möchte ich unbedingt lesen. Ich bin zwar kein Grieche, sondern ein Zyprer, dennoch ging es mir in Nikosia ähnlich wie Aris Kammenos.
    Auch ich studierte in der DDR und habe in Leipzig am Herder-Institut Deutsch gelernt. Nach vier Jahren Studium an der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar 1973 in Nikosia zurück, arbeitete ich zunächst ein Jahr selbstständig. Bis zum Putsch Juli 1974. Nach sechsmonatiger Arbeitslosigkeit fand ich eine Anstellung in den Vereinigten Arabischen Emiraten, später in Saudi Arabien. Erst 1983 konnte ich wieder fest in meinem Heimatland Zypern Fuß fassen. Also, ich bin froh, dass mein Schicksal nicht tragisch verlief.
    In meiner Studienzeit kannte ich eine ganze Reihe Griechen, die als Migranten, die nach dem Bürgerkrieg in Griechenland auswanderten. Die meisten wohnten in Görlitz, in der Nähe von Dresden. Durch diese Menschen hatte ich ein klares Bild, von dem, was in ihrer Heimat gleich nach dem Zweiten Weltkrieg geschah.
    Übrigens, ich weiß natürlich, dass Aris Kammenos eine erfundene Figur ist, bestimmt ist es ein Zufall, dass ein heutiger griechischer Politiker den gleichen Nachnamen trägt.

  2. Antonio Marmaras permalink
    August 15, 2013

    Hier endlich mein Kommentar über das „Verschwundene Idol“ von Dr. Ulf-Dieter Klemm in Stichworten:

    – Der Roman ist gleichrangig mit den Poireau Kriminalgeschichten.
    – Unerwartetes Ende.
    – Als Ausländer hatte ich keine Schwierigkeiten die Handlung zu verstehen.
    – Blühende Phantasie.
    – Reicher Wortschatz – großer Unterschied zwischen:
    schweißverklebte Haare und windzerzausten Haare.
    – Lebendige Charakter- Szenen- und Umgebungsbeschreibungen.
    – War froh, dass der Schriftsteller die Geschichte über die Obsidian Steinklinken und die Zykladenidolen beherrschte.
    Er konnte mehr beibringen:
    – Die „unschuldige“ Myrto` durfte von einen Fall cherchez la femme nicht fehlen.
    – Die tragische Biographie von Aris Kammenos sinnvoll beschrieben.
    – Nach meinen Untersuchungen in allen Richtungen steht kein Name Kammenos auf der Liste der griechischen Herderinstitutsstudenten.
    – Jeder Leser des Buches wird mir Recht geben, dass der Sinn der Sache nicht im verschwundenen Idol liegt, sondern in den zerrissenen unerfüllten Idealen des jungen Aris Kammenos.

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