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Deutsch für Ausländer und was sagt Loriot dazu

2011 29. August
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von Martin Löschmann
DPA
>Loriot (1923 – 2011)

Wohl fast jeder DaF- oder DaZ-Lehrende hat gelegentlich in irgendeiner Weise Loriot mit seinen Sketchen und seinen Zeichnungen in den Unterricht eingebaut. Ich jedenfalls reihe mich gern in die Gemeinschaft der Loriot-Verehrer und -nutzer ein und weiß, er wird uns mit seiner humorvollen Aufdeckung von zwischenmenschlichen Beziehungen im Alltag fehlen, auch seine Live-Auftritte mit dem ihm eigenen verschmitzten eleganten Lächeln werden wir vermissen.
Wie oft haben wir nicht geschmunzelt über die Geschichte mit dem Ei, das doch nur genau 4 1/2 Minuten gekocht werden sollte, über die hintersinnige Gegenfrage Wie findest Du mein Kleid? – Welches? oder die Nudel, bei der ein auf dem Gesicht des Mannes herumwandernder Spaghetti-Rest das Rendezvous schließlich scheitern lässt. Doch am häufigsten habe ich Loriots 8. Lektion für die Mittelstufe Deutsch für Ausländer genossen, indem ich sie immer wieder verwendete. Wenn es um die Charakterisierung eines formalen grammatikalisierenden DaF-Unterrichts in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von ausländischen Deutschlehrern und deutschen DaF- und DaZ-LehrerInnen ging, musste Loriot herhalten, sei es als Einleitung, sei es den eigenen Text als Zwischenstück begleitend oder sei es als Schlusspointe. Auch wenn tote Sätze in Lehrbüchern, Grammatiken und Übungsbüchern Gegenstand von Auseinandersetzungen waren, ließen sich entsprechende Kontroversen mit Loriots feinsinnigen nichtkommunikativen Dialogen in surrealen Alltagsituationen würzen, anheizen, aber auch entspannen. Ich habe sogar in meinem Berufsleben mehrmals als Mitspieler bei Inszenierungen dieses Sketches mitgewirkt, meistens habe ich Viktor gespielt, der erst im letzten Viertel des Dialogs zu Wort kommt und nur die drei Sätze zu sagen hat: Ich heiße Viktor. Ich wiege 82 Kilo. Das ist meine Aktentasche.
Und so beginnt die Geschichte: Ein Mann und eine Frau liegen halbnackt im Bett. In ihrem Dialog soll zwischen dem bestimmten und dem unbestimmten Artikel unterschieden und das Possessivpronomen geübt werden, wobei wir gleichzeitig das Konjugieren im Präsens üben.
Der Dialog besteht, abgesehen von der Eingangsfrage: Wie heißen Sie? nur aus isolierten einfachen Aussagesätzen:  Ja, Schmoller ist mein Nachname. Mein Mann heißt Viktor. Wir besitzen ein Kraftfahrzeug. Mein Mann fährt mit der Bahn ins Büro. Der fremde Mann Herbert:  Ich bin 37 Jahre alt und wiege 81 Kilo. Sogar der Konjunktiv wird angeboten: Wenn Viktor eine Monatskarte hätte, käme er um 18 Uhr 45. 
 Besser natürlich: sehen und hören
 
 
Es versteht sich von selbst, dass auch DDR-Lehrbuchautoren Loriots Humor, der mit präziser Beobachtungsgabe Situationen im Alltag messerscharf seziert, gern in Lehr- und Lernmaterialien aufgenommen hätten. Nicht dass es in der DDR keine Lizenzausgaben von Loriot gegeben hätte, doch die sture und starre Abgrenzungspolitik der DDR ließ es einfach nicht zu, auch nur an die Übernahme eines Sketches zu denken, selbst dann nicht, als Loriot 1985 seine bekannte Ausstellung im Brandenburger Dom hatte, organisiert von seinem Geburtsort Brandenburg an der Havel. Mit seiner Vaterstadt fühlte sich Loriot stets verbunden. So gründete er 1993 die Vicco von Bülow-Stiftung zur Rettung seiner Taufkirche, spendete Honorare und sammelte darüber hinaus 1,5 Millionen DM für den Wiederaufbau des Brandenburger Doms. Auch von dem Auftritt zusammen mit Evelyn Hamann im Palast der Republik 1987 sprach man in der ganzen DDR: Das Ehepaar befindet sich nach einem Konzert auf dem Heimweg in ihrem Trabant. Soweit möglich, führen sie ein Gespräch.“ Schallendes Gelächter im Saal.
Was in der DDR nicht möglich war, sollte nach der Wende verwirklicht werden. Für Einander verstehen. Ein deutsches literarisches Lesebuch, von Marianne und Martin Löschmann, 1997 bei Peter Lang in New York erschienen, war die 8. Lektion Deutsch für Ausländer vorgesehen. Während man in der DDR für Lehr- und Lernmitteln keine Lizenz brauchte, wurde nach der Wende das Erbitten von Abdruckgenehmigungen und das Zahlen von Gebühren zu einem aufwändigen und kostspieligen Zeitvertreib. Im Falle von Loriot erhielten wir keine Genehmigung –  aus welchen Gründen auch immer – nicht von Loriot alias Vicco von Bülow persönlich, sondern natürlich von einem Beauftragten mit dem Hinweis, dass Loriot prinzipiell keine Lizenz zum Druck seiner Texte erteile. Wir haben die Enttäuschung überwunden und sind ihm deshalb nicht gram. Geschäft bleibt Geschäft. Und die Zeiten ändern sich:
Ich lade mir beim Schreiben dieser gedenkenden Worte zwei Apps auf mein Iphone herunter:
eine Gratisversion und kann pro ‚Kalenderblatt‘ eine Loriotgeschichte sehen und hören, danach das Hörbuch Loriot. Sagen Sie jetzt nichts für 6,99‚¬. Der Titel bezieht sich auf Hildegard, sagen Sie jetzt nichts. Der Satz ist ja wie einige andere Formulierungen fast zur Redensart geworden: Ach was!/Das Bild hängt schief/Donnerstag ist Martha/Früher war mehr Lametta/Ich bringe sie um… morgen bringe ich sie um/Männer und Frauen passen (eben) nicht zusammen!

N.B.: In seinem kritischen Kommentar zu meinen Gedenken an Loriot verweist mein leider schon verstorbener Sohn auf Engelke.
Hier eine Probe aus Ihrem Repertoire

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  1. Jörg Löschmann permalink
    Januar 16, 2012

    Da der Tod von Loriot nun schon einige Zeit her ist und ich somit nicht mehr Gefahr laufe, den sittlichen Abstand zu missachten, möchte ich, angestoßen durch den Loriot-Beitrag zum Humor im Fremdsprachen-Unterricht, auf ein Phänomen eingehen, dass mich seit meinem Einstieg in die DaF-Welt Mitte der neunziger Jahre begleitet und immer wieder verblüfft – der begeisterte Einsatz von Loriot-Sketchen. Der obige Beitrag scheint mir diese Erfahrung zu bestätigen.
    Nun ist Humor im Unterricht in verschiedener Hinsicht ein ganz wichtiger Faktor, aber ich glaube, dass die Loriot-Sketche wenig geeignet sind, ihm zu entsprechen.
    Zum ersten ziehen sie ihren Spaß größtenteils aus partnerschaftlichen Situationen, die heute, fast zwei Generationen später, denjenigen, die zwischen 15 und 30 Jahre alt sind – also sich in dem Alter befinden, in dem man meistens Sprachen lernt -, nur noch ein müdes Lächeln abringen.
    Zum zweiten sind die Themen, aus denen die Sketche schöpfen, hauptsächlich aus der Welt der Mittelklasse, und zwar ihrer etablierten, arrivierten Schicht. Menschen, die Sprachen lernen, sind in der Regel weit von ihr entfernt, wollen diese Welt auch oft vermeiden und fühlen sich von diesen Stoffen nicht angesprochen. Das kann trotzdem ganz lustig sein, aber mit anderen, sie selbst betreffenden Themen kann man sie viel besser erreichen und motivieren.
    Zum dritten entwickeln sich die Pointen oft aus kommunikativen Situationen heraus, die heute so kaum noch entstehen würden. Damit meine ich nicht die durch E-Mail, SMS, Twitter und Chat veränderte Kommunikationsinfrastruktur und die sich aus ihr ergebenden Situationen, sondern die Art und Weise der Anbahnung, der Führung und der Beendigung von Gesprächen, das Diskutieren, Widersprechen, Zustimmen und Ablehnen.
    Zum vierten und letzten ist die Dynamik der Sketche – vorsichtig ausgedrückt – sehr verhalten. Klar, die Sketche sind vor vierzig, fünfzig Jahren kreiert worden, die Bildschnitt-Auffassungsgabe und Handlungsintensität haben sich enorm entwickelt, weshalb dieses Argument zunächst unfair erscheint. Aber es geht hier um ihren Einsatz im Sprachunterricht und nicht um eine Kritik im Feuilleton. Man kann zu der Bildschnitt-Geschwindigkeit stehen, wie man will, aber wir haben es mit einer Sprachlern-Generation zu tun, die mit MTV, YouTube und Playstation groß geworden ist. Und selbige schaltet bei einer sich allzu langsam entwickelnden Story ab, wie ich selbst in meiner ersten Zeit beim Goethe-Institut als DaF-Lehrer erfahren musste, denn natürlich setzte ich Loriot auch anfangs ein. Doch mit Harald Schmidt oder Anke Engelke, gerade mit ihren politischen und gesellschaftlichen Sketchen, provozierte ich viele satirische Aktivitäten der Kursteilnehmer und hatte somit deutlich mehr Erfolg.

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