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Gründe für eine längst fällige Diskussion

2011 7. Februar
von Martin Löschmann

  Was bleibt vom Herder-Institut? Eine Diskussion nach mehr als 20 Jahren            

Gottfried Benn: Kommt reden wir zusammen. Wer redet, ist nicht tot. 

Erst neulich wieder wurde mir entgegengehalten, dass Herder-Institut existiere doch noch und wie hätte ich sagen können, es sei nicht mehr existent. Ich antworte in gebotener Kürze, das, was heute unter Herder-Institut firmiert, ist ein Fachbereich der Philologischen Fakultät der Universität Leipzig, in dem vor allem Bachelor- und Masterstudiengänge zu Deutsch als Fremdsprache angeboten werden, darunter bemerkenswerte binationale MA-Studiengänge in Kooperation mit ausländischen Universitäten und sogar ein PhD-Studiengang zusammen mit der Universität Arizona. Gerade DaF-/DaZ-Studiengänge aber gehörten damals noch nicht zum Profil des Instituts. Das neue Herder-Institut hat mit dem ursprünglichen Herder-Institut wenig zu tun. Bezeichnenderweise hat man es nicht das Neue Herder-Institut genannt, eine Attribuierung, die sich angeboten hätte. Da auf eine Kennzeichnung der Veränderungen im Namen des Instituts verzichtet wurde, springt die Vorteilsnahme nach der Wende ins Auge. Carl Altmayer, Professor am jetzigen Herder-Institut mit den Schwerpunkten Landeskunde/Kulturstudien/ Literaturwissenschaften/Deutsch als Zweitsprache, setzt den Anfang des Herder-Instituts 1956 an und hält 2006 einen Festvortrag „50 Jahre Herder-Institut, 50 Jahre Deutsch als Fremdsprache – Traditionen und Grenzüberschreitungen“ (Deutsch als Fremdsprache 44/2, S. 67-74). Auf der Homepage des Herder-Instituts heißt es kurz und knapp: „Das Herder-Institut wurde 1951 gegründet“. Wie denn nun? Den Namen jedenfalls trägt dieses Institut erst seit 1961. 2011 sind 50 Jahre vergangen. Mir jedenfalls bietet das bevorstehende Namensjubiläum einen guten Anlass einen Blog zu initiieren, wohl wissend, dass die Gründung des Instituts für Ausländerstudium der entscheidende Schritt war. Zehn Jahre vorher hat Prof. Dr. Jochen Schröder „Zum 40. ‚Namenstag‘ des Herder-Instituts“ etwas geschrieben. In: Beiträge zur Geschichte des Herder-Instituts, herausgegeben von H.-G. Grimm und B. Wotjak) In Wikipedia ist Ende 2010 unter dem Stichpunkt Herder-Institut zu lesen: „Das Herder-Institut entsprach in vielen Dingen dem Goethe-Institut der Bundesrepublik.“ Wozu sich also mit dem Herder-Institut beschäftigen, war ja ohnehin nur eine Variante des Goethe-Instituts. Bei aller Wertschätzung des Goethe-Instituts, ganz so einfach können die Dinge nicht gesehen werden. Beim Treffen mit einigen Kommilitonen und Kommilitoninnen anlässlich unseres „Goldenen Examens“ 2010 in Leipzig machte mich Dr. habil. Lothar Kalb auf sein Buch „Sendboten Olympias. Die Geschichte des Ausländerstudiums an der DHfK Leipzig“ aufmerksam. Er hat sie als langjähriger Direktor für das Ausländerstudium an dieser Hochschuleinrichtung mitgeschrieben. Ich habe es nicht bereut, seinem sanften Drängen nachgegeben zu haben, obwohl kaum noch ein Buch in unseren Regalen Platz hat: Ein Sach- und Erinnerungsbuch zugleich, das die aus seiner Sicht bewahrenswerten Leistungen seines Instituts souverän herausarbeitet. Es bestätigt mir einmal mehr, dass das Ausländerstudium in der DDR und die dafür notwendige sprachliche Vorbereitung zu den nicht zu leugnenden Leistungen der DDR gehören und der Vorwurf der ideologischen Instrumentalisierung kein ausreichender Grund war, das Herder-Institut zu zerpflücken, klein zu machen und rund 90% der etwa 300 Beschäftigten ohne Auffanggesellschaft, ohne nennenswerte Abfindung, ohne sozialverträgliche Absicherung zu entlassen. Gut ein Jahr vor der Wende hatte ich bei Klaus von Bismarck, Urgroßneffe des ersten deutschen Reichskanzlers und Präsidenten des Goethe-Instituts von 1977 bis 89, gelesen, dass das Herder-Institut als eine Einrichtung gelte, in der „gute, deutsche Fachleute“ sind und das es dort „Sprachmaterialien“ gibt, „die nicht ideologisch so gespickt“ sind, „dass es wie die Holzwolle aus dem Sofa überall herauskommt, sachlich qualifizierte Materialien, so dass man sagen kann, das ist deutsche Wertarbeit. Dasselbe gilt für viele ihrer Veranstaltungen. Und wenn die was Gutes gemacht haben, dann freuen wir uns darüber, und es ist unsere Politik der Offenheit, das festzuhalten.“ (Der Tagesspiegel vom 7. Januar 1988) Schon über Jahre hören ehemalige wie derzeitige Kolleginnen und Kollegen, Bekannte und Freunde und auch nächste Anverwandten auf die Frage Was machst du so? immer wieder: Ich schreibe an meinen „Unerhörten Erinnerungen eines Sonstigen“. Ich weiß, ich beginne sie alle zu langweilen. Meine Erinnerungen sind natürlich mit dem Herder-Institut verbunden, an dem ich seit 1961 fast alle Karrierestufen von der Pike auf durchlaufen habe: Lehrer, Assistent, Oberassistent, 1979 Dozent nach Habilitation, Berufung zum Professor für Deutsch fünf Jahre später und schließlich Direktor der Abteilung Forschung und Auslandsarbeit und damit Stellv. Direktor des Herder-Instituts. Diese meine Entwicklung nahm der ehemalige Mitarbeiter, Chemielehrer, Oberlehrer Helmut Scholz, selbst nicht bereit, sich den Mühen einer Promotion zu unterziehen, nach der Wende zum Anlass zu fragen, wie ich es als „einfacher Lehrer“ zum Professor habe bringen können. Ich habe seine ins Fegefeuer-mit-dem Löschmann-Frage in meinen Erinnerungen recht persönlich beantwortet. Mir wird indes klar, was du da erinnerst, reicht nicht aus, das ehemalige Herder-Institut zu beschreiben, es verdient eine eigenständige Darstellung, und zwar durch die verschiedensten Akteure. Nicht einfach setzen, so war es, sondern versuchen in der Diskussion der Wahrheit näher zu kommen, wohl wissend, dass es die absolute Wahrheit nicht gibt, auch wenn heute einige mit dem Anspruch auftreten, es genau zu wissen und denen, die es auch wissen, Stillstand im Denken, geistige Unterernährung, Unverbesserlichkeit, professionelle Unterlegenheit, Nostalgie unterstellen. Auf der Basis von hoffentlich im Blog  zusammen getragenen Beobachtungen, Einsichten, Erfahrungen, kritischen Reflexionen und mit Humor lässt sich vielleicht später dann ein lesenwertes Buch entwickeln. Vielleicht kann die Diskussion Frau Wilma Gramkow anregen, ihre Dissertation „Das Herder-Institut in Leipzig im Wandel der Zeiten 1961 – 1990“ zu überarbeiten  und ein lesbares Buch über das Herder-Institut zu verfassen; denn das, was uns da im Netz als Dissertation angeboten wird, vorgelegt 2006 beim Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg, ist wohl die letzte umfängliche komplexe Darstellung über das Herder-Institut, die – wie kann es anders sein – einige Fragen offen lässt. Die fleißig, verständnisvoll und streckenweise einfühlend und mitfühlend geschriebene Arbeit bietet eine willkommene Materialbasis, die durchaus auch als Auffüller von Erinnerungslücken dienen kann. Wie Prof. Erhard Hexelschneider auch, der letzte Direktor des Herder-Instituts, spüre ich, wie die Zeit drängt, denn „eilig entschwindet die Zeit, unmerklich beschleicht uns das Alter.“ (Goethe). Er hatte anlässlich 600 Jahre Leipziger Universität einen Erinnerungsband mit dem Arbeitstitel „Das Herder-Institut bis 1989 aus der Sicht von Zeitzeugen. Analysen und Berichte“ initiieren wollen und gab dann doch aus den verschiedensten Gründen auf. Die Notwendigkeit einer unvoreingenommenen kritischen Würdigung blieb bestehen. Mit dem Blog soll versucht werden herauszufinden und darzustellen, was das Herder-Institut eingebracht hat, welche Leistungen es auf welchem historischen Hintergrund insgesamt vollbrachte, auch welchen Anteil der Einzelne daran hatte und wofür es bis heute steht. Dabei wird es unerlässlich sein, sich mit einigen Unwahrheiten, Halbwahrheiten, Fehlinterpretationen, Verunglimpfungen von ehemaligen Mitarbeitern auseinanderzusetzen, zugleich aber auch kritisch und selbstkritisch ohne Selbstaufgabe und Selbstzerfleischung problematische Entwicklungen zu betrachten. Auf keinen Fall sollen Aussagen wie die folgende unbesehen hingenommen werden: „Als einer der wichtigsten Pfeiler der auswärtigen Kulturpolitik der DDR unterlag das Herder-Institut zwischen 1961 und 1989 verschärfter Beobachtung und Überwachung seitens der Staats- und Parteiführung. Mangelnde politische Zuverlässigkeit im Sinne der herrschenden Ideologie konnte sich für Einzelne negativ auswirken, Funktions- und Leitungsstellen wurden häufig eher nach politischen Kriterien als nach fachlicher Eignung vergeben. Und nicht zuletzt die Stasi (Staatssicherheitsdienst der DDR) war am Institut merklich präsent. Diese negativen Aspekte der Institutsgeschichte warten allerdings bis heute auf eine gründlichere Aufarbeitung.“ (http://www.goethe.de/ ges/spa/dos/daf/ges/de4618725.htm)
Der Blog hätte auch das Ziel verfehlt, wenn er nicht zu dieser geforderten gründlichen Aufarbeitung beitrüge.   Ich setze auf eine faktenbasierte Diskussion, denn für mich gilt Brechts Auffassung „Die Diskussion ist eine der höchsten Stufen des Kunstgenusses, welche die Gesellschaft erklimmen kann.“ Dabei wende ich mich im Gegensatz zur Projektbeschreibung von Prof. Hexelschneider nicht nur an „die eigentlichen damaligen Akteure als Zeitzeugen“, sondern lade alle ein, die am „alten“ Herder-Institut gewirkt haben bzw. die mit dem Institut in Arbeitskontakten standen. Die Blogtür ist somit nicht nur geöffnet für Entlassene, Ausgegrenzte, geflissentlich Übersehene, Verleumdete, Zugeknöpfte und Zauderer, sondern ebenso für die Reformer und Revolutionäre der Wende, auch für die Vorteilsnehmer, für die Ewiggestrigen und die Ewigheutigen, die Visionäre, die Leiter und die Nichtleiter, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die ehemaligen Genossen und die Mitglieder der sogenannten Blockparteien, die Parteilosen, die Mitarbeiter der Abteilung E/A, einschließlich der Gruppe der sogenannten Fortgeschrittenen, ebenso für die Kollegen der Forschungsabteilung, der Außenstellen, die damals Jungen und Alten, aber auch für die Älteren und die heute Jungen. Allerdings der, dessen „Glück darauf beruht, dass es für ihn eine undiskutierbare Wahrheit gibt“ (Nietzsche), soll ruhig hinter dem Ofen sitzen bleiben und auf den Einstieg in die Diskussion verzichten. Die Einladung geht gleichermaßen an ausländische Studierende, ehemalige Doktoranden, Fort- und Weitergebildete, an Kooperationspartner im In- und Ausland. In Lothar Kalbs Buch ist beschrieben, wie er 1975 im Herder-Institut die Studentin Veronika Michelle Danbalos anlässlich eines Meetings gegen die Militärjunta in Chile getroffen hat. Sie studierte nach ihrer Sprachausbildung Medizin und wurde 2006 erste Präsidentin von Chile (bis 2010). Sie erhielt als Präsidentin die Ehrenmedaille der Leipziger Universität und in Berlin, wo sie ihr Medizinstudium abschloss, wurde ihr die Ehrendoktorwürde der Charité verliehen, um ihre Verdienste um das Gesundheitswesen und die Versorgung unterprivilegierter Menschen zu würdigen, die sie als Kinderärztin und Politikerin in Chile erwirkt hat. Ich hoffe, dass sich im Laufe der Zeit Ausländer zu Wort melden, die in der DDR studiert haben und sich noch an ihre Zeit am Herder-Institut erinnern wollen. Bereits veröffentlichte Äußerungen von Absolventen, die es ja zuhauf gibt, sollten selbstredend einbezogen werden. Ich selbst werde u.a. Dr. Nabil Harfoush bitten, der in Dresden mit magna cum laude die Doktorwürde errungen hat, jetzt in Kanada erfolgreich auf dem Gebiet der Informationstechnik arbeitet und mit dem wir bis heute freundschaftlich verbunden sind. So wie jeder willkommen ist, der zur aufgeworfenen Problemstellung etwas beitragen möchte, ist es auch jede Textsorte: Aktennotiz, Analyse, Anekdote, Berichte, Erfahrungsbericht, Beschreibung, Erörterung, Erzählung, Gedicht, Glosse, Kritik, Polemik, Rede, Satire, Tagebuchaufzeichnung. Fotos, Grafiken, Collagen, Screenshots und Links, Hinweise auf treffende Zitate, Publikationen über das Herder-Institut. Spannend (um auch mal eine Modewort aufzugreifen) wäre es auf jeden Fall, wenn sich jemand fände, der eine Festrede anlässlich des 50. Jahrestages der Namensverleihung schriebe, jenseits von abgestandenen alten und neuen Ideologismen. Bei meiner Reaktion auf den Projektvorschlag von Prof. Hexelschneider verwies ich z.B. auf Dagmar Blei (2003), Zur Fachgeschichte Deutsch als Fremdsprache, in der Reihe Deutsch als Fremdsprache in der Diskussion, Bd. 6. Frankfurt am Main: Peter Lang. Darin finden sich „Leitfadeninterviews mit DaF-Experten“, so mit Gerhard Helbig, S. 71-87 und Martin Löschmann, S. 87-120. In beiden Interviews werden wissenschaftliche Leistungen des Herder-Instituts beschrieben und diskutiert. Dass die Arbeit von Dagmar Blei im Literaturverzeichnis der genannten Dissertation von Gramkow nicht einmal aufgeführt ist, spricht für sich selbst. Der Blog wird mit der Darstellung von wesentlichen Arbeitsfeldern eröffnet, mit denen ich im Lauf meiner 32jährigen Tätigkeit am Institut konfrontiert worden bin. Auf diese Weise ist versucht, einige Leistungsmerkmale des Herder-Instituts sichtbar zu machen. Ich legitimiere meine Initiative mit meinem Entwicklungsweg am Herder-Institut.
Kurzum, mir kommt dabei das Lied der Puhdys in den Sinn: Was bleibt

„alles was zuende ist kann auch anfang sein
man sollte nicht an alten zeiten kleben
doch ich bin kein ignorant der zu schnell vergißt
das was einmal war ist auch mein leben“

(Auszug aus dem Titel der Pudhys  Was bleibt Den ganzen Titel hören unter: www.youtube.com/watch? =ZaoclnU0AYQ )                                                                                                  

So viel zu den Gründen. Der Startschuss wird mit meinem in sechs Teilstücken gegliederten Beitrag gegeben, die im Blog unter den verschiedenen Stichwörtern zu finden sind, insgesamt auch als pdf- Datei gelesen und ausgedruckt werden kann. Also dann total, kursorisch bzw. orientierend lesen und herausfinden, wozu man sich äußern kann und will, aber auch warum man sich nicht beteiligen will. Auch dafür kann es gute Gründe geben. Bei einem derart vielschichtigen und vielgestaltigen Institut war es mir nicht möglich, seine Leistungen vollständig und differenziert zu erfassen, geschweige denn zu beschreiben. Dazu bedarf es der Mitarbeit vieler. Ich vermochte nur, ein paar Anhaltspunkte für die Diskussion zu benennen, die sich – so hoffe ich – an allen Ecken und Enden ergibt. Bestimmte Fragen sind gar nicht angesprochen. Es kann auch eine andere bessere Überschrift gefunden werden. Dr. Inge Jank hatte z .B. vorgeschlagen: Das Herder-Institut – Als wir noch dazugehörten. Auch ein guter Titel. Frau Prof. Ursula Hirschfeld war es, die mich vor Jahren bei irgendeiner flüchtigen Begegnung fragte, warum ich mich aus DaF zurückgezogen hätte. Damals hatte ich noch nicht erkannt, dass mein Rückzug aus der öffentlichen DaF-Diskussion in Deutschland und den DaF-Tagungen ein Fehler war. Es konnte als Eingeständnis irgendwelcher Schuld verstanden werden, tatsächlich war es Ausdruck meiner großen Enttäuschung von einem Teil der DaF-Gemeinde. Zudem hatte ich an der Kingston University in London eine mich erfüllende und voll ausfüllende Aufgabe zu bewältigen.

10 Kommentare Kommentar schreiben →
  1. Ursula Nebe-Rikabi permalink
    März 5, 2011

    … ich war ja sehr überrascht von deinem Vorhaben und habe mich sofort
    reingestürzt. Dass ich heute erst antworte, liegt daran, dass in meinem
    Gedächtnis so vieles wieder aufgeweckt wurde, von dem ich glaubte, es sei
    archiviert. Von wegen! Um es gleich vorweg zu sagen, meine Emotionen, die diesem
    Abschnitt meines Lebens gelten,sind noch immer lebendig, sehr plastisch und
    oft auch schmerzhaft.
    Ich bin auch nach dem schmachvollen Ende des HI meinem Fach treu
    geblieben und habe bei der notwendigen Vorstellung meiner Person vor
    Lehrveranstaltungen immer voller Stolz gesagt, wo ich herkomme.
    In den ersten Jahren waren die Reaktionen der ausländischen Lehrer (vor allem aus Osteuropa)
    für mich sehr, sehr schön: Das Institut wurde nicht nur wiedererkannt, sondern
    auch mit Achtung und Herzlichkeit reflektiert. Das hat sich in den letzten
    Jahren geändert: Viele wissen gar nicht mehr, was das HI war. Natürlich sind es dann
    die jüngeren Kollegen, die mich fragen, ob es so etwas wie das
    GI sei, worauf ich immer wieder zu Erklärungen neige und die Geschichte
    unseres Institus erkläre. Und letztlich spricht ja auch meine Arbeit für
    die Leistungen unseres Instituts.
    Ich habe auch in unserem kleinen Verlag 2sprachige Glossare für bestimmte
    Berufszweige gemacht, die in ihrer lexikalischen Beschaffenheit eindeutig
    nach kommunikationslinguistischen Prinzipien aufgebaut waren und heute
    noch ihre Abnehmer finden.
    Mit dem Ende des HI habe ich meine geistige Heimat verloren, und wie du
    sicher weißt, ist das Schicksal eines Einzelkämpfers hart. Auf dem
    Sonnenberg im Harz, wohin ich dank Piephos Einladungen kam, habe ich einen
    gewissen Ersatz gefunden. Ein- oder zweimal im Jahr arbeite ich dort mit Studenten
    aus Moskau zu Fragen der deutschen Gegenwartssprache. Auch hier ist das HI
    dank Chaleevas Wirken immer noch in guter Erinnerung.

    Das sog. neue HI ist mir auch nicht ganz fremd: Vor 2 Wochen hat meine
    älteste Enkeltochter dort ihre Magisterprüfungen in DaF und Ostslavistik
    abgelegt und wird nun mein „Erbe“ antreten. Sie hat alle Praktika bei mir
    machen können, auch die sog. Sichtstunde, und ich konnte viele praktische
    Erfahrungen direkt weitergeben. Das habe ich als großes Glück empfunden und
    bin nun dabei, mich langsam ins Private zurückzuziehen, mit Garten und
    Katzen. Alles im Leben hat seine Zeit! Das soll nicht heißen, dass mich
    dein Vorhaben nicht interessiert, aber ich sehe im Moment keinen Weg,
    mich dort einzubringen. Vielleicht muss ich einfach erstmal dabei bleiben,
    und deshalb habe ich mich registrieren lassen.
    Die heutige E-Mail – das bemerke ich rückblickend – ist wohl auch als ein
    Aufarbeiten von Emotionen zu betrachten, aber es war mir wichtig.

  2. Ulrich Esser permalink
    März 12, 2011

    Lieber Martin, ich habe mir den Blog über die Historie des HI angesehen und war angenehm überrascht und angetan. Kurz, knapp, wesentlich, nicht allzu sehr polemisch und spannend. Jedoch noch etwas spröde und akademisch, aber das kann sich ja ändern. Noch fehlt die Lebendigkeit und Lockerheit, die Spontanität eines Blogs.
    Einige Deiner Fakten über das HI haben mich auch nach so langer Zeit noch überrascht. Ich hatte wohl ein anderes Bild vom HI, seiner Rolle und seiner Aufgaben. Aber das ist entschuldbar: Du warst ein Insider und ich kam völlig unbedarft von außen herein gestolpert in der Hoffnung, etwas auf die Beine stellen zu können. Aus heutiger Sicht kann ich jedenfalls sagen: das HI war meine schönste und produktivste Wissenschaftlerzeit mit den meisten Anregungen und den meisten Freiheitsgraden. Ich hege und pflege die Erinnerungen daran sorgfältig.

  3. Frank Suckert permalink
    März 19, 2011

    Alle Achtung, Herr Professor,

    Sie sind ja wissenschaftlich und schriftstellerisch noch sehr aktiv, um das von Wessis beschädigte Ansehen des Herderinstitutes hochzuhalten. Sie werden noch in die Geschichte eingehen. Ich kann nachempfinden, dass man sich wehren muss, nur wem nützt es und macht es noch Sinn? Wahrscheinlich gibt es allen Ehemaligen und den Zöglingen in aller Welt einen Halt und somit ist es wieder politische Arbeit an der unsichtbaren Front, gut so.

    • Löschmann permalink*
      März 19, 2011

      Sie sind nicht der Einzige, der Zweifel an dem Unternehmen ‚herderblog‘ hegt. Auch mir sind sie nicht fremd. Dass ich sie dennoch hinter mir gelassen habe, hat neben den von Ihnen angedeuteten und in der Blogidee auch aufgeführten folgende Gründe:
      – Rechenschaft zu legen über das eigene Arbeitsleben, das
      diskreditiert worden ist, und zwar nicht nur von Wessis, sondern auch von Ossis
      – zugleich den interessierten Kolleginnen und Kollegen nach mehr als 20 Jahren – spät, in einigen Fällen leider zu spät – ein Forum zu geben, sich in Bezug auf das Herder-Institut zu artikulieren
      – Leistungen des Herder-Instituts aufzuzeigen, die im Rahmen der Gesamtinstitution von allen vollbracht worden sind und nicht nur von einigen wenigen ‚Reinen‘
      – zu erörtern, ob nicht auch im Falle des alten Herder-Instituts eine Chance verpasst wurde, in produktiver Auseinandersetzung Deutsch als Fremdsprache weiter zu entwickeln.

      Letzteres ganz im Sinne des bekannten Soziologen Wolf Lepenies: „Selbstkritisch müssen wir Deutschen uns fragen, warum wir im Prozess der Vereinigung nicht den Mut zu einem Moratorium, zu einem Moment des Innehaltens, zu einem Überdenken unserer eingespielten Selbstverständlichkeiten gefunden haben. Wir haben im Westen beispielsweise nicht für einen Augenblick über alternative Formen der medizinischen Versorgung, über die Stärkung der Berufsaussichten für Frauen oder über eine Neuordnung aller deutschen Schulen, Hochschulen und Universitäten nachgedacht.“
      (W. Lepenies, Benimm und Erkenntnis, edition suhrkamp, 1997, S. 34)

      1961 – 1993, in Worten: zweiunddreißig Jahre, habe ich am H-I gearbeitet, 26 war ich, als ich dort anfing, 58, als ich es verlassen musste, soll ich sagen: die Blüte meiner Jahre – mein Leben.

  4. Martin Löschmann permalink*
    Mai 22, 2011

    Lieber Michael,
    von all deinen Gedichten wuerde „Erinnerung“ dem Blog
    besonders gut zu Gesicht stehen…

    • Michael Düring permalink
      Mai 22, 2011

      Wenn du meinst …

      In der Erinnerung

      in der erinnerung

      ist der bauch dünner
      sind mehr haare auf dem kopf

      in der erinnerung

      riecht es nach bohnerwachs
      und dem klo auf halber treppe

      sind die bilder bunter immer
      als in alten zeiten,
      als im blassen ORWO-schimmer
      sich grau an grau die grinsebacken reihten

      in der erinnerung

      sprang ich durch weite weiten,
      sang ich von den gezeiten,
      die mit sich zogen
      alles, was die wogen
      geradebogen
      was wahr war,
      was gelogen.

      in der erinnerung

      riecht es nach flieder
      sing immer ich dieselben lieder
      von liebe, leid und leben

      vom leben eben

      in deiner erinnerung!

      31.12.2009

  5. Daniela Böhme permalink
    Oktober 4, 2011

    Lieber Martin, ich habe deinen herderblog.net in meinem von Deutschland fernem Melbourne ‚durchgeblättert‘ und das eine oder andere Aufschlussreiche für mich entdeckt. So richtig hängen geblieben bin ich an dem Gedicht von Michael Düring „Erinnerung“, das mich bewegt hat, ich komme wohl langsam in das Alter zum reminiszieren. Mir gefallen ganz einfach Gedichte, die nicht so abgehoben sind, gegenständlich bleiben, sich der Alltagssprache bedienen und sie poetisch witzig zum Klingen bringen. Das Gedicht passt damit ausgezeichnet in deinem Blog, zu dem ich dir nur wieder gratulieren kann.
    Das Gedicht stammt doch bestimmt aus einer Sammlung bzw. einem Gedichtband. Wo kann man sie bzw. ihn finden? Ich möchte gern weitere Gedichte von Michael Düring lesen.

    • Michael Düring permalink
      November 11, 2011

      Liebe Frau Böhme im fernen Melbourne, danke für die netten Zeilen. Es freut mich natürlich sehr, dass Ihnen die Verse gefallen. Gerade dieses Gedicht hat viele Zuhörer begeistert, wobei es ein gewisses Maß an Insider-Wissen voraussetzt und bestimmte Leser nicht ansprechen kann, wohl weil sie die olfaktorisch-visuellen Bezüge zwangsweise überlesen.

      Ich werde Ihnen ein Buch schicken (es dauert noch ein bisschen) und gerne in Kontakt bleiben. Meine E-Mail ist folgende: duering@aeiou.pt

      Ihnen alles Liebe
      Ihr
      Michael Düring

  6. Martin Löschmann permalink*
    Oktober 7, 2011

    Was für Titel habe ich nicht schon in meiner Sammlung von Memoiren!
    Allerdings „Die Erinnerungen sehen mich“ bis heute noch nicht. Nobelpreisträger von 2011 Tomas Tranströmer hat sie in enger Zusammenarbeit mit seiner Frau 1993 verfasst (Hanser Verlag 1999). Der Titel könnte bedeuten: Erinnerungen konfrontieren den Schreiber mit sich selbst, aber auch: Sie kontrollieren ihn, sie sind der Realität zugewandt, man kann sich darin nicht verbergen oder Ausflüchte finden. Ein vielsagender Titel!
    Wie Marcel Reich-Ranicki kannte ich den schwedischen Lyriker bislang nicht. Werde ihn lesen, auch deshalb, weil er sich nicht Ideologien verpflichtet fühlt, sondern eher seinen Visionen folgt.

  7. Michael Düring permalink
    September 12, 2012

    Wider das Vergessen – über die positiven Wortmeldungen zu meinem Gedicht „In der Erinnerung“ freute ich mich sehr. Im Sommer wurde nun mein Buch fertiggestellt und kann (noch über den Umweg des Druckhauses in Berlin und über mich) bestellt werden. Es heißt „Am Wegesrand“ und manche Erinnerungen fließen durch die Texte… Vorsicht Lyrik, aber man darf auch einige prosaische Zeilen erwarten! LG Michael Düring

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