Rezension
Marianne und Martin Löschmann:
Kleines Kompendium der Liebe für Deutschlernende, Deutschlehrende und Sprachverliebte. Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2021, 177 S.
Während das Thema „Liebe“ in DaF-Lehrwerken für Jugendliche stärkere Beachtung findet, wird es in vielen aktuellen DaF-Lehrwerken für Erwachsene eher stiefmütterlich behandelt, d.h. oft thematisch verengt auf ‚Heiraten‘ und ‚Lebensformen‘ oder völlig ignoriert. Das mag bei berufssprachlich orientierten Lehrwerken konzeptionell bedingt sein, aber auch allgemeinsprachlich orientierte Mittelstufen-Lehrwerke, wie „Sicher! aktuell B2“ (Hueber) oder „Studio. Die Mittelstufe B2“ (Cornelsen), die dem Themenkomplex „Liebe/Beziehungen“ ein eigenes Kapitel widmen, sind die Ausnahme. Auch kursbegleitende Materialien sind mit dem Thema schnell durch. So begnügt sich z.B. „Deutsch üben. Wortschatz & Grammatik B2“ (Hueber) mit vier Wortschatzübungen zur „Liebe“. Dieser Befund steht im deutlichen Kontrast zu der Tatsache, dass das Thema für Lernende ein beträchtliches Motivationspotenzial hat, eine Fremdsprache zu lernen. Laut einer Babbel-Umfrage würden 83,6% der Deutschen eine Sprache nur der Liebe wegen lernen, international sind es sogar über 90%. /1/ Auch im DaF-Unterricht lässt sich oft eine erhöhte Aufmerksamkeit beobachten, wenn es um „Liebe“ geht, denn – wie mir eine Teilnehmerin augenzwinkernd verriet – man wolle schließlich „vorbereitet sein“.
Von daher ist es nur zu begrüßen, dass die Autoren mit dem vorliegenden Band besonders jenen motivierten Deutschlernenden ein Angebot machen, die sich selbstständig über den Präsenz- und Online-Unterricht hinaus mit dem Thema beschäftigen wollen. Das Buch richtet sich aber ebenso an Deutschlehrende, „die sich um einen interessanten, offenen, emotional geprägten, handlungsorientierten und schemadissonanten Unterricht bemühen“ (S.7). Vor allem aber – das verheißen schon die lachenden Gesichter auf dem Cover – soll das Buch Spaß machen.
Die vier Hauptteile des Buches – I. Die Sprache der Liebe, II. Suchen und Finden, III. Für immer Liebe, IV. Dunkle Seiten der Liebe – widmen sich unterschiedlichen Aspekten des Themenkomplexes und zeigen sprachliche Realisierungsformen auf, die von Kose- und Schimpfnamen, über Flirten und Partnerwahl, ferner über Liebeserklärungen, -Tattoos und Aphrodisiaka bis hin zu den dunklen Seiten der Liebe, wie Liebeskummer, Ghosting und Sexting, reichen. Ein ergänzendes Schlusskapitel rundet das Thema „Liebe“ mit Phraseologismen, einem Kreuzworträtsel und einem Text von Robert Walser ab. Im Anhang finden sich neben dem schon erwähnten Schlüssel ein Namens- und Literaturverzeichnis, wobei Seitenangaben zu den Namen ein gezieltes Nachschlagen erleichtert hätten. Zwar liegen, wie das Vorwort verrät, Grundidee und Manuskript des Buches mehr als dreißig Jahre zurück, aber die Einbeziehung modischer Ausdrucksformen und medialer Kontroversen zum Thema „Liebe“, u.a. die um das Gedicht „Avenidas“ oder die #MeToo-Debatte, machen deutlich, dass das vorliegende Buch eine stark überarbeitete und aktualisierte Fassung darstellt.
Bereits ein erster Blick ins Inhaltsverzeichnis verspricht eine kurzweilige Lektüre. Dabei erinnern der Titel des ersten Teils und Stichwörter, wie ‚Komplimente‘, ‚Zweisamkeit‘, ‚Liebe und/oder Sex‘ unwillkürlich an Gary Chapmans Bestseller „Die 5 Sprachen der Liebe“, in dem er im Rahmen der Paartherapie fünf Beziehungssprachen vorstellt, die für ein ‚Sich-geliebt-Fühlen‘ verantwortlich sind. /2/ Interessanterweise vergleicht Chapman die individuelle Liebessprache mit einer Fremdsprache, sodass wie in einer Beziehung zwischen verschiedenen Muttersprachlern eine optimale Kommunikation nur dann gelingt, wenn beide Partner die Fremdsprache des anderen lernen. In diesem Sinn dient auch das „Kompendium der Liebe“ der Kommunikationsbefähigung des Lernenden, um jene Sprachnot zu vermeiden, wie sie in einem Song von Tim Bendzko beklagt wird: „Mir fehlen die Worte / ich hab‘ die Worte nicht, / dir zu sagen, was ich fühl‘.“ (S.8)
Jeder Teil bietet eine Fülle an authentischen Texten und unterschiedlichen Textsorten, die interkulturellem Lernen besonders entgegenkommen. Das sind neben personalisierten Darstellungen (Interview, Erfahrungsberichte, Briefe, Dialoge etc.) auch Sachtexte (Statistiken, Zeitungs- und Internetartikel, Umfragen, Anzeigen etc.) und literarische Texte (Auszüge aus Märchen und Erzählungen, Gedichte, Anekdoten, Sprüche etc.). Da es sich nicht um ein Lehrwerk, sondern – wie die Autoren betonen – um eine „Fundgrube“ (S.7) handelt, erlaubt dieses offene Konzept einen selektiven und interessengeleiteten Zugriff des Lesers. Für eine individuelle Auseinandersetzung und ein tieferes Verständnis werden alle Texte von offenen oder geschlossenen Aufgaben bzw. Fragen begleitet, wobei für letztere ein Lösungsschlüssel vorhanden ist. Als Einstieg oder Vertiefung des Themas finden sich neben Bildern, Fotos und Grafiken auch Verweise auf youtube oder weiterführende Webseiten. Da die Bearbeitung der Aufgaben dem Leser freigestellt bleibt, kann er selbst entscheiden, ob er das Kompendium als ‚Nur-Lesebuch‘ oder als eine Art Arbeitsbuch versteht. In jedem Fall geht es darum, das sprachliche, landeskundliche und sozio-kulturelle Wissen des Deutschlernenden zu erweitern.
Wird das Kompendium als Arbeitsbuch verstanden, dann zielen vielfältige Aufgaben und eine variable Fragetechnik – graphisch durch Kursivdruck hervorgehoben – beim Lernenden auf eine intensive und ergebnisoffene Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Text, da deren Resultat nur teilweise im Lösungsschlüssel verifiziert werden kann. Indem Teilthemen, z.B. Ghosting oder Warnmärchen, darstellend- bzw. fragend-entwickelnd präsentiert werden, wird der Lernende zum aktiven Mitdenken angeregt und somit motiviert, (1) das Gelesene im Sinne einer individuellen Bedeutungskonstruktion zu reflektieren, (2) verschiedene Texte miteinander, aber auch die eigene mit der Fremdkultur zu vergleichen, (3) die Argumentationsfähigkeit zu schulen, (4) – zumindest ansatzweise – das Gelernte in sprachliches Handeln umzusetzen und (5) den Wortschatz zu erweitern und das Ausdrucksvermögen zu verbessern. Dabei leiten hermeneutische Fragen nicht selten zu spielerisch-kreativen Aufgaben über, die es in sich haben. Einige Beispiele: Anschließend an den Text „Das große S“ (S.33-35), der trotz zusätzlicher Worterklärungen und Fragen zum Textverständnis lexikalisch sehr anspruchsvoll ist, weil eine Geschichte ausschließlich mit Wörtern mit demselben Anfangsbuchstaben erzählt wird (hier der Buchstabe „S“), wird der Leser eingeladen, einige Sätze ausschließlich mit L-Wörtern zu ergänzen, woran ich als Muttersprachler gescheitert bin. Ähnlich herausfordernd dürfte es für Lernende sein, eine Kontaktanzeige auf der Basis der Novelle „Die Marquise von 0…“ von Heinrich von Kleist zu entwerfen (S.55), einen Trinkspruch aus der Sicht der Frau umzuschreiben (S.99) oder ein Elfchen und ein Haiku zu kreieren (S.119). Während bei diesen Aufgaben noch der Lösungsschlüssel Hilfestellung bietet, bleibt der Lernende bei anderen Aufgaben auf sich allein gestellt, etwa um eine Liebeserklärung in Deutsch vorzubereiten (S.79) oder bei der Arbeit an einem Gedicht (S.62). Andere handlungsorientierte Aufgabenstellungen beziehen sich u.a. darauf, sprachlich angemessen zu agieren (Flirten, Komplimente machen), zu reagieren (Liebeslügen, Streiten und Versöhnen) und zu argumentieren (Vor- und Nachteile von Single- und Partnerbörsen, Liebes-Tattoos, Heiraten), wofür in der Regel bereitgestellte Argumente selbstständig ausformuliert werden müssen. Vereinzelt werden für den Transfer auch syntaktische Strukturen direkt vorgegeben, z.B. Proportionalsätze (S.70), Konjunktiv II Gegenwart für Wünsche (S.72 f.) und Ratschläge (S.138).
Landeskundliche und soziokulturelle Informationen ziehen sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch, sodass der Lernende daraus spezielle Kenntnisse über die deutsche Gesellschaft gewinnen kann, z.B.: Wie kommunizieren deutschsprachige Partner miteinander? Welches Hintergrundwissen ist nötig, um sprachliche Handlungen von Deutschsprachigen zu verstehen? Als Antwort auf solche Fragen dienen hilfreiche Einblicke u.a. in Traditionen und Bräuche im Kontext von „Liebe“, in die Kontaktanbahnung und Partnerwahl sowie Aussagen zur demographischen Entwicklung und Kriminalität. Dabei wird die Geschlechterbeziehung nicht nur durch den Vergleich mit binationalen Partnerschaften konturiert, sondern auch durch Verweise auf immer noch präsente patriarchalische Strukturen, die sich in der Sprache selbst und in aktuellen öffentlichen Debatten (Nein-heißt-nein-, Avenidas- und #MeToo-Debatte) niederschlagen, wobei sich die Autoren im Fall von „Avenidas“ gegen eine geschlechtertheoretische Interpretation positionieren.
Wie lässt sich nun das Buch in den DaF-Unterricht integrieren? Kurz gesagt immer dann, wenn Lehrende oder Lernende bei der Behandlung des Themas „Liebe“ auf Leerstellen im Lehrwerk oder im Unterrichtsgespräch stoßen. Durch seine breite Auffächerung des Themenkomplexes „Liebe“ fördert das Kompendium besonders für Fortgeschrittene die Lernerautonomie durch vielfältiges Material, um einen ersten Zugang zum Thema zu finden (z.B. über Wortschatzübungen, Quiz oder Kreuzworträtsel etc.) oder bestimmte Aspekte selbstständig zu erarbeiten und im Plenum / in der Kleingruppe zu diskutieren. Von wenigen, rein informativ angelegten Teilthemen abgesehen (der erste Kuss, S.80 ff.), eignen sich die meisten dafür, die Diskussionsfähigkeit zu trainieren, die für B2 und C1 prüfungsrelevant ist.
Sollten sich Lernende trotz der Unterstützung und Anleitung durch das Kompendium noch unsicher fühlen, sich zum Thema mündlich zu äußern, so könnte sie die Einsicht von Ricarda Huch trösten: „In der Liebe sprechen Hände und Augen meist lauter als der Mund.“
(Michael Thormann, Leipzig)
Anmerkungen
1Vgl.https://press.babbel.com/de/releases/2015-05-20-Babbel-findet-die-Sprache-der-Liebe.html (26.10.2021)
2 Gary Chapman (2019): Die 5 Sprachen der Liebe. Marburg an der Lahn: Francke.
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