Gut zu wissen, was man sagt
Elisabeth Wehling: Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht. Köln 2016
Ich bin in der Buchhandlung eher zufällig auf das Buch gestoßen, weil mich das Thema interessierte und ich mich durch die Empfehlung im Einband angesprochen fühlte, dass diese Einführung „für interessierte Laien und die Forschung gleichermaßen relevant“ sei (Prof. Dr. Irene Mittelberg). Erst nach Erscheinen dieses Buches geriet die Autorin vor allem in den sozialen Medien massiv in die Kritik, als bekannt wurde, dass sie 2017 im Auftrag der ARD unter dem Titel „Framing Manual“ ein Gutachten erstellte, das in Teilen der Öffentlichkeit in Verdacht stand, eine Kommunikationsstrategie zur Manipulierung der öffentlichen Meinung zu beschreiben. Der Hintergrund des Gutachtens war ursprünglich eine interne Verständigung der Landesrundfunkanstalten über einen bewussteren Umgang mit der Sprache. Dabei ging es zum einen darum, mit welcher Sprache die ARD öffentlich über sich selbst kommunizieren sollte, zum andern darum, wie mit Begriffen umzugehen sei, die in der Öffentlichkeit als politische Kampfbegriffe flottieren, z.B. „Lügenpresse“ oder„Abschiebeindustrie“. In jedem Fall sei es von Vorteil, so Wehlings Empfehlung, stärker auf Framing zu achten.
Im Einführungsteil beschreibt Wehling anhand der Begriffe ‚Frame‘, ‚kognitive Simulation‘ und ‚konzeptuelle Metapher‘ wesentliche Erkenntnisse der Neuro- und Kognitionsforschung und verweist auf Studien und weiterführende Fachliteratur. Tatsächlich ist das Frame-Konzept als Paradigma schon länger bekannt und wird überall dort aufgegriffen, wo ein analytischer Zugang zu Sinnstrukturen gesucht wird, u.a. in der Kommunikationswissenschaft, der Soziologie und Kognitiven Linguistik. Grundlegend dafür waren die Arbeiten von Marvin Minsky, dessen Ansatz von Charles Fillmore, George Lakoff u.a. für die Linguistik weiterentwickelt wurde. Zugrunde liegt die Annahme, dass unser durch Sozialisation erworbenes Weltwissen vom Gehirn organisiert und in Form von Frames abgespeichert wird. Sie werden immer dann abgerufen, wenn es gilt, bestimmte Wörter, konkrete Handlungen oder Situationen richtig zu verstehen. Dazu stellen die Frames jenes Kontextwissen bereit, mit dem das Ereignis interpretiert, bewertet und in das vorhandene Wissen eingeordnet werden kann. Entscheidend ist dabei jedoch, dass Wörter oder Fakten je nach Kommunikationsziel unterschiedlich ‚geframed‘ werden. Wehling betont, dass Framing immer selektiv und mit Komplexitätsreduktion verbunden ist und somit unser Denken mehr oder weniger unbewusst lenkt. Die Aktivierung eines Frames enthält nicht nur damit verbundene Bilder und Gefühle, sondern auch programmierte Handlungsabläufe, die als Teil der Wortbedeutung simuliert werden. Die Idee, dass wir gedanklich nachvollziehen, was wir sehen, aber auch nur hören, wird als kognitive Simulation (auch körperliche Mimesis) bezeichnet und spielt auch eine Rolle in der Psychologie bei der Erklärung von Resonanzphänomenen und Intuition durch Spiegelneuronen. Schließlich funktioniert politisches Framing, indem abstrakte Sachverhalte an körperliche Erfahrungen gebunden werden, um den Verstehensprozess zu erleichtern. Dazu benutzt die politische Sprache konzeptuelle Metaphern, die seit der Kindheit im Gehirn gespeichert sind und meist unbewusst Frames stimulieren, die zwischen unserem Weltwissen und abstrakten Ideen vermitteln. Als Beispiel für eine konzeptuelle Metapher verweist die Autorin darauf, Steuern (nur) als Last zu verstehen, wobei ausgeblendet werde, dass Steuern notwendig für ein funktionierendes Gemeinwesen sind.
Im zweiten Teil beschreibt Wehling nun an Beispielen aus der aktuellen Politikdebatte, wie politisches Framing funktioniert, und hier liegt der eigentliche Gebrauchswert des Buches. Es macht nämlich nicht nur bewusst, dass Sprache nicht zufällig verwendet wird, sondern Ideologie, Werte und handfeste politische Interessen transportiert, sondern es liefert anhand von Modellanalysen zugleich das Instrumentarium mit, sodass jeder, dem die Auswahl des Sprachmaterials nicht passt, eigene Beispiele analysieren kann. Wehling zeigt exemplarisch, wie einzelne Elemente des Frames ‚Steuern zahlen‘ negativ perspektiviert werden, indem Steuern als Last, Bürde oder Strafe bezeichnet werden, die Zahler selbst als „Melkkuh“ und als „Gans“, die man rupfen kann, um nur einige Beispiele zu nennen. Damit korrespondieren verniedlichende Bezeichnungen, die Verständnis für diejenigen ausdrücken, die ein „Steuerschlupfloch“ oder eine „Steueroase“ suchen, um nicht oder weniger zu zahlen. Die sind dann auch keine Kriminellen, sondern lediglich „Steuersünder“, womit suggeriert wird, dass es sich nicht um eine Straftat, sondern höchstens um eine moralische Verfehlung handelt.
Um nichts anderes geht es auch – um mal ein eigenes Beispiel zu nennen – wenn Journalisten im Zusammenhang mit dem VW-Dieselskandal verharmlosend von „Schummelsoftware“ reden, weil mit ’schummeln‘ der Frame „Spiel“ aufgerufen wird, wo mit Tricks versucht wird, einen Vorteil zu bekommen, während das eigentlich angebrachte Verb ‚betrügen‘ den Frame „Straftat“ aktivieren würde, also jemanden bewusst zu täuschen, um Geld zu bekommen. Nach dem Lesen dieses Buches kann man vielleicht noch besser nachvollziehen, wie die Entscheidungen der Jury für das „Unwort des Jahres“ zustande kommen, indem man den Frame analysiert, den ‚Preisträger‘ wie „ethnische Säuberungen“, „Rentnerschwemme“, „notleidende Banken“ u.a. aktivieren.
Ein Buch wie das vorliegende kann davor schützen, anderen sprachlich auf den Leim zu gehen. Es schärft das Sprachbewusstsein und schult die Aufmerksamkeit für eine intendierte Lenkung öffentlicher Debatten durch gezieltes politisches Framing.