Zwischenbilanz II: Der Herderblog lebt noch! ODER: Was hat Dr. Annette Schavan mit dem Blog zu tun?
Das Heute geht gespeist durch das Gestern in das Morgen.
(Brecht)
Ganz klar, die erste Überschrift ist in Analogie zum Beitrag „Die Landeskunde lebt noch“ gebildet. Es lebe der freudvolle Sarkasmus. Wenn sich rings um ehemalige Kolleginnen und Kollegen aus dieser Welt verabschieden, klingt Dieter Herrdes Überschrift dagegen wie ein Weckruf. Es sind so viele, die jährlich von uns gehen, wir können ihnen in diesem Blog leider keine Kränze flechten, aber es wäre natürlich denkbar, Passagen aus Würdigungen, die sich auf das Herder-Institut beziehen, aufzunehmen. Dieser Gedanke tauchte auf, als ich die Todesanzeige von Elfriede Specht las. Ein erfülltes Leben (1916-2012). Welche Rolle mag das Institut darin gespielt haben? Sie ist im Beitrag „Das Herder-Institut als Fortbildungsinstitution“ zwar erwähnt, aber die wenigen Sätze können nicht ihre Arbeitsleistung am Institut würdigen. Vorstellbar aber auch: Vielleicht mochte sie sich gar nicht mehr daran erinnern.
In der ersten Zwischenbilanz (Feb. letzten Jahres) schrieb ich: „Eine Fehlstelle wird wohl die Landeskunde bleiben, weil einfach niemand mehr da ist, der sich in der Lage findet, sich zu diesem politisch hoch brisanten Wissenschaftsbereich kritisch zu äußern.“Doz. Dr. Dieter Herrde, Leiter des Bereiches, hat sich unter größter Anstrengung aufgerafft und trotz meiner Unkenrufe ‚geliefert’˜. Meinen Irrtum gestehe ich gern. Wie sich jeder leicht überzeugen kann, erfüllt dieser Beitrag die erste Aufgabenstellung für den Blog, nämlich anzuregen, dass Ausbildungs- und wissenschaftliche Leistungen am Herder-Institut von authentischen Akteuren dargestellt werden. Den Artikel von Herrde sehe ich als einen wesentlichen Beitrag zur Erfüllung der Aufgabe. Verbleibende Lücken sollen jedoch nicht verschwiegen werden: Die Phonetik verdiente eine umfänglichere und mehr in die Tiefe gehende Darstellung, die Gruppe der Lehrerbildner, bestimmte Lehrbuchprojekte wären sicherlich auch heute noch interessant, der Bereich Fortgeschrittenenunterricht unter der Leitung von Dr. Johannes Wenzel und nicht zuletzt wird die Darstellung des Wissenschaftsbereiches vermisst, den Prof. Dr. Erhard Hexelschneider, zugleich Direktor des Instituts, leitete. Doch ich lass mir die Hoffnung nicht nehmen: Was nicht ist, kann ja noch werden, und ich frage mich zum zweiten Male, hätte er nicht als Kapitän des gesunkenen Schiffes einen triftigen Schreibanlass. Was Prof. Dr. Jochen Schröder anlangt, so habe ich allerdings die Hoffnung aufgegeben, dass er als Mitarbeiter des Wissenschaftsbereiches Linguistik noch etwas für diesen Blog leistet, auch deshalb, weil andere sie mir genommen haben.
Was den Bereich Fortgeschrittenenunterricht unter Dr. Johannes Wenzel anlangt, so ist mit der Charakterisierung des damaligen Leiters in meinem Beitrag „Ein Vorteilnehmer ist ein Vorteilsnehmer“ einiges indirekt zu der Gruppe geschrieben. Allerdings wäre es falsch, von diesem Artikel etwa abzuleiten: Wie der Herre so das Geschirre.
Der Beitrag zu unserem ehemaligen Kollegen Wenzel reiht sich ein in die Texte, die sich mit meiner Entlassung befassen. Gerade die Fragen im ‚Multiple-Choice-Format‘ haben munteres Interesse geweckt. Die meisten, die sich zu diesen Fragen geäußert haben, erkannten meinen Versuch, die Betroffenen zum Reagieren zu animieren, erwarten jedoch wie ja auch ich eine Nullreaktion. Doch warum eigentlich sollten die Angesprochenen die letzte Chance nicht beim Schopfe packen? Bruder im Geiste, verabschiede dich von deinem Menschenbild. Du sollst dir kein Bildnis machen.
Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, zwei Schwalben reichen dafür auch nicht aus, dennoch soll und darf nicht übersehen werden, dass sich endlich zwei ehemalige Studierende zu Wort meldeten: Dr. Nabil Harfoush aus Syrien, jetzt Kanadier und Diplomarchitekt Antonio Marmaras aus Zypern. Herzerfrischende Äußerungen. Oder? Nabils Sicht auf die furchtbaren Geschehnisse in seinem Heimatlande interessierten nicht nur mich.
Textsortenvielfalt war als ein anzustrebendes Ziel genannt. Dr. Bernd Landmann hat dazu einen neuen Akzent gesetzt, weil er Texte der ganz anderen Art geschrieben und dem Blog zur Verfügung gestellt hat. Ein weiterer Text von ihm ist bereits in der ‚Pipeline‘. Ihm wie allen anderen Beiträgern gebührt Dank, auch schon mal Dr. Manfred Pudszuhn, der sich offensichtlich für das neue Jahr vorgenommen hat, seinen Beitrag zum Fachsprachenunterricht weiterzuführen.
Hinzugekommen ist auch die Rubrik FUNDSACHEN. Ich bin sicher, da schwebt noch MANCHES Aufschlussreiche im Netz herum. Zwei Fundsachen, auf die demnächst aufmerksam gemacht wird, erblicken im Laufe des Jahres das Licht des Blogs.
Der statistische Beweis, dass der Blog noch lange nicht am Ende ist, darf selbstverständlich nicht fehlen. Sie können ihn aber auch überspringen, weil man mit Statistiken alles beweisen kann, auch das Gegenteil davon (James Callagham). Immerhin sind es jetzt insgesamt 42 Beiträge. Die Zahl der Kommentare hat sich auf 110 erhöht, also + 51. Was die Zahl der Besucher pro Jahr angeht, erhöhte sich die Zahl leicht auf 14219 Klicks, der ‚busiest day‘, der 11. Februar 2011, mit 153 Klicks wurde bisher nicht wieder erreicht. ‚Spitzenwerte‘ erreichten die Beiträge, die sich direkt mit dem Wendegeschehen am Institut beschäftigen, die Texte zu Grass bzw. von ihm und die ‚Dauerbrenner‘: das Lehrbuch „Deutsch. Ein Lehrbuch für Ausländer“, Forschungsstudium, Fremdsprachenpsychologie, Humor am Herder-Institut.
Schließlich möchte ich noch die Frage beantworten, warum sich der Blog so sehr, zu sehr an das ‚alte‘ Herder-Institut klammere. Mag ja sein, dass ein solcher Eindruck entstanden ist. Aber obwohl der Bezugsrahmen nicht aufgegeben werden soll, ist er nach ‚ hinten‘ und ‚vorn‘ offen. Belege:
Die beiden Texte, die sich mit dem Namen Günter Grass verbinden, könnten als Grenzüberschreitung verstanden werden, allein sie atmen Herder’schen Geist und sind schon deshalb am richtigen Platze.
Zweitens hat der Beitrag „Martin, hast du bei deiner Doktorarbeit auch abgeschrieben?“ auf den ersten Blick nicht direkt mit dem Herder-Institut zu tun. Aber das Herder-Institut als Teil der Leipziger Universität und des DDR-Hochschulwesens ist ja historisch gesehen nicht aus dem heutigen deutschen Bildungs- und Forschungsgeschehen auszuklammern. So kann der Schreiber sich nicht genug wundern, was alles im Zusammenhang mit dem Plagiatsvorwurf gegenüber Dr. Annette Schavan diskutiert wird. Richtig stutzig wurde ich, als ich davon erfuhr, dass die Promotion der einzige akademische Abschluss der Bundesbildungsministerin ist. (Siehe Kommentar zum dem oben genannten Beitrag) Das wäre an der Leipziger Universität nicht möglich gewesen. Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich zur Promotion nicht nur das Staatsexamen-, sondern sogar das Abiturzeugnis vorlegen musste. Gut, inzwischen habe ich erfahren, so etwas sei in der Bundesrepublik zu Schavans Zeiten noch möglich gewesen, kann ihr folglich nicht angelastet werden. Doch wenn schon kein Studienabschluss von ihr gefordert wurde, aus welchen Gründen auch immer, hatte sie unstrittig die moralische Pflicht, wenigstens eine sauber gearbeitete Promotionsschrift abzuliefern, die sich nicht 30 Jahre später massiven Plagiatsvorwürfen ausgesetzt sieht. Man kann es deshalb drehen und wenden, wie man will, eine Bundesministerin für Bildung und Forschung, die womöglich demnächst ohne Hochschul-Abschluss dasteht (Wie war das eigentlich bei Margot Honecker?), muss ihren Hut nehmen. Da helfen keine Beteuerungen ihrer Unschuld, keine Forderungen nach einem unabhängigen Experten-Gremium, kein Hinweis auf ihre damalige Jugend (25), auf die damals gegebene historische Situation, auf ‚krassere Fälle‘ als der ihrige, auf Verjährung, keine Schützenhilfe aus der CDU/CSU-Breitseite, die wieder einmal deutlich werden lässt, wie versucht wird, auf die Entscheidungsgremien der Universitäten gezielt politischen Einfluss zu nehmen.