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FUNDSACHEN

2012 30. August
von Martin Löschmann

Unter diesem Titel können Informationen über das ‚alte‘ Herder-Institut wiedergegeben werden, auf die Leserinnen und Leser, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wie überhaupt Interessenten und Sympathisanten des Herderblogs mehr oder weniger zufällig stießen und die sie für mitteilenswert halten.

Ortung einer Mitarbeiterin

Die Idee entstand beim Lesen der „Unzeitgemäßen Erinnerungen“ (Untertitel) von Dr. Dietmar Keller mit dem Titel „In den Mühlen der Ebene“ (Karl Dietz Verlag Berlin 2012). Ein guter Freund „Namensvetter eines ehemaligen Kollegen, der in Zeiten der Wende sein Gesicht verlor, indem er sein wahres Gesicht zeigte“, empfahl es mir, nicht wegen des Herder-Instituts, sondern weil darin unter anderem das Kulturleben der Republik, besonders die Leipziger Kulturszene von einem Insider aufschlussreich beleuchtet werde und sich ein Lebensweg präsentiere, der kritisch aufgearbeitet sei. In der Tat ein lesenswertes Buch, dass nicht ohne Humor geschrieben ist. Es zeigt, wie auch in der DDR Persönlichkeiten reiften. Keller erweitert unser kulturelles Hintergrundwissen mit einer Fülle von Details, die gelegentlich aber auch die in Rede stehenden Künstler, vor allem Schriftsteller und Maler, eher bloßstellen, seine Person jedoch im Glanze eines mutigen Partei-Kämpfers spiegeln.

Dietmar Keller, Absolvent der Karl-Marx-Universität, stieg vom Sekretär für Wissenschaft und Kultur der SED-Kreisleitung der Uni zum Sekretär für Wissenschaft, Volksbildung und Kultur der SED-Bezirksleitung Leipzig auf, um 1984 das Amt eines stellvertretenden Kulturministers der DDR zu übernehmen. In der Wendezeit war er sogar Minister für Kultur in der kurzlebigen Modrow-Regierung. Danach machte er als Bundestagabgeordneter der PDS auf sich aufmerksam. Allerdings wird der interessierte Leser vom PDS-Austritt Kellers 2002 überrascht. Ist er an seinem eigenen Anspruch gescheitert? Jedenfalls für mich ein Suchender, der seinen Weg gegangen ist und ihn dann wohl verlor. Doch um diesen Schluss zu belegen, müsste man sein umfangreiches Werk, besonders nach der Wende erstaunlich angewachsen, gründlich studieren.

Sein kritisches Verhalten im Rahmen der vom Politbüro vorgeschriebenen Kulturpolitik sprach sich herum, er galt als einer der Hoffnungsträger der jungen Garde, die sich vereinzelt hier und da vernehmbar artikulierte. Ich erinnere mich noch gut an seinen Auftritt am Herder-Institut zwei, drei Jahre vor der Wende. Ich dächte, Anneliese Panten, dem Wissenschaftsbereich von Prof. Hexelschneider angehörig, hätte ihn als Referenten vorgeschlagen. Keine Frage, da wurden auf offizieller Ebene, die ich gern Königsebene genannt habe, neue, höchst kritische Töne angeschlagen und Forderungen an die Kulturpolitik formuliert, die allerdings zu dieser Zeit für manchen Mitarbeiter des Instituts nicht neu waren: Aufgabe der strikten Abgrenzung zur Bundesrepublik, Unterscheidung von historischer Wahrheit und künstlerischer Freiheit, Reduzirung der Zahl der Sitzungen auf Partei- und staatlicher Ebene. Und wie in seiner biografischen Arbeit viele Male angeführt, sprach Keller im Wesentlichen frei, sich an seine „kleinen Notizen“ haltend, wie er sie einmal falsch in seinem biografischen Werk attribuiert.
Mein Fazit seines Auftritts am Herder-Institut habe ich noch im Kopf, er wird die Kulturpolitik der DDR nicht prinzipiell ändern oder gar revolutionieren, aber sollte es eine neue Führungsriege geben, könnte er dabei sein. Damals ging ich noch davon aus, dass es Kräfte in der SED gäbe, die nur darauf warten, ihre Schubladen mit den ausgereiften Konzepten zu öffnen. Klägliche Illusion, die nur ein Wissenschaftler haben konnte, der sich durchaus für politische Fragen interessiert, aber niemals in das politische Geschäft berufsmäßig einsteigen wollte.

Dietmar Keller wird mich einen Erbsenzähler, Korinthenkacker, Silbenstecher, Wortklauber, ach was weiß ich, wie er mich bezeichnen könnte, wenn ich mich darüber wundere, dass er im Zusammenhang mit den Auseinandersetzung um Werner Heiduczeks Roman „Tod am Meer“ (1977) die Frau des Autors Dorothea wenigstens zweimal mit ihrem Titel ‚Oberstudienrätin‘ charakterisiert, aber ihre Arbeitsstelle Herder-Institut nicht erwähnt. Schließlich gehörte sie in der Abteilung Erziehung und Ausbildung zum Leitungsgremium. Sie wurde nicht Oberstudienrätin an einer Schule, wie man vermuten könnte, sondern eben am Herder-Institut. (Die Auszeichnung Oberlehrer, Studienrat, Oberstudienrat gab es am HI nur für Mitarbeiter der Abteilung E/A.)
Keller benennt sehr präzise den Grund, warum Heiduczeks Roman in Ungnade fiel:
„Werner Heiduczek hatte eine Frau beschrieben, die von einer Gruppe sowjetischer Soldaten vergewaltigt worden war“. (Keller, S. 71) Das durfte einfach nicht sein, die russische Seite wollte und konnte diese die Kriegsrealität gestaltende Szenen nicht akzeptieren. Da der Autor aber die entsprechende Passage nicht streichen wollte, versuchte man ihn „ruhig zu stellen“. Und Keller „als das Mädchen für alle Einladungen zum Kaffeetrinken, Lesungen in Leipzig, für Einladungen zu wichtigen kulturellen Veranstaltungen im Territorium wird bestellt, eine Reise für ihn und seine Frau, Oberstudienrätin Dorothea Heiduczek, eine mehrmonatige Reise mit einem Fischtrawler der Seereederei Rostock in den Indischen Ozean zu organisieren. (Vgl. Keller, 73) Über diese Reise hat Dorle am Herder-Institut nicht nur einmal berichtet, jedoch nicht darüber, wie diese Reise zustande kam. Das möchte ich Dietmar Keller auf diesem Wege noch mitteilen, denn Spaß muss sein.

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