Wie war das damals eigentlich?
Nicht nur die Enthüllung des neuen Denkmals für Patrice Lumumba vor dem Gebäude des ehemaligen Herder-Instituts – dem sogenannten Haus A, das Haus B in der Lumumbastraße 2 in Leipzig ist inzwischen zu einem exquisiten Wohnhaus mit teuren Wohnungen umgebaut worden – und nicht nur der entsprechende Artikel mit Foto in der Leipziger Volkszeitung bringen mich dazu, etwas zu oben genannter Frage zu Papier zu bringen, sondern natürlich auch das Löschmannsche Beispiel und Martins nachdrückliche Bitte dazu.
Ich bin – nur kurz zu meinem Werdegang an besagtem Institut – als Chemie-Ingenieur am Montag, dem 1. März 1965 (es war in diesem Jahr ausgerechnet der Rosenmontag) als Lehrer für das Fach Chemie eingestellt worden, und das kam so: Es war mir nicht gelungen, eine für mich passende Anstellung als Chemie-Ingenieur zu finden, und bei der Suche danach wurde mir angeboten, an der Volkshochschule in Eilenburg als Lehrer für Mathematik und Chemie zu arbeiten, weil ich 1947 mal für ein Jahr versucht hatte, mein Glück als Neulehrer zu suchen. So ergab sich also meine damalige Abendbeschäftigung in Eilenburg. Der damalige Fachbeauftragte am Herder-Institut (ich glaube, so nannte man das) war Erich Kühn, ein resoluter und wendiger Kollege mit Mut zum Risiko. Dieser nun hörte von meiner Tätigkeit durch meinen Mann, der damals schon einige Jahre am Herder-Institut arbeitete, und erklärte uns für verrückt, das so zu machen, ich solle doch am Herder-Institut anfangen, das damals unter Fachlehrer-Mangel litt. Ich hatte ernste Bedenken, ließ mich dann aber doch auf eine Probezeit ein, die ja auch im Interesse des Instituts sein sollte. Man setzte mich auf die Stelle eines wegen psychischer Probleme ausgeschiedenen Kollegen – also insgesamt die besten Vorzeichen für ein Gelingen des Unternehmens. Bezahlt wurde ich als Ingenieur, das hieß mit etwa 300.- Mark weniger als die Kollegen, die z.B. eine Lehrerprüfung abgelegt hatten. Das Experiment gelang aber doch mehr oder weniger gut, so dass aus meiner „Probezeit“ dann insgesamt 26 Jahre wurden. (Dass es nicht länger dauern konnte, lag nicht an mir. Ich hatte im Jahr der Wiedervereinigung das damalige Rentenalter für Frauen in der DDR erreicht, was für die neue Leitung des Instituts ein Grund war , mich mit einem sogenannten Aufhebungsvertrag aus dem Dienst zu entlassen, natürlich ohne Abfindung. Nun ist nach bundesdeutschem Recht Alter zwar kein Entlassungsgrund, in den „neuen“ Bundesländern aber war kurzerhand der sogenannte „BAT Ost“ eingeführt worden, und damit war das rechtens.)
Natürlich ärgerte mich die Unterbezahlung, ein bisschen trieb mich vielleicht auch der Wissensdrang, jedenfalls legte ich nach einiger Zeit extern an der damaligen Karl-Marx-Universität, heute Universität Leipzig, das Staatsexamen als Lehrer für Chemie bis zur 12. Klasse ab; damit erschien ich den Verantwortlichen am Institut dann doch für würdig, als „Lehrer im Hochschuldienst“ bezahlt zu werden.
Am Institut, genauer in der Abteilung E und A (Erziehung und Ausbildung) wurden ausländische Studenten auf ein Studium in der DDR sprachlich vorbereitet. Diejenigen, die in ihren Heimatländern eine relativ gute Schulbildung genossen hatten, schafften diese Vorbereitung in der Regel in einem Studienjahr. Leute mit weniger guten Voraussetzungen wurden in Zweijahresgruppen eingestuft, da sie vor allem auch Fachkenntnisse erwerben mussten, die je nach geplanter Studienrichtung für sie notwendig waren.
Das Studienjahr begann Ende September/Anfang Oktober für die Einjahresgruppen zunächst mit einem etwa vierteljährigen allgemeinsprachlichen Unterricht, der von den Deutschlehrern geboten wurde. Nur in den Zweijahresgruppen begann zu dieser Zeit schon der Fachunterricht, der zwar Fachsprachunterricht genannt wurde, aber in der Tat nicht wirklich ein solcher war. Am Beginn des Studienjahres also war ein großer Teil der Lehrer in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern unterbeschäftigt. Das musste einen ökonomisch denkenden Direktor des Instituts natürlich beunruhigen. Unser damaliger Direktor war inzwischen Prof. Dr. Johannes Rößler, von Haus aus Ökonom, also der für eine Veränderung der Situation prädestinierte Mann. Also wurden die Fachlehrer mit dem entsprechenden Nachdruck dazu gebracht ein Zusatzstudium „Deutsch als Fremdsprache“ aufzunehmen, das von der germanistischen Fakultät der Universität in Zusammenarbeit mit der Forschungsabteilung des Herder-Instituts und der Fremdsprachenmethodik gestaltet wurde. Die Begeisterung der Fachlehrer hielt sich in Grenzen, nicht alle waren eigentlich auch dafür geeignet. Ich war in einem späteren Durchgang, nachdem die ersten Kollegen schon ihren Abschluss hinter sich hatten, und zwar wegen der vorhergehenden Qualifizierung zum Lehrer, die ich ja zu absolvieren hatte. Dann aber machte das Zusatzstudium mir sehr viel Spaß – und später hatte ich den größten Nutzen daraus in unseren Einsätzen im Ausland (Angola, Ungarn, Portugal). Dass wir trotzdem dieses Studium von der vergnüglichen Seite sahen und sehr viel Spaß damit hatten, zeigen die nicht so ernst gemeinten Verse, die wir zu unserem Vergnügen und zu dem der an unserer Abschlussfeier teilnehmenden Kollegen der Sektion Germanistik vortrugen:
Wir wollten´s nicht gern und taten´s dann doch/und stöhnten nicht schlecht unter diesem Joch./
Es begann mit Grammatik, der ersten Pein,/doch sollte sie nicht unsere letzte sein.
Ist „es“ hier das Subjekt? Da sagt einer „Nein,/das wird doch wahrscheinlich ein Platzhalter sein!“/
Ach, waren wir glücklich, wie gut es dann lief,/wir erkannten sogar schon manch Prädikativ!
Nur schade, dass man sich nicht einigen kann,/ob alte, ob neue Grammatik jetzt dran./
Der eine sagt Fügteil, der sagt Konjunktion –/sehr logisch, doch was ist der Unterschied schon?
Wir lernten nach Glinz, nach Flämig, nach Erben,/denn schließlich will man´s mit keinem verderben./
Wir teilten im Schlaf bald die Wortarten ein,/ob sie deklinierbar, oder ob sie´s nicht sei´n.
Dann stand gleich die Frage der Lexik im Raum,/wir prüften Wörter nach Wortstamm und –baum./
Was ist hier noch üblich, was okkasionell?/Entscheidet euch, Leute, und möglichst schnell!
Ob Hemd oder Hose Bestimmungswort sei,/das war uns zuerst gar nicht einerlei./
Doch gab man uns schließlich Siegel und Brief:/die Hemdhose ist nun mal Kopulativ.
Und gäbe es nicht die Morphologie,/erkennten wir den Konjunktiv nie./
Wir prüften des „Schniepel-Herrn“ heischende Rufe:/Sieh da, sie war´n in der Erwartungsstufe!
Die Tempora waren zuerst ein Problem,/doch dann ging es schließlich ganz bequem:/
Was vorbei, ist vollzogen, was noch dauert, Verlauf –/warum kam man da nicht schon früher drauf?
Mit dem Schreiben ging´s nun, doch das Sprechen ward schwer,/denn jetzt kam auf einmal Phonetik daher./
Mit Knacklaut und Plauzlaut und Affrikat –/wer hat da die Basis schon ständig parat?
Die Lippen gewölbt, mit der Zunge Kontakt –/wen wundert´s, wenn´s da an den Glottes knackt?/
Doch sind alle Merkmale distinktiv,/dann weiß man genau: „fiel“ ist was anderes als „lief“.
O Syntax, o Konstituentenstruktur,/was war das doch manchmal ´ne Prozedur!/
Valenztheorie und Abhängigkeit –/ein Kinderspiel, weiß man darüber Bescheid.
Stopft er sein Traktat in die Lade hinein,/oder stopft er es nur? Das kann wohl nicht sein!
Na klar, der Leerstellen sind hier drei, und auf L1 ist 3humus dabei.
Die Krönung des Ganzen, Stilistik zum Schluss,/das war für uns alle die härteste Nuss./
Was sind doch die Dichter für Bösewichte!/Ich weiß es genau, wenn ich einmal dichte,
Dann sage ich alles so, wie ich es meine,/und nicht mit Metaphern, ob groß´oder kleine.
Ich meid´ Euphemismus und Synästhesie/und verzichte sogar auf die Ironie!
Doch sei eine kleine Hyperbel erlaubt,/auch auf die Gefahr, dass es mancher nicht glaubt:
das Studium der Sprache ist hochint´ressant,/und g´rad´, wenn du meinst, sie sei dir bekannt.
Doch an dieser Stelle noch lange nicht Schluss,/denn auch die Methodik war ein Genuss.
Sie beschäftigte uns von Anfang bis Ende,/wir gingen dabei durch viele Hände.
Methode wird immer bestimmt vom Ziel!/Bei der ersten Klausur merkt´ man davon nicht viel./
Doch soll man sich steigern, das taten wir auch,/uns blieb dann nichts mehr Schall und Rauch.
Wir machen VH, wir lesen kursorisch,/behandeln Grammatik auch provisorisch./
Von Lauteinführung bis Prüfung zum Schluss/wissen wir jetzt, wie man´s machen muss.
Wir danken nun allen für ihre Müh´-/Denn ganz ohne Hilfe schafften wir´s nie!/
Jetzt sind wir perfekt mit Fachbuch und Fibel,/mit einem Worte: …..fast disponibel!
Mit dem letzten Wort wurde das Hauptargument von Hannes Rößler für das Zusatzstudium der Fachlehrer aufgegriffen: Sie sollten disponibel eingesetzt werden können, also sowohl für den allgemeinsprachlichen Unterricht am Beginn des Studienjahres als auch für ihr eigentliches Fach danach. Das war insofern möglich, als damals schon der bereits bei Löschmann erwähnte Grundkurs im Anfangsunterricht eingesetzt wurde.(Beitrag zu E/A) Natürlich war damit über das Ziel hinausgeschossen worden; für erfahrene Deutschlehrer war das strenge Korsett des Materials eine Zumutung, es ließ zu wenig Platz für die schöpferische Arbeit eines Lehrers und für das individuelle Eingehen auf die unterschiedlichsten Studenten. Für die Fachlehrer aber, die sich in die Fremdsprachenmethodik und in das Fach Deutsch als Fremdsprache erst einarbeiten mussten, war „Deutsch intensiv“ so etwas wie eine „Krücke“.
Ein wesentlich wichtigerer Aspekt des mit dem Zusatzstudium gewonnenen Einblicks in das am Herder-Institut notwendige methodische Vorgehen aber war die Möglichkeit, aus dem Fachunterricht tatsächlich einen Fachsprachunterricht zu machen.
Wir nahmen ein gemeinsames Projekt in Angriff, die Schaffung eines komplexen Lehr- und Lernmaterials (KLL), das die Kollegen der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer und die Deutschlehrer gemeinsam beschäftigte. Jeweils ein Verantwortlicher der Fächer erarbeitete mit den anderen gemeinsam das Material, das in vielen Stunden im Unterricht erprobt wurde. Die Grundidee war, die im Fach notwendigen grammatischen Strukturen im allgemeinsprachlichen Unterricht früh genug einzuführen und dann mit fachlichen Inhalten im Fachsprachunterricht zu üben. Darüber hinaus wurden auch fachliche Inhalte in die Texte des allgemeinsprachlichen Unterrichts aufgenommen. Diese Zeit war am Herder-Institut eine sehr produktive, schöpferische, interessante Zeit – und wenn man als damals Beteiligter daran zurückdenkt, überkommt einen schon ein wenig Wehmut: Es war ja wirklich nicht alles schlecht! Dass nicht alle „Blütenträume“ reiften, sei nur am Rande bemerkt: Unser Direktor, der die Arbeit am KLL interessiert unterstützte, hatte die Idee, daraus eine Gemeinschaftsdissertation entstehen zu lassen; daraus wurde aus unterschiedlichen Gründen zwar nichts, aber einzelne Dissertationen entstanden schon aus dieser Arbeit.
Abschließend noch ein Wort zu der bei Löschmann schon erwähnten Leitstelle des Herder-Instituts:
Die Kollegen, die dort arbeiteten, leisteten oft einen sehr effektiven Beitrag zu den Erfolgen, die Auslandslektoren in den verschiedensten Ländern hatten. Ein einziges Beispiel aus unserer Arbeit in Angola mag das belegen: Das Nationale Sprachinstitut in Luanda wurde 1978 gegründet, wir waren dort zuständig für die Abteilung Deutschunterricht. Die angolanische Leitung des Instituts hatte die Vorstellung, in allen Fremdsprachenfächern ein audiovisuelles-globalstrukturiertes Material einzusetzen, das unseren Vorstellungen in keiner Weise entsprach. Wir weigerten uns also dagegen und erklärten, dass wir ein eigenes entsprechendes Material hätten – und der Leitstelle gelang es, uns das gesamte Material von „Guten Tag, Berlin“ innerhalb einer Woche zur Verfügung zu stellen.
Genau so, wie diesen Kollegen, die zum Teil gar nicht mehr leben, sollte auch mit unseren Beiträgen so etwas wie ein kleines Denkmal gesetzt werden. Und vielleicht können wir auf diesem Wege ein bisschen dazu beitragen.
Hallo Inge,
ich habe mich über die Bemerkungen hinsichtlich der „sprachlichen“
Qualifizierung in Richtung eines disponiblen Einsatzes der Fachkollegen
schon gefreut. Ich hatte schon fast vergessen, dass ich das auch hin-
ter mich bringen mußte.Zwei Jahre habe ich dann auch „Deutsch intensiv“
unterrichten dürfen und war für diese „Krücke“, wie du es nennst, sehr
dankbar.
Allerdings kann ich mir gut vorstellen, dass Fachkollegen, die jährlich
so arbeiten mußten, das starre Gerüst bald verlassen und selbst
nach ihrer eigenen Erfahrung den Unterricht gestaltet haben.
„Dümmer“ ist ja so keiner geworden! Mein Horizont hat sich dadurch mit
Sicherheit erweitert.
Irgendwie stellte diese „Gesamtmaßnahme“ auch eine Art Zäsur in der Arbeit in E/A dar. Oder täusche ich mich da.