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Das hat Büchner nicht verdient

2019 29. Oktober
von Martin Löschmann

Gewiss, aktuelle Adaptionen von literarischen Werken vergangener Jahrhunderte sind oft problematisch, man sollte Transformationen in die Gegenwart deshalb aber nicht von vornherein in Frage stellen, aber man wünschte sich schon, dass sie irgendwie angemessen, plausibel, redlich in die Neuzeit, zeitgemäß transformiert werden, was immer man darunter verstehen will oder kann.

Mir will scheinen, dass die Neuverfilmung von Büchners „Woyzeck“ aus dem Jahre 2013 im hohen Grade misslungen ist, auch wenn das Feuilleton es weitgehend anders sieht. Ich schreibe vom Woyzeck-Film des Regisseurs Nuran David Calis, den ich allerdings erst vor gut einer Woche bei 3sat (also am 19. Oktober 2019) gesehen habe. Gewissermaßen Schnee von gestern, der in unserer schnelllebigen Welt längst aufgetaut ist und sich verflüchtigt hat.

Indes, offensichtlich hatte sich meine Enttäuschung über die Verfilmung von Wedekinds „Frühlingserwachen“ (2009), die ich vor Jahr und Tag zur rechten Zeit gesehen hatte, nicht ein für alle Mal – mich lähmend – über den Namen des Regisseurs gelegt.

In dem so oft gespielten fragmentarischen revolutionären Theaterstück geht es bekanntlich um den geschundenen armen Soldaten Franz Woyzeck, der – einer der Ärmsten unter den Armen – von seinem Hauptmann, dem er als Laufbursche dient, und erst recht vom schneidigen Tambourmajor, der seine Marie verführt, bis ins Mark gedemütigt und erschüttert wird. Von Wahnvorstellungen, Peinigungen und von der Enge seines kasernierten Lebens getrieben, bringt er, im höchsten Grade verzweifelt, seine Marie um. Sein bedauerlicher Gemütszustand rührt von den wissenschaftlichen Untersuchungen her, denen er sich in seiner Not als Versuchsobjekt unterwirft und die dazu dienen herauszufinden, ob und welche unerwünschten Nebenwirkungen eine Ernährung ausschließlich mit Erbsen hat.

Wenn nun diese Figur – erstmalig in der deutschen Literatur – ins Berliner, genauer ins vermeintlich heutige Wedding-Milieu versetzt wird und seine große Not durch den Verlust seiner Gaststätte entsteht, die er Moslems überlassen musste, gerät die Handlung zwangsläufig in eine mehr als zweifelhafte Schieflage. Die wird durch den Ersatz des feschen Tambourmajors durch einen Gangleader mit mäßigem Hollywood-Zuschnitt verstärkt. Gerade durch ihn ist Woyzeck seinen Besitz losgeworden und musste erleben, wie ein muslimischer Zuwanderer nebst Clique sein ehemaliges Restaurant als eine arabische gastronomische Einrichtung betreibt. Woyzeck will sein Schicksal nicht hinnehmen, sich zurückarbeiten und seiner Marie mit ihrem gemeinsamen Kinde finanzielle Sicherheit geben und vor allem ein Häuschen für sie erwerben. Dafür schuftet er unter Tage als Müllarbeiter, Gleisreiniger und schluckt überdies undefinierbare Pillen für eine zweifelhafte Studie, die ihn vorübergehend impotent und schlaflos machen, muss sich zudem noch in seiner einstigen Gaststätte verdingen und scheitert letztendlich trotz all seiner redlichen Bemühungen.

Bei solcher Gemengelage kann man sich über weite Strecken nicht des Gedankens erwehren: Es sind die bösen Moslems, die Migranten, eine Migrantenoberschicht, die sich ein gutes Stück von Berlin erobert und die Woyzeck ins Elend gestützt haben und denen er, einer mit Nicht-Migrationshintergrund, letztlich schmerzlich unterliegt. Man ist entfernt an Houellebecqs „Unterwerfung“ erinnert, aber nur sehr weit entfernt. Kein Vergleich! „Mich interessieren ethnische und religiöse Konflikte. Ich brauchte einen Menschen, der eine Minderheit in einer Minderheit darstellt“, sagt der Regisseur. Mag sein, aber Büchners Theaterfragment „Woyzeck“ ist dafür völlig ungeeignet. „Man würde dem Film Woyzeck sicher nicht gerecht, wenn man ihm unterstellen würde, Fremdenfeindlichkeit zu provozieren“, heißt es in einem  „Pädagogischen Begleitmaterial zum Film WOYZECK“: (http://www.materialserver.filmwerk.de/arbeitshilfen/Begleitmaterial-Woyzeck_v2.pdf). Aber genau diese Provokation bricht sich in der Theaterverfilmung von Herrn Nuran David Calis Bahn.

Ich weiß nicht, ob sich jemand von der AfD zu dieser Verfilmung geäußert hat, würde es aber gerne wissen, denn eines ist sicher, der Film ist eine Vorlage, wenn nicht so abgegriffen, hätte ich geschrieben: Steilvorlage, für diese rechtsradikale Partei. Der arme deutsche junge Mann wird aus seinem ihm angestammten Bereich von Migranten, die zu Kriminellen, Kleinkriminellen geworden sind, vertrieben, ins Elend getrieben.

Sag ich doch, sagen wir doch. Schaut, so kann es jetzt schon gehen. Das darf doch nicht sein. Das kann doch nicht sein. Das muss doch nicht sein. Das wird so sein, wenn nicht …

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