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Schon an zwei Details könnt ihr sie erkennen

2019 7. April
von Martin Löschmann

Ich gestehe, auf das Dokudrama, den Zweiteiler über Brecht Die Liebe dauert oder dauert nicht und Das Einfache, das schwer zu machen ist, von Heinrich Breloer erst durch die Rezension in Spiegel Online aufmerksam geworden zu sein. Allein schon die deftig formulierte Überschrift: Misslungener Brecht-Zweiteiler Dichter, Denker, Schwein von Wolfgang Höbel (21.03.2019) musste einen, der sich im Studium intensiv mit Brecht beschäftigt hatte und der ihn seither nicht mehr losließ, stutzig machen.

Das letzte Wort im Dreierklang – Schwein – initiierte, ohne die Rezension überhaupt gelesen zu haben, eine bestimmte Assoziation. Wie oft habe ich nicht in meinem Leben gehört: Goethe ein großer Dichter gewiss, wer wollte das bestreiten, aber als Mensch – ein Schwein. Ich dächte, ich hätte auch in meinen Unerhörte Erinnerungen eines Sonstigen (2016) über diese Erfahrung geschrieben. Doch Fehlanzeige. Assoziationen stellen sich weiter unkontrolliert ein, durch bestimmte Reizwörter, bestimmte Kommunikationssituationen. Nach Goethe kommt Heinrich Heine – gewiss ein großer Dichter, nicht zu vergleichen mit Goethe natürlich, aber dennoch auch ein Dichter und Schwein, das an seiner Syphilis elendig – selber schuld – zugrunde ging. Um keine üble Kolportage zu betreiben: Die bösartige Nachrede hält ernsthafter Nachforschung nicht stand, ganz abgesehen davon ist sie in meinem Zusammenhang auch unwichtig, will ich doch einfach nur schreiben, wohin mich die Überschrift der zitierten Rezension treibt:
Mit Breloers Dokudrama scheint das deutsche Dichter-Schwein des 20. Jahrhunderts Bertolt Brecht ausgemacht zu sein. Nachdem ich die beiden Teile gesehen habe, erhärtet sich der über die bloße Kritik gewonnene Eindruck. Der Dichter, der Stückeschreiber, der Regisseur kommen in Breloers Werken eindeutig zu kurz, man könnte fast sagen: so gut wie kaum/nur äußerst fragmentarisch vor. Während indes solche und ähnliche despektierliche Äußerungen von Vertretern des Bildungsbürgertums auf ihre Weise das dichterische Werk anerkennen, gelingt es Heinrich Breloer über weite Strecken nicht, Brechts dichterische und sein Theater prägenden Leistungen ins Bild zu setzen oder sollte ich besser schreiben: in seinem Dokudrama umzusetzen. So gut wie nichts vom epischen Theater, von Verfremdung, dem Aufräumen mit dem Illusionstheater seinen neuen Wegen des Theaterspielens, der internationalen Ausstrahlungskraft, die sich ja keineswegs auf die Gastspiele in Paris und London beschränkte, nichts von der kreativen Diskurskultur bei der Regiearbeit, aber auch nichts von der Spezifik seiner Dichtung, die sich ja durchaus nicht in der ‚Liebeslyrik‘ erschöpft. Dass Brechts neues revolutionierendes Theater nicht plausibel gemacht werden kann, mag auch an der Fehlbesetzung mit Burghart Klaußner als Brecht nach seiner Rückkehr aus der Emigration liegen. Er vermag weder die Persönlichkeit Brechts mit ihrer hohen Strahlkraft, den gewitzten, verschmitzten, anregenden, durchaus widerspruchsvollen, aber immer auch humorvollen vielschichtigen kreativen Menschen Brecht zu verkörpern, schon gar nicht seine offensichtlich magische Anziehungskraft auf Frauen, die sich ihm – wohl mehr oder minder allesamt – zur Mitarbeit anboten und im Umfeld des Theaters ihr Geld und – auch das mehr oder minder – in einem gewissen Maße Respekt verdienten, auf keinen Fall hat er auch nur eine von ihnen vergewaltigt! Helene Weigel dagegen wird von Frau Adele Neuhauser in bestechender Weise verkörpert.

Man merkt schnell, dass es dem Regisseur eigentlich nicht darum ging, Brechts dichterische Erfindungen, Entdeckungen, kreative Schöpfungen, seine intellektuelle Durchsetzungskraft zu erfassen und angemessen darzustellen, darstellen zu lassen, sondern er sich wohl eher im niederen Niveau bestimmter Bildungsbürger und im heutigen Mainstream wohlfühlt. Brecht wird nachträglich der „Me-too-Bewegung“ ausgeliefert. So wie Breloer die für Brechts Leben und Werk nicht unwesentliche Emigrationszeit so gut wie kaum der Berücksichtigung für wert erachtet, sowenig gelingt es ihm, Brechts Frauengeschichten ausgewogen differenziert und vorurteilsfrei zu erzählen. Wozu eigentlich braucht Breloer den ganzen oder fast den ganzen Reigen? Zumal er ja mit den von ihm inszenierten Frauengeschichten nichts Neues ans Licht bringt, sondern sich eher der landläufigen, ätzenden Klischees bedient.

Aber ich will hier keine Rezension schreiben, denn sie könnte auf keinen Fall die von Wolfgang Höbel übertreffen. Die trifft für mich in der Tat den Nagel auf den Kopf, weil er aufzeigt, dass und auch wie Brechts Wirken (vor allem in der DDR-Zeit) kleingemacht und er sogar, nicht zuletzt durch die Konzentration auf seine Liebesgeschichten, aber auch durch die Art, wie sein sicher an bestimmten Punkten diskussionswürdiges Verhalten in der DDR in Szene gesetzt ist, kompromittiert wird. Wie die Inszenierung des Stückes Katzgraben (1953) von Erwin Strittmatter, die sicherlich nicht zu Brechts großen Taten gerechnet werden kann, elegant heruntergezerrt wird, macht das z.B. deutlich. Mag sein, dass der große Brechtschüler Peter Palitzsch die Regie dieses Stücks ablehnte, weil das Werk nicht seinen Ansprüchen genügte, doch Helmut Baierls Frau Flinz, ebenfalls ein Gegenwartsstück, inszenierte er als Co-Regisseur ein paar Jahre später zusammen mit Manfred Wekwerth. Wozu also die Verunglimpfung von Brechts Arbeit an einer womöglichen Schwachstelle, ohne sie näher zu charakterisieren. Ein Schüler Brechts – zugegebenermaßen ein bedeutender – wird als Zeuge für ein unzumutbares Brecht’sches Unterfangen aufgerufen. Er wird allein schon durch die Tatsache legimitiert, dass er 1961 die DDR verließ. Nichts gegen eine kritische Betrachtung, aber sie muss die Kirche im Dorf lassen, Strittmatters Katzgraben, im Blankvers geschrieben, ins Schaffen Brechts einordnen. Auch bei Brecht reiften nicht alle Blütenträume.

Letztlich lässt sich Breloers tendenziöses Walten und Schalten schon an den zwei schlagartig erhellenden Details zeigen, die mich bei seinem Zweiteiler und der begleitenden Dokumentation Brecht und das Berliner Ensemble – Erinnerung an einen Traum jenseits der erwähnten Kritik ansprangen. Bezeichnenderweise erfasst die Dokumentation auch nicht die Emigrationszeit, was ja Sinn machen würde, da sie im Dokudrama kaum vorkommt, sondern die Zweitspanne von 1948 bis 1956. Ganz abgesehen davon, wozu bedarf es einer Dokumentation, wenn der Zweiteiler schon ein Dokudrama ist. Eine Dokumentation der Dokumentation? Gut, diese Spitzfindigkeit lassen wir mal beiseite. Und Geld verdienen will jeder und Breloer offensichtlich viel.

Sowohl im Dokudrama als auch in der Dokumentation wird die unglaubliche Mär verbreitet, das Theater am Schiffbauerdamm habe Brecht nur deshalb erhalten, weil die SED-Führung dem unbequemen Brecht gewissermaßen in dem Sinne ein Bein stellen wollte, dass sich seine neue Art, Theater zu spielen, in einem derart großen Haus totlaufen würde. Die wenigen Zuschauer und Zuschauerinnen würden sich einfach in dem riesigen Gebäude verlieren, so dass Brecht schon einsehen werde, dass sein Theater keine Zukunft hat. Nichts vom Haus in diesem Zusammenhang, in dem Brecht mit der Dreigroschenoper 1928 seinen ersten großen Erfolg gefeiert hatte, nichts von Brechts vermutlichen Ambitionen bei der Bestimmung des Theaters. Ein räumlich großes Theater wäre doch auch die wiederaufgebaute Volksbühne gewesen. Warum wurde die nicht Brecht und seiner Frau Helene Weigel zugewiesen? So aber musste der Intendant Fritz Wisten aus dem Haus am Schiffbauer Damm aus- und in das am Rosa-Luxemburg-Platz einziehen. Was also wird hier dokumentiert?
Auf keinen Fall der tatsächliche Vorgang, aufgezeichnet von Werner Hecht, der im Breloer’schen Werk als Brechtchronist aufgerufen wird. Danach gab es 1953 einen Beschluss des Zentralkomitees der SED, wonach das Theater am Schiffbauer Damm dem Ensemble der Kasernierten Volkspolizei, dem späteren Erich-Weinert-Ensemble, übergeben werden sollte. Brecht erfuhr davon und legte bei Otto Grotewohl, dem damaligen Ministerpräsidenten, Einspruch ein. Dem wurde, wie wir wissen, stattgegeben. (Vgl. Werner Hecht: Brecht-Chronik 1898–1956, Ergänzungen. Suhrkamp, Frankfurt/M 2007, ISBN 3-518-41858-0, S. 118)

Das zweite für mich aufschlussreiche Detail ist persönlicher Art. Da wird in der Dokumentation der Name Professor Kuckhoff, Professor der Theaterwissenschaft, zitiert, ohne näher auf ihn einzugehen, aber unterstellt, dass er Studenten zum Praktikum ans Berliner Ensemble mit dem Ziel geschickt hätte, Brechts-Theater auszuspionieren. Hätte man es nicht selber gehört und gesehen, man würde nicht glauben, dass ein so renommierter Mann wie Breloer auf so plumpe Art und Weise arbeiten würde.
Ich war Student bei Professor Mayer an der Leipziger Universität, der Brecht für so bedeutend hielt, dass er ihm eine ganze Vorlesungsreihe noch zu dessen Lebzeiten widmete, und kam im 2. Studienjahr in den Genuss, ein Praktikum am Berliner Ensemble absolvieren zu dürfen. Auch wenn man hätte etwas
ausspionieren wollen, es gab dazu gar keine Möglichkeiten, alles war bis ins Einzelne geregelt: Das Archiv war nicht zugänglich, man konnte Wünsche äußern, aber Verschlusssachen waren nicht zu haben. Beobachtung von Proben nur von ganz oben – weit weg und lautlos. Man konnte nachlesen, was eigentlich bekannt war. Dennoch, für einen Studenten gab es genug zu entdecken, und man konnte schon das Theater, das aufregende und anregende Fluidum und Brecht mit seinen Jüngern erleben – es wurde wohl Galilei geprobt, einfach großartig, ein prägendes authentisches Erlebnis. In meinen „Unerhörte Erinnerungen eines Sonstigen“ stellt sich mein Praktikum so dar:

„Ich fühlte mich auserkoren und erhoben, als ich am weltberühmten Theater ein Praktikum absolvieren durfte. Etwa ein Jahr zuvor hatte sich eine kleine Gruppe Diplomgermanisten, begeisterte Brecht-Anhänger, dem Meister genähert und sich als Mayer-Schüler empfohlen. Brecht fühlte den Studenten auf den Zahn und stellte offenbar seine Hohlheit fest, denn sie erwiesen sich weder als bibel- noch als antikefest. Der Stückeschreiber hatte offensichtlich nichts Besseres zu tun, telefonierte mit Mayer und beklagte sich bitter über die Unzulänglichkeit der humanistischen Bildung seiner Studenten. Beiden zu unterstellen, sie hätten die Studenten nicht wegen fachlicher Fehlstellen, sondern wegen ‚ideologischer Schieflage‘ behelligt, ist schlichtweg unlauter. Kann es wirklich jemanden verwundern, dass Professor Mayer, der großen Wert auf gesellschaftliche Hintergründe, geistig-kulturelle Zusammenhänge, Einflüsse der Antike, auch der Bibel auf die deutsche Literatur legte, aufgebracht war. Er bestellte die betreffenden Studenten nächsten Tages zu sich, putzte sie runter und verdonnerte sie zu einem Extrakolleg. Wie dieses Warnbeispiel, das Mayer genüsslich ausweidete, jemanden dazu führen konnte, seine Verdienste um Brecht zu schmälern, ja wegzuwischen, kann nur Gerhard Kluge selbst erklären, ihm war durch den Vorfall „mitsamt Mayer“ auch „Brecht verleidet“. Ganz gleich, wie man die Episode erinnert, sie kann kaum herhalten, sich Brecht verleiden zu lassen, schon gar nicht, wenn man sich einen Namen als Literaturwissenschaftler machen will und gemacht hat.
… Das Praktikum hatte für mich weitergehende Konsequenzen: Prof. Mayer hatte ein verdammt schwieriges, nichtsdestoweniger interessantes Diplom-Thema für mich vorgesehen: Brechts Stellung zur deutschen Klassik. Zu dem Thema, das Ausmaße für eine Dissertation hatte, gab es kaum Sekundärliteratur. Eine Konsultation beim Meister war über alle Maßen kurz, es blieb keine Zeit, mehr als eine Frage zu stellen. Vielleicht auch hatte ich meine Frage falsch gesetzt, eingeschüchtert war man Mayer gegenüber ohnehin. Und Armin-Gerd Kuckhoff hatte kein Ohr für meine Sorgen mit Brechts Beziehung zur deutschen Klassik, ein damals für ihn völlig abwegiges Thema.“
Armin-Gerd Kuckhoff war in der Tat ein Stanislawki-Anhänger, über den in meinen Erinnerungen geschrieben steht:
„Armin-Gerd hatte sich mit Beginn seiner theaterwissenschaftlichen Laufbahn dem psychologisch-naturalistischen Illusionstheater von Konstantin Serge-jewitsch Stanislawski verschrieben, genauer gesagt: der Stanislawski-Methode, die fraglos den europäischen und auch amerikanischen Aufführungsstil nach dem New Yorker Gastspiel Stanislawskis mit dem Moskauer Künstlertheater 1923 nachhaltig beeinflusste. Uns Studenten und Studentinnen schien diese Methode zu stark ideologisch motiviert, jedenfalls in der Form, wie sie in der DDR damals gehandhabt wurde. Später öffnete sich auch die Leipziger Theaterhochschule dem großen Theatermann Brecht. Er war, gerade weil er sich vom Illusionstheater abwandte, unser Mann, das Berliner Ensemble ein Wallfahrtsort, eine Kultstätte, um ein abgegriffenes Wort unserer Gegenwartssprache zu gebrauchen.“
So ging es auch vielen Theaterstudenten und -studentinnen, die u.a. bei Kuckhoff studierten. Da gab es für sie nichts auszuspionieren. Keine Frage, sie werden Beobachtungsaufgaben zur neuen Art des Theatermachens gestellt bekommen haben, vielleicht sogar die Aufforderung, Unterschiede im Vergleich zur Methode des russischen Regisseurs und Theatertheoretikers Konstantin S. Stanislawski, die vor allem auf völlige Identifikation des Schauspielers/der Schauspielerin mit der Rolle beruhte, herauszufinden. Ich weiß natürlich nicht, welche Aufgaben die Studierenden von der Theaterschule im Reisegepäck hatten, aber eines weiß ich ganz gewiss, Prof. Dr. Armin-Gerd Kuckhoff hat keine Spione ins Berliner Ensemble geschickt, mag er in der fraglichen Zeit noch so sehr an einem Stanislawski-Katechismus gehangen haben. Und es bleibt dabei, was in meinen unerhörten Erinnerungen geschrieben steht. Nicht zuletzt unter dem Einfluss von Prof. Mayer, bei dem er später promovierte, fand Armin-Gerd auch zu Brecht, wenn auch kritisch.

Herr Breloer, ich gebe zu, die ausgewählten zwei Details, die mir besonders aufgefallen sind, mögen für Sie vielleicht Lappalien sein. Für mich nicht, weil sie sich einreihen in die befangenen Darstellungen von DDR-Wirklichkeiten. Ich weiß nicht, ob Sie das „große Porträt eines großen Intellektuellen“ anstrebten, wie es Wolfgang Höbel mutmaßt, „herausgekommen ist“, um noch einmal Höbel zu zitieren, in der Tat ein „wackliges TV-Stück über einen eitlen Geck und ewiggeilen Dichterfürsten“, der sich – und das sind jetzt meine Worte – in der DDR zu seinem kreativen Nachteil hat verbiegen lassen.

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