Skip to content

Hier hat schon einer früher gegraben, als Volker Braun vermutet

2017 12. November
von Martin Löschmann

Bei Volker Braun, Prosaist, Essayist, Lyriker und Theaterautor, ist im Arbeitsjournal zu lesen, dass „in 50 jahren die archäologen nach uns graben“ werden. Mag mal dahingestellt sein, wer mit dem UNS im einzelnen angesprochen ist. Auf jeden Fall doch wohl DDR-Bürger und dabei natürlich DDR-Intellektuelle. Ohne Frage hat ihn der Theaterwissenschaftler Gottfried Fischborn „Vorkommen. Vor kommen. Ein Jahr Lebenszeit“ so verstanden und das Zitat über seine Memoiren gestellt.
Dan Bednarz, Assistant-Professor für Soziologie am Bristol Community College Fall River, Massachusetts, USA (nahe Boston) hat nicht als Ärchäologe gegraben, sondern als Soziologe, wie wir aus der im Blog angekündigten Veranstaltung bereits entnehmen konnten.

Vom Titel her ist es verständlich, wenn Bednarz sein Buch „East German Intellectuals and the Unification of Germany: An Ethnographic View“ im Institut für Ethnographie der Humboldt-Universität vorstellt. Schließlich steht da, dass ein “ethnographic review” präsentiert wird. Schaut man genauer hin, fragt man sich schon, worin denn der ethnographische Ansatz eigentlich besteht. Doch ehe ich mich im Vortragsort verliere, hole ich mich zurück und denke so vor mich hin: Das Buch verdient Leser und Hörer allerorten, da soll man vielleicht nicht beckmesserisch mit Zuordnungs- bzw. Einordnungsfragen daherkommen. Allerdings hätte man sich von dem Einführenden dazu schon ein paar erhellende Worte gewünscht.

Die Veranstaltung (siehe ihre Ankündigung im herderblog)) war gut besucht, darunter recht viele Studierende, die den englischsprachigen Vortrag zugleich als Pflichtveranstaltung mit entsprechender Aufgabenstellung zu bewältigen hatten. Womöglich haben sie sie davon abgehalten, Fragen zu stellen. Es könnte aber auch sein, dass derjenige, der den Autor des Buches einführte und nach dem Vortrag gleich beflissen seine kritischen Fragen – leicht abgehoben – stellte, sie eingeschüchtert hat. Fragen gab es dennoch genug, u.a. zur Begriffsbestimmung Intellektuelle, zu Auswahlkriterien, zur Interviewtechnik, zur Berücksichtigung der Genderproblematik.
Doch hatte ich irgendwie den Eindruck, dass die großartige Leistung, die geniale und moralisch starke Entscheidung des Soziologen Bednarz, des Amerikaners Bednarz nicht genügend gewürdigt wurde, obwohl der Autor seinen Ausgangspunkt im Vortrag deutlich und anschaulich markierte. Aber die “Zeit der Evaluierungen und Abwicklungen ostdeutscher Institutionen und Wissenschaftsbiographien”, nicht vergessen der Integritätsüberprüfungen war den meisten Zuhörern wohl doch schon zu weit entrückt und – um noch einmal mit Braun zu argumentieren – die Zeit vielleicht noch nicht weit genug vorangeschritten.

Die aufregende Erzählung geht so: Im Sommer 1990 weilte der Vortragende zu einem Studienaufenthalt am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Offensichtlich war er vom Wendegeschehen so fasziniert, dass er sich entschloss, sein geplantes, gut vorbereitetes Forschungsvorhaben aufzugeben und ein völlig anderes forscherisches Unternehmen zu beginnen und zu einem Buchabschluss zu bringen, nämlich Schicksalen von DDR-Intellektuellen kurz nach der Wende nachzuspüren. Seine Empathie für die „Verlierer des kalten Krieges“, für die Opfer, die Ausgestoßenen, die Verlierer, die Verdächtigten, die Entwurzelten, die Diskriminierten, die Beschimpften, die Denunzierten, die als „staatsnah Stigmatisierten“, die auf Schwarze Listen Gesetzten, die glimpflich Davongekommenen und die wenigen, die ins westdeutsche Hochschulsystem Eingepassten muss ein entscheidender Beweggrund gewesen sein. Anerkennung verdienen auch seine Förderer, die ihm den Wechsel ermöglichten. Sosehr indes das Unterfangen von Bednarz uneingeschränkte Anerkennung verdient, sowenig kann allerdings übersehen werden, dass womöglich nicht genügend Zeit zur Fundierung und wissenschaftlichen Absicherung seines methodologischen Vorgehens blieb. Von heute auf morgen stampft man keinen mehr oder weniger gesicherten Untersuchungsgang zu einem absolut anders gearteten Untersuchungsgegenstand aus dem Boden.

Man muss sich die Wende-Situation mal wieder vor Augen (bloß nicht an Jubiläumsfeiern!) führen. Da wird eine Elite mit unlauteren, ja undemokratischen Mitteln weitgehend ausgetauscht, die damit verbundenen inhumanen Vorgänge werden von der Presse kaum reflektiert. Wenn schon, dann werden negative Fälle berichtet: Stasi-Verstrickung, SED-Vergangenheit, Benachteiligung u.a.m. Nicht, dass es nicht solche Fälle gegeben hat, sie kommen bei Bednarz auch vor, aber insgesamt betrachtet, zeigen seine 106 interviewten DDR-Intellektuellen aus verschiedensten Bereichen: Gesellschafts- und Naturwissenschaften der Akademie der Wissenschaften und der Humboldt-Universität, aus Kunst und Kultur ein anderes und differenziertes Bild. Die ausführlichen Darstellungen von rund 40 Befragten macht den Hauptteil des Buches aus: Ehrenwerte Wissenschaftler, Lehrende, Künstler werden in Unehren entlassen, gestandene und in der Welt anerkannte Forscher und Forscherinnen müssen sich von westdeutschen Intellektuellen im Schnellverfahren evaluieren lassen. Dass die Evaluierer apriori als die Besseren, die Überlegenen, die ‚Besser-Wessis‘ gesetzt sind, erinnert einige der Interviewten, deren Anonymität geschützt wird, an koloniales Gebaren und lässt sie von Okkupation sprechen. Was Bednarz durch seine Gespräche und Interviews zutage fördert, deckt sich zum großen Teil mit den Erfahrungen, die der Berichtende in Leipzig machen musste: schlechte Vorbereitung der Evaluierungskommission, fragwürdige Zusammensetzung, Vorherrschen vorgefasster Meinungen, einfach durchsetzen, was im Voraus beschlossen war u.a.m. Auch wenn es im Vortrag nicht verbalisiert wurde, eine ganze Schicht unter Generalverdacht zu stellen, die würdelose Verjagung von DDR-Intellektuellen aus Ämtern, Positionen, Leitungen, aus den Laboren, aus Lehre und Forschung trägt den Makel von Menschenrechtsverletzungen.

Die bewunderungswürdige Dokumentationsleistung in einer schwierigen Übergangszeit mag Prof. Herbert Hörz bewogen haben, eine aufschlussreiche Rezension zu schreiben. Der Philosoph, einer der prominenten Befragten, war bis 1989 Leiter des Bereiches Philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung am Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften. Nach der „Abwicklung“ der Akademie der DDR führte er mit Akademiemitgliedern die Arbeit als „Mitglieder und Freunde der Leibniz-Akademie“ weiter, die ab 1993 im privatrechtlichen Verein Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin fortgesetzt wurde.

Für den Interviewer Bednarz stellt sich die Frage nach der Definition von Intellektuellen nicht. Er wählt eine pragmatische Bestimmung: geistig und künstlerische Tätige in den angegebenen Institutionen der DDR. Aus der Beschreibung der Interviewten ist unmissverständlich abzuleiten, um welchen Personenkreis es sich hier handelt. Das waren zunächst Teilnehmende an Englisch-Kursen an der Akademie der Wissenschaften, die Bednarz als „native speaker“ mitgestaltete. Seine Kerngespräche führten ihn zu weiteren Personen, die bereit waren, dem Fremden aus den USA Rede und Antwort zu stehen.

Den Mut musste man erst einmal haben, sich gewissermaßen im Triumph des Sieges des Westens, der Bundesrepublik auf die Seite der Geschlagenen zu stellen und ein solidarisches Signal auszusenden, das zu dieser Zeit kaum jemand hören und sehen will. Ihm gelingt es, die von der Wende benachteiligten Intellektuellen von der Redlichkeit seiner Befragung zu überzeugen, auch dadurch, dass er nicht den Recorder aufstellt und sich auf sein Gedächtnis und seine Notizen verlässt. Dass damit die Nachprüfbarkeit und eine bestimmte Objektivität in Frage gestellt werden, nimmt er in Kauf wie auch die Zufälligkeit seiner Auswahlkriterien. Bei dem geringen Abstand zu dem Wende-Geschehen ist Bednarz‘ Vorgehen durchaus verständlich, auch seine Scheu vor einem geeichten Fragebogen. Sein Hinweis auf den Roman „Der Fragebogen“ von Ernst von Salomon (1951), in dem Fragebögen kritisch bewertet werden, hat da wenig Beweiskraft.
Dennoch findet sich in den Gesprächen ein Fragegerüst, so Fragen zur Befindlichkeit, zur Tätigkeit, zur Rolle in der jeweiligen Institution, zur Parteikontrolle der Forschung und das Eingreifen des MfS in wissenschaftlichen Einrichtungen u.a.m. Interessant auf jeden Fall auch die Erfassung der Wege, die die ‚Ausgegliederten‘ nach der Wende gingen: Annahme von Stellen im Ausland, Gründung von Firmen, Arbeit in Beratungsfirmen oder im Versicherungswesen, Taxifahrer. Das Thema der Suizide allerdings wurde im Vortrag relativiert. Man mag die „dramatisch gestiegene Zahl von Selbsttötungen“, die der letzte DDR-Regierungschef Hans Modrow bereits im Januar 1990 beklagte, anzweifeln, allein nach Udo Grashoff steht fest, dass „kurzzeitig im Jahr 1991 bei Männern im Alter von 45 bis 65 Jahren“ die Rate der Selbsttötungen stieg. Dem Berichtenden sind mehrere Fälle bekannt, auch der des Dr. Rudolf Mucke in Berlin.

Sosehr Bednarz‘ Vorgehen nach der Wende verständlich ist, sowenig kann seine nach mehr als 20 Jahren, genau 2014, erneut durchgeführte Befragung befriedigen. Sie wird im Teil II seines Buches resümiert. Die 28 Interviewpartner und -partnerinnen von damals, die er wiederfand, vermögen nicht für die Gesamtbefindlichkeit ehemaliger DDR-Intellektueller stehen, weil rein zufällig ‚aufgestöbert‘, wer gerade in Berlin noch anzutreffen war. Dabei sind seine dort gestellten Fragen zielführend und könnten durchaus in einer übergreifenden Studie, die noch aussteht, aufgegriffen werden, besonders die nach der Veränderung des Verständnisses, ein Deutscher zu sein, nach der zerstörerischen Wirkung der Abwicklungen und nach den Vorteilen und Nachteilen des Kapitalismus. Doch ist auch dieser zweite Teil durchaus lesenswert, nur sein wissenschaftlicher Gehalt ist halt problematisch.
Spätestens zu dem Zeitpunkt hätte sich der Autor umsehen müssen, was denn in der Zwischenzeit zu seinem Thema publiziert worden ist, besonders die vielen biografischen Arbeiten von DDR-Intellektuellen, die in Staßfurt der Tierarzt, Dr. Rolf Funda, hobbymäßig, ehrenamtlich sammelt. Vor nicht allzu langer Zeit ist sie vom Bundesarchiv übernommen worden. Bednarz‘ Arbeit gehört zweifelsohne in diese Bibliothek. Vielleicht wird sie hier erst einmal dem Dornröschenschlaf anheimfallen, aber der Prinz in Gestalt eines Historikers kommt bestimmt. Auch die Einbeziehung wissenschaftlicher Untersuchungen wie der von Peer Pasternak: Demokratische Erneuerung. Eine universitätsgeschichtliche Untersuchung des ostdeutschen Hochschulumbaus 1989-1995. Mit zwei Fallstudien: Universität Leipzig und Humboldt-Universität zu Berlin, 1999, hätten der Veröffentlichung gut zu Gesicht gestan-den, wie auch: J. Gross, Wendezeit an der Charité. Eine Dokumentation zum sogenannten Elitenaustausch. Berlin: Verlag am Park, 2016, worin der langjährige Direktor des medizinisch-diagnostischen Instituts die Machenschaften während der Wendezeit aufdeckt.

Ungeachtet aller Mängel (aus heutiger Sicht) bleibt die Arbeit von Bednarz für mich ein aufschlussreiches Zeitdokument mit hohem Material- und Quellenwert. Im Grunde genommen handelt es sich um typische Fallstudien, die die Wende auf der DDR-Seite zuhauf er-möglichte. Wenn nach 50 Jahren nach uns gegraben wird, ist da schon etwas ans erhellende Tageslicht gebracht worden. 25 Jahre hat es gedauert, bis sich ein Verlag bereitgefunden hat, die soziologischen Studien von Anfang der 90er Jahre zu publizieren: Palgrave/Macmillan verlegte sie erst 2017. Die Tatsache, dass sich 12 Verlage nach fast einem Vierteljahrhundert um die Herausgabe des Buches von Bednarz bewarben, könnte darauf hindeuten, dass Braun mit seinem Zeitraum 50 Jahre Recht haben könnte.
Auch für diese Hartnäckigkeit muss man dem Autor danken. Wenn man von einer Sache überzeugt ist, muss man sie auch bis zum Ende verfolgen. Es bleibt zu wünschen, dass sich Soziologen, Juristen, Psychologen durch das verdienstvolle Buch von Dan Bednarz anregen lassen, die aufgeworfenen Fragen und deren Beantwortung weiterführend zu untersuchen, auch unter Einbeziehung der Evauluierer und Richtenden, der Moralapostel. Allerdings viel Zeit bleibt nicht, die etwas älteren durch die Wende Betroffenen zu interviewen.

  1. November 13, 2017

    Lieber Herr Löschmann,

    vielen Dank für den Veranstaltungsbericht. Als derjenige, der am Institut für Europäische Ethnologie (IfEE) die Buchpräsentation von Dan initiierte und zugleich moderierte, erlaube ich mir einen kleinen Kommentar. In der Einführung habe ich darauf hingewiesen, dass die Bezeichnung „ethnographic view“ im Untertitel des Buchs aus deutscher Sicht irreführend ist, aber einer sozialwissenschaftlichen Tradition in den USA entspricht. Wörtlich sagte ich: „It is not an ethnography in the German sense of the word but a qualitative social science study based on individual, problem-centered interviews“. Die Relevanz des Buchs für unser Institutskolloquium, in dessen Rahmen die Veranstaltung stattfand, ergab sich schon aus dessen Titel: „Wissen schaffen über und durch das Andere – Reflexionen zur Differenzlinie West/Ost in Deutschland“. Link zum Programm:
    https://www.euroethno.hu-berlin.de/de/institut/personen/pampuch/plakat-institutskolloquium-17-18.pdf
    In der ersten Sitzung hatten wir Raj Kollmorgen zu Gast, der ebenfalls kein Ethnologe ist. In unserem Fach gibt es bislang auffällig wenige deutschsprachige Arbeiten, die sich kritisch mit dem Thema DDR-Beitritt und Nachwendediskurs beschäftigen; daher auch die Idee zu dem Kolloquium, das hoffentlich ein selbstkritischer Anstoß ist.

    Was meine auf die Buchpräsentation folgenden Fragen anbelangt: mein erster Kommentar hob auf das Konzept der beschädigten Identität und Stigmatisierung von dem Soziologen Erving Goffman ab, das Dan überzeugend auf die von ihm Interviewten anwendet. Dazu erzählte ich anekdotisch, wie ich selbst als (westdeutscher) Student erstmals am IfEE durch einen westdeutschen Professor über Goffmans Konzept unterrichtet wurde, aber dass dieser Professor vermutlich nie darauf gekommen wäre, es auf ostdeutsche Intellektuelle (bzw. seine quasi-institutionellen Vorgänger) anzuwenden.

    Als zweites zitierte ich aus Dans Buch einen Interviewabschnitt, in der eine ostdeutsche Nachwuchswissenschaftlerin im Kontext der Evaluation von einem „intellectually authoritarian system“ spricht, dass westdeutsche Wissenschaftler unreflektiert verinnerlicht hätten. Da ich diese Behauptung sehr passend finde, aber Dan in seinem Buch auf eine konkrete Analyse seines empirischen Teils verzichtet, bat ich ihn um ein Kommentar dazu. Kommentar und Frage zielten also auf die Stärken des Buchs ab. Ich wies auch mehrfach darauf hin, dass der umfangreichste Teil des Buchs, der die Interviews aus den 90er Jahren narrativ zusammenfasst, hervorragend geschrieben, voller anregender Details und insgesamt sehr lesenswert ist.

    Danach stellte ich eine kritische Frage, die auf Dans völligen Verzicht der Einbeziehung von aktueller Literatur abzielte, wie sie ja selbst auch schreiben. Angesichts der Studierenden im Publikum finde ich diese Frage wichtig: die Berücksichtigung existierender Literatur zu einem Thema ist zentraler Teil wissenschaftlichen Arbeitens. Abschließend fragte ich dann noch allgemeiner nach der Repräsentativität der von Dan Interviewten. Wenn Sie trotzdem den Eindruck hatten, ich sei zu kritisch gewesen und hätte gar herablassend moderiert, nehme ich diese Kritik natürlich an und gelobe Besserung.

    In der Berliner Debatte Initial (und dann auf der Online-Plattform HSozKult) erscheint übrigens eine von Raj Kollmorgen verfasste Rezension des Buchs.

    Viele Grüße,
    Sebastian Pampuch

    • Martin Löschmann permalink*
      November 20, 2017

      Lieber Herr Pampuch,
      ich bin natürlich angenehm überrascht, dass Sie auf meinen ‚Bericht‘ über ‚Ihre‘ Veranstaltung reagiert haben und danke Ihnen sehr.
      Womöglich haben Sie im Blog ein wenig geblättert und festgestellt, dass er sich nicht gerade durch übersprudelnden Zuspruch auszeichnet. Das kann auch gar nicht anders sein, weil er ja letztlich aus den Gründen ins Leben gerufen wurde, die Sie u.a. für die von Ihnen moderierte Veranstaltung angaben, nämlich, wenn Sie so wollen, den „DDR-Beitritt“ näher zu beleuchten und den „Nachwendediskurs“ zu stimulieren. Dieses löbliche Anliegen Ihres Institutskolloquiums hätte ich auf jeden Fall angemessener würdigen sollen. Mit Recht haben Sie diese Intention nachgeliefert.

      Was die Zu- und Einordnung der Buchpräsentation angeht, so muss ich erkennen, dass ich weniger als Berichtender im strengen Sinne schreibe, sondern dass eher als Berührter, als Betroffener, als im hohen Maße persönlich Interessierter, der erratisch in Ihre Veranstaltung gekommen ist. Ich benenne meinen Text zwar als Bericht, er entspricht aber keineswegs dieser Textsorte. Das versuchte ich mit dem Satz zu signalisieren: „Doch ehe ich mich im Vortragsort verliere, hole ich mich zurück und denke so vor mich hin: Das Buch verdient Leser und Hörer allerorten.“
      Ihr Kommentar unterstützt dankenswerterweise die berichtenden Teile meines Textes und stellt zurecht klar, dass Sie das Zuordnungsproblem durchaus angesprochen haben, wenn auch für mich leider nicht genügend erhellend. Aber wie ich das schreibe, unterstellt womöglich, dass Sie sich zu dieser Problematik nicht geäußert hätten. Darauf indirekt und geradezu liebevoll aufmerksam gemacht zu haben, ist ein Verdienst Ihres Kommentars.

      Nein, Ihre Moderation war für mich nicht zu kritisch, z.B. Ihren Hinweis auf Nichtbeachtung der inzwischen erschienenen Literatur zum Umgang mit Intellektuellen in der DDR fand ich mehr als zwingend.Vgl. auch den Kommentar von Thormann.
      Was mich sicherlich irritiert hatte, war der Zeitpunkt, der Ort Ihrer kritischen Bemerkungen. Für die Diskussion wäre es nach meinem Dafürhalten ersprießlicher gewesen, wenn Sie erst das Publikum hätten zu Wort kommen lassen. Deshalb mein Griff zu „abgehoben“.

      Noch einmal: Dank für Ihren Kommentar und bleiben Sie um Himmels Willen bloß weiterhin fundiert produktiv kritisch.

      • Dezember 15, 2017

        Raj Kollmorgens Rezension von Dan Bednarz Buch ist heute in HSozKult zweitveröffentlicht worden: https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-28520?title=d-bednarz-east-german-intellectuals-and-the-unification-of-germany

        • Martin Löschmann permalink*
          Dezember 15, 2017

          Lieber Herr Pampuch,

          vielen Dank für Ihren Hinweis auf die Rezension von Raj Kollmorgen. Das nenne ich prompt: gerade mal erschienen und sofort auch im Herderblog angezeigt.

          Mit großem Interesse habe ich die ausgewogene ausführliche Rezension gelesen. Ich denke schon, dass sie dem Buch von Herrn Bednarz in hohem Maße gerecht wird. Für mich eine klassische Rezension, die obendrein indirekt sowohl Kritikpunkte aus Ihrer Einführung (s.u.) als auch bestimmte Punkte meines Bednarz-Textes enthält, natürlich auch des Kommentars von Herrn Thormann. Sie rundet zugleich die Vorstellung des verdienstvollen Buches von Bednarz in diesem Blog ab.

          Wer sich nur irgendwie für die von Bednarz ins Bild gerückte Problematik der DDR-Intellektuellen nach der Wende interessiert, sollte sich unbedingt Kollmorgens Rezension zu Gemüte ziehen.
          Seine Literaturliste enthält Arbeiten, die auf meine Leseliste für das neue Jahr 2018 gesetzt sind.

          Die Rezension liest sich spannend, weil ein verständnisvoller Fachmann, ein kompetenter Soziologe zu Werke gegangen ist.

          Klicken Sie munter einfach auf den von Herrn Pampuch zur Verfügung gestellten Link!

  2. Thormann, Michael permalink
    November 13, 2017

    … ich habe gerade Deinen Bericht über die Veranstaltung mit Bednarz gelesen und fand ihn sehr differenziert und ausgewogen wie auch berechtigt in seinen kritischen Reflexionen. Egal, worüber Amerikaner schreiben, oft haben Leser den Eindruck, dass Amerikaner recht oberflächlich an ihren Gegenstand herangehen, weil sie alles unter dem primären Aspekt der Vermarktung betrachten (müssen). So hast Du wirklich Recht mit dem Hinweis auf das eigentlich unverzeihliche Defizit, dass Bednarz zwischen der ersten und zweiten Befragung die inzwischen erschienenen Publikationen zum Thema offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen hat. Das hätte ja auch Mühe gemacht, er hätte recherchieren und die Publikationen übersetzen (lassen) müssen usw. So entsteht der Eindruck, dass er nicht wirklich tief in der Materie steht, sondern nur soviel weiß, um einigermaßen bestehen zu können. Für amerikanische Verhältnisse mag das auch genügen, denn wir wissen alle, wie wenig selbst Akademiker über Deutschland wissen. Die Fragen aus dem Publikum zum Vortrag an der Uni im Youtube-Video (das ich mir angeschaut habe) haben das gezeigt. Dazu kommt, dass er den Eindruck der Parteilichkeit vermeiden will und muss, um überhaupt Gehör zu finden.
    Andererseits haben die Wahlergebnisse in Ostdeutschland gezeigt, wie viel Frust und unverarbeitete Nachwende-Enttäuschung in den Ostdeutschen schwelt, nicht nur in der abgewickelten akademischen Elite. Dazu bietet das Buch von Hans-Joachim Maaz „Das falsche Leben. Ursachen und Folgen unserer normopathischen Gesellschaft“, das ich gelesen habe, manche Erklärung.
    Es wäre natürlich wichtig, dass Bednarz Deine profunde Rezension lesen könnte… Wie viel feedback wird er aus Deutschland bekommen?
     
     
    Gesendet: Sonntag, 12. November 2017 um 19:04 Uhr

  3. Katrin Kuhls permalink
    Dezember 17, 2017

    … ich habe Deine Rezension über die Veranstaltung und das Projekt von Herrn Bednarz mit viel Freude auf Deinem Blog gefunden und mit großem Interesse gelesen. Natürlich habe ich auch R. den Text zum Lesen gegeben. Wir sind von dieser sehr umfangreichen und detaillierten Diskussion der Veranstaltung und des Forschungsprojektes  sehr beeindruckt und freuen uns natürlich sehr, dass  wir Dein Interesse für Dans Arbeit wecken konnten. Wir hatten mit Dan und seiner Frau noch ein sehr schönes Treffen bei uns zu Hause am Samstag nach seinem Vortrag. Natürlich haben wir uns viel über das Projekt, seine Erlebnisse und Gespräche während dieses Aufenthaltes in Berlin und über die Politik in Deutschland und den USA unterhalten. Es wäre sehr schön, wenn dieses Buch ins Deutsche übersetzt werden könnte, aber da muss man erst Sponsoren finden. Vielleicht gibt es ja eine Stiftung oder Ähnliches, wo man mal anfragen könnte. Es wäre sehr schade, wenn diese Arbeit nur einem kleinen Publikum in Deutschland, das die englische Version versteht, zugänglich ist. Dein Beitrag zeigt sehr deutlich, dass dieses Thema unbedingt weiter bearbeitet werden muss, solange man sich noch an diese Ereignisse erinnern kann. Ich werde mir auch mal die von Dir genannten anderen Arbeiten besorgen – über die Charité und die Humboldt Universität. Ich war ja seit 1990 an der HUB und ab 2003 an der Charité tätig. Insofern interessiert mich das brennend, was in diesen Büchern berichtet wird.

    Ich werde Dan über Deinen Beitrag informieren und ihn bitten, etwas dazu zu schreiben . Sollte er einen Kommentar schreiben, dann wäre dieser wahrscheinlich auch auf Englisch. 
    Übrigens: Schreib‘ oder sag‘ deinem Prof. Bednarz, er soll unbedingt ein Exemplar seines Werkes der „Erinnerungsbibliothek DDR e.V.“, geleitet von Dr. Rolf Funda in Staßfurt, überreichen. Am besten zu erreichen über http://www.erinnerungsbibliothek-ddr.de. Sein Werk der anderen Art gehört in diese verdienstvolle Sammlung.

    • Martin Löschmann permalink*
      Dezember 17, 2017

      Liebe Katrin,
      deine Reaktion auf die Veranstaltung mit Herrn Bednarz musste in den herderblog.
      Sein Buch verdient die Übersetzung und damit die Verbreitung.
      Hoffentlich regt es zu weiteren soziologischen Untersuchungen im angebenen Themenbereich an, eingeschlossen die Problematik, die mit den 24 Befragungen danach umrissen ist.

      Vor einigen Tagen las ich einen Beitrag zum Tode von Elmar Faber in der Berliner Zeitung vom 5. Dez. Dein Vater wird sich an ihn bestimmt erinnern. Ein Mayer- und Bloch-Schüler, ein Jahr im Studium über mir, seit 1983 Chef des verdienstvollen Aufbau-Verlages, nach der Wende irgendwo und irgendwie aus dem Verlag herausgedrängt, gründete er 1992 mit seinem Sohn Michael den Verlag Faber & Faber mit typografisch auffälligen Büchern und einer „DDR-Bibliothek“, in der u.a. Volker Braun, Heiner Müller, Alfred Wellm, Christa Wolf u.a. – einst umstritten – vertreten sind. 2007 stellten die beiden Fabers den Betrieb ein.
      Elmar Faber hätte Aufschlussreiches zu der mit Bednarz‘ Buch aufgeworfener Problematik sagen können. Ja, eine systematische Erforschung des Umgangs mit DDR-Intellktuellen nach der Wende ist unabdingbar, unaufschiebbar.
      Du siehst, ich unterstreiche deinen Satz „Dein Beitrag zeigt sehr deutlich, dass dieses Thema unbedingt weiter bearbeitet werden muss, solange man sich noch an diese Ereignisse erinnern kann.“

      Übrigens, kein Problem, wenn euer Freund Bednarz für den Blog in English schreibt. Die Hauptsache ist, er schreibt.

  4. H. König permalink
    Januar 2, 2018

    … womit wir wieder beim Thema  sind, das dich, wie deine letzten beiden Blogbeiträge beweisen,
    immer noch beschäftigt. Ich bin da nicht so sicher wie du, dass man danach „graben“ wird. Geschrieben darüber wurde schon oft. Es scheint so zu sein, dass die westdeutsche „Führung“ den DDR-Intellektuellen die Schuld für 40 Jahre DDR ankreidete, insbesondere in den Hochschulen und Universitäten. Ihre ostdeutschen Helfershelfer sind ihnen gar willig zur  Hand gegangen. Beide haben Rufmord und Existenzvernichtung moralisch und auch physisch billigend in aufgenommen.
    Klaus Behling schreibt in seinem Buch „Plötzlich und unerwartet“, dass die Suizidrate in den betreffenden Jahren nur unwesentlich über der anderer Jahre lag.
    Gleichzeitig beschreibt er eine Reihe von Fällen, bei denen die angewandten „Verfahren“ ursächlich dazu führten.
    Bei allem sollten wir aber nicht vergessen, wieviel ungenannte Industriearbeiter durch die Praktiken der Treuhand „unter den Hammer“ gekommen sind. Ja, „die Revolution frisst ihre Kinder“ könnte man sagen.
    Das allerdings ficht die 1000 reichsten Deutschen sowieso nicht an.

Kommentar schreiben

Info: Benutzung von einfachem XHTML (strong,i) erlaubt. Die E-Mail-Anschrift wird niemals veröffentlicht.

Kommentar-Feed abonnieren