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Bald nun ist wieder Jubiläumszeit

2016 2. März
von Martin Löschmann

Acht Hinweise zum Verfassen von Jubelreden aus Anlass kommender Jubiläen zum Anschluss der DDR an die Bundesrepublik und zur Feier blühender Landschaften im Osten Deutschlands

Erst kürzlich las ich in einem autobiografischem Roman, dass sich die DDR durch „eine ständige Erhöhung der Auslandsschulden verkauft“ habe, „was man allerdings so den regelmäßig erscheinenden statistischen Jahrbüchern nicht entnehmen konnte.“ Seit der Wende wird die These in Medien (ich schreibe nicht in den Medien!) kolportiert und von vielen Menschen auch so hingenommen. Steter Tropfen höhlt halt den Stein. Lange Zeit bin ich dieser falschen Behauptung selbst aufgesessen. Inzwischen weiß man es aber besser, die Auslandsverschuldung der DDR hielt sich in Grenzen. Durch die anregende, wenngleich gelegentlich zu ambitionierte Arbeit von Wolfgang Kühn und Klaus Blessing, Die zementierte Spaltung. (Originalausgabe edition Berolina, 2014) bin ich in vielerlei Hinsicht, was die DDR-Wirtschaft angeht, eines bedingt Besseren belehrt worden. Die Lektüre bestärkte mich darin, meine schon länger ins Auge gefassten Hinweise für künftige Artikel, Reden, besonders Jubiläumsreden, Polemiken, Essays, Erzählungen, Romane usw. über die DDR und ihren Anschluss an die Bundesrepublik aufzuschreiben. Es sind acht an der Zahl geworden.
Doch um nicht sofort in die Ecke der alten Unverbesserlichen, Besserwissenden, womöglich der Nostalgiker gesteckt zu werden, schicke ich voraus, dass meine Hinweise keineswegs die großen Schwächen der DDR-Wirtschaft verdecken wollen: die geringe Produktivität, die im Vergleich zu den alten Bundesländern in den neuen Bundesländern heute immer noch nur 75% erreicht, die ineffektive Wirtschaftsführung, vor allem die Planungsschwächen, die zu geringen Investitionen, der sinkende Außenhandelsumsatz in den letzten Jahren u.a.m. Kurzum, die DDR hatte keine Chance, aber sie nutzte sie. Die sie trotz alledem nutzen wollten, verdienen größte Anerkennung.
Hier nun meine Hinweise:

Vielleicht und zunächst mal ganz locker positiv herangehen, die Ausgangslage für Gründung und Entwicklung der DDR bedenken und so u.a. die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen zwischen West- und Ostdeutschland ins Kalkül ziehen. (1)
Man mag über die schwierigen Ausgangsbedingungen im Osten lächeln, aber die DDR verfügte nun mal über so gut wie keine Schwerindustrie auf ihrem Gebiet, sie konnte nur im beschränkten Maße die unabdingbare internationalen Arbeitsteilung nutzen, die Energieträgerstruktur war mehr als bedenklich. Und bitte nicht den historischen Aspekt vernachlässigen, z.B. das Thema Reparationen aufrufen. Wie im Potsdamer Abkommen festgelegt, musste die DDR an die Sowjetunion viele Jahre (bis 1953) ‚zahlen‘. Damit meine ich auch die Demontage, besonders schwerwiegend für die Infrastruktur der Abbau von 6300 km zweiter Gleise. Die Westmächte hatten auf solcherart Reparationen früher verzichten können, nicht die Sowjetunion, die die Hauptlast des Krieges getragen hatte. Während die Bundesrepublik pro Person 23 Reichsmark aufbringen musste, betrug die Summe in der DDR je Einwohner 1.349. Um es einfach auszudrücken, die DDR trug die Hauptreparationslast für Gesamtdeutschland (zu mehr als 90 Prozent!). Einfach mal eine Dankeschön an die ehemaligen DDR-Bürgerinnen und -bürger einflechten.

Warum nicht mal zugeben, dass die Wirtschaft der DDR durchaus bemerkenswerte Leistungen erbrachte, die sich sehen lassen konnten, dass sie nicht durchweg marode bzw. bankrott war. (2)
Die DDR produzierte nicht bloß Meißener Porzellan und Klaviere, sondern auch Maschinen, die durchaus konkurrenzfähig waren: Werkzeugmaschinen, Walzwerk- wie Polygrafische Ausrüstungen, Reisezugwagen, Kräne, Chemieprodukte.
Nach einem Bericht des „Zentrum für Sozialökonomische Forschung Köln – Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung DDR 1950-89“ (2009) stieg das DDR-BIP auf das 6,5-fache je Einwohner, das der BRD dagegen nur auf das 4,5-fache (S.23f.) – trotz schlechterer Ausgangsbedingungen, hoher Reparationskosten, offener Grenzen, Wirtschaftsembargo, Währungsspekulationen usw. Dabei stieg das BIP der DDR kontinuierlich, wenn auch zu wenig. 1989 erreichte das Produktionsniveau in der DDR 12.700 Euro pro Kopf, in der BRD 22.500. Damit lag die DDR in diesem Punkte immerhin so etwa an 14. Stelle, vergleichbar mit Großbritannien, Italien, auf jeden Fall besser als Spanien, Griechenland, Portugal. (Vgl. S.36) Wie oben bereits klargestellt, die Arbeitsproduktivität blieb weit zurück. Da muss ein Generalverdacht der Marodisierung der DDR-Wirtschaft doch zu denken geben, zumal wenn man in einem Buch eines bekannten Professors der Harvard-Universität Folgendes liest: „On the basis of studies from consulting firms, including Arthur D. Little and McKinsey, the Ministries of Finance and Economics estimated in May that about 30% percent of the property would be profitable, about a half might be brought to profitability, and about 20 percent was too obsolete and non-competitive to rescue.“ (Charles S. Maier, Dissolution. The Crisis of Communism and the End of East Germany. Princeton University Press 1997, 293)
Also bitte nicht die üblichen Stereotypen aufwärmen, sondern sich umfassend informieren und ein differenziertes Bild der DDR-Wirtschaft entwerfen.

Warum nicht mal der Verschuldung der DDR nachgehen, um festzustellen, dass sie eigentlich relativ gering war. (3)
Verglichen mit der Verschuldung westlicher Staaten, die Bundesrepublik einbezogen, nimmt sich die Verschuldung der DDR geradezu armselig aus. Ein Beleg der Bundesbank widerlegt die Mär von der katastrophalen Verschuldung. Laut dieser Bank betrugen die Netto-Auslandschulden 19,9 Mill. VM, was von den Gläubigern nicht kritisch gesehen wurde, denn die Banken haben 88 und 89 der DDR Geld noch munter geliehen, aus welchen Gründen auch immer. Praktisch hatte die DDR 1989 keine Auslandschulden, denn den Schulden in den kapitalistischen Ländern in Höhe von 19,9 VM standen Schulden der sozialistischen Länder bei der DDR in Höhe von 23,3 Milliarden VM gegenüber. Keine Frage, die DDR war bis zum Schluss zahlungsfähig, also nicht pleite. (Vgl. S. 50) Nebenbei vermerkt, die Auslandsverschuldung Kubas beträgt gegenwärtig 12 Milliarden Dollar.
Natürlich darf man die Innenverschuldung nicht ausklammern. Sie betrug nach Aussage des damaligen Bundesfinanzministers Waigel 13% des Bruttosozialprodukts, in der BRD war sie sehr viel höher, heute beträgt sie bekanntlich über 80%. (Vgl. ebenda) Angesichts solcher nachprüfbaren Fakten empfiehlt sich schon eine ausgewogene Zurückhaltung bei diesem Thema.

Warum nicht mal darüber schreiben, in welchem Maße die Bundesrepublik die DDR-Wirtschaft gebremst hat, um die Boykott- und Embargopolitik euphemistisch zu umschreiben (4)
Man sollte nicht so tun, als habe die Bundesrepublik nicht zum Untergang der DDR beigetragen und das Leben der DDR nach Möglichkeit schwer gemacht – mit welcher Begründung auch immer. Ich führe hier nur ein Beispiel an, weil es mich auch persönlich betrifft, denn ich gehörte zu denen, die der Entwicklung mikroelektronischer Bauelemente in der DDR nur mit bitterem Galgenhumor begegneten. Damit reihte ich mich in die Gruppe derjenigen ein, von der es im oben angeführten Buch heißt: „Wer die Anstrengungen der DDR-Wirtschaft auf dem Gebiet der Mikroelektrik belächelt oder diskreditiert, sollte sich über die streng gehandhabten Embargo-Bestimmungen der Westmächte und besonders den USA sachkundig machen.“ (S. 40) Das eben hatte ich nicht getan, deshalb schrieb in noch im Entwurf meiner Memoiren: „Als Honecker kurz vor der Wende anlässlich der Herstellung eines 32-bit-Chips den vielzitierten und nicht nur von Kabarettisten immer wieder mit Recht aufgespießten Slogan zelebrierte: Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf, lautete mein Kommentar zu dieser ‚Großtat des Sozialismus‘: „In Hongkong spielen Kinder mit solchen Chips auf der Straße, jedenfalls behauptete ich das. Und fügte hinzu: Wie merkt man sich am besten den ersten PC der DDR? Indem man sich die Bezeichnung 1715 als Herstellungsdatum einprägt.“ Wenn die Passage schließlich auch der notwendigen Kürzung der Memoiren zum Opfer fiel, macht sie mir Sorgen. Wieso hatte ich nicht bedacht, dass die DDR zu kostspieligen Eigenentwicklungen gezwungen war, weil es ja die Embargolisten der CoCom gab? Liste I enthielt neben einem totalen Exportverbot für Waffen, Munition, Atomenergie auch die Computertechnik der neuesten Generation und Ausrüstungen für die Entwicklung und Produktion solcher Computer.
Meinetwegen sollen sich doch die Reden-, Artikelschreiber usw. über den aussichtslosen Kampf der DDR lustig machen, Anschluss an das westliche Entwicklungsniveau zu gewinnen. Das Bild vom Kampf gegen Windmühlen bietet sich dafür an, aber schon ein kleiner Hinweis auf die Zwänge, auf die Embargopolitik wäre ein Schritt in die richtige Richtung, um es neudeutsch auszudrücken.

Warum nicht einfach statt von Wiedervereinigung von Anschluss sprechen. (5)
1989 gab sich die Bundesrepublik völlig überrascht und sah sich vor eine ungeheure Heraus-forderung gestellt (ein heute noch strapazierter und deshalb völlig abgegriffener Begriff!). Dabei gab es ein „Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen“, 69 umbenannt in „BM für innerdeutsche Beziehungen“. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dort haben doch nicht nur Däumchen gedreht. Eine Aufgabe war denen ins Stammbuch geschrieben, nämlich den Tag X vorzubereiten. Wie anders soll man das ungeheuerliche Zitat des ersten Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen Jakob Kaiser 1951 verstehen? „Ein wahres Europa kann nur gebildet werden, wenn die deutsche Einheit wiederhergestellt wird. Sie umfasst, ich erinnere Sie da-ran, außer Deutschland (in den Grenzen von 1937) auch Österreich, einen Teil der Schweiz, die Saar und Elsaß-Lothringen.“ (Neue Zürcher Zeitung, 26. Januar 1952, Fernausgabe, Blatt 5, gefunden in Wikipedia). Natürlich wurde die Entgleisung später korrigiert, nicht jedoch das Ziel der Herstellung der deutschen Einheit im Rahmen einer „Roll-Back-Strategie“. Ein Dokument des Forschungsbeirates aus dem Jahre 60 zeigt, wie konkret man die Übernahme vor-bereitete: „Empfehlungen zur Einfügung der volkseigenen Industriebetriebe der SBZ in die nach der Wiedervereinigung zu schaffende im Grundsatz marktwirtschaftlicher Ordnung“. Dort ist beispielsweise bereits „Rückgabe vor Entschädigung“ festgeschrieben, was wohl eher für den Begriff Anschluss plädiert. Kein Geringerer als Schäuble hat das ganz klar ausgesprochen. „Ich musste Herrn de Maziere immer wieder darauf hinweisen, dass es sich um einen Anschluss handelt.“ (S. 144) In England notierte ich mir aus dem oben bereits zitierten Buch von Charles S. Maier eine Kapitelüberschrift „Anschluss and Melancholy“. Ich weiß, den Anschluss Anschluss zu nennen, ist eigentlich ein Tabubruch, aber wie anders soll man die faktische ‚Überstülpung‘ der politischen, rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Struktur der Bundesrepublik auf das Gebiet der DDR beschreiben? Na, ja, man könnte ja wenigstens mal über diesen Begriff laut nachdenken.

Warum nicht mal eingestehen, dass die Treuhand und die Währungsreform der DDR-Wirtschaft, die zweifelsfrei angeschlagen war, den Garaus machten. (6)
Es waren rund 8000 planwirtschaftliche Betriebe durch die Treuhandanstalt zu verkaufen. Deren Mitarbeiter waren gar nicht in der Lage, die Betriebe angemessen zu bewerten. Man frage doch mal nach, nach welchen Kriterien der Verkaufspreis damals ermittelt wurde. Da war es schon einfacher, die gesamte DDR-Wirtschaft für marode zu erklären und zu verramschen.
Man darf ja nicht vergessen, dass die DDR auch über Maschinen und Anlagen aus dem Westen verfügte, ganz abgesehen davon, dass Barbara Ostendorf in „Produktionsstrukturen des ostdeutschen Maschinenbaus in der Transformation“ (Opladen 1998: Leske + Budrich) zumindest den Werkzeugmaschinen der DDR ein bestimmtes Niveau bescheinigt. (S. 36)
Die Treuhand war auch nicht genügend in der Lage, die Solidität der Käufer zu beurteilen. So feierte die Vereinigungskriminalität Urständ im Osten. Es sei nur an den Investor Bremer Vulkan AG erinnert. Sie kaufte die Schiffsbauanlagen in Wismar und Stralsund sowie das Dieselmotorwerk in Rostock, erhielt obendrein EU-Geld in Höhe von 850 Millionen DM. Und was kam endlich heraus? Die AG wollte sich mit den Geldern sanieren, nichts wurde in die ehemaligen DDR-Betriebe investiert. Dennoch ging der ganze Konzern am Ende bankrott. Auf diese und andere Weise gingen der deutschen Wirtschaft schätzungsweise drei bis zehn Milliarden verloren.
Dass die Währungsunion ihren Anteil am Ruin der DDR-Wirtschaft hatte, wird niemand bestreiten. Gewissermaßen über Nacht wurden ihre Produkte so teuer, dass viele Betriebe ihre Waren nicht mehr loswurden. Hier hätte es gewissermaßen zum Anschub von Modernisierungen und Innovationen finanzieller Unterstützung bedurft. Die aber wurde u.a. aus Konkurrenzgründen nicht gewährt.
Wenn es die Spatzen jetzt nun schon von den Dächern pfeifen, dass die DDR-Wirtschaft nicht durchweg marode war und genug Bereicherungspotential für westdeutsche und ausländische Unternehmen bot, sollte man doch schon aus Anstand, die Dinge ein wenig komplexer und differenzierter betrachten. Genug Literatur dazu gibt es ja. Der Artikel aus der Welt vom 2.10.2010 „Wende in den Ruin“ ist in diesem Zusammenhang durchaus aufschlussreich. Man kann dort lesen: „Und bei der Privatisierung des ostdeutschen Volkseigentums witterten windige Unternehmer aus dem Westen das große Geschäft. Es gab viel zu erobern.“

Warum in seinen Reden nicht mal durchblicken lassen, dass man sich im Westen so richtig ins Fäustchen lachen konnte, weil die alten Bundesländer von dem Wiedervereinigung unter Anschlussbedingungen in Größenordnung profitiert haben. (7)
Wer hat nicht alles von der Vereinigung profitiert: Hauptgewinner natürlich die Konzerne, die 89 bis 92 den größten Vermögenszuwachs verzeichnen konnten, Handelsketten, Finanzinstitute, Aktiengesellschaften, Topmanager, Aufsichtsräte, höhere Beamte usw. Nach einer Untersuchung der Goethe-Uni in Frankfurt explodierte das Vermögen westdeutscher Haushalte in dieser Zeit auffällig. (Vgl. S. 65) Sie alle waren nicht darauf eingestellt, den ehemaligen DDR-Bürgern und -Bürgerinnen von ihrem Eigentum – denn wem gehörte das Volkseigentum wenn nicht ihnen? – etwas zukommen zu lassen. Der entsprechende Passus im „Einigungsgesetz“ las sich dagegen ganz hoffnungsvoll: „Nach Maßgabe des Artikels 10 Absatz 6 des Vertrages vom 18. Mai 1990 sind Möglichkeiten vorzusehen, dass den Sparern zu einem späteren Zeitpunkt für den bei der Umstellung 2:1 reduzierten Betrag ein verbrieftes Anteilsrecht am volkseigenen Vermögen eingeräumt werden kann.“ (zitiert nach oben, S. 64, überprüft am Bundesgesetzblatt Teil, 1990/Nr. 35)
Meinem leider verstorbenen Schulfreund Rainer hatte ich meinen Anspruch, wie ich zugeben muss an einem abwegigen Beispiel demonstriert:
„Als wir an einem noch nicht rekultivierten Tagebau vorbeifahren, überrasche ich ihn mit der Frage: Weißt du, dass man beim Abbau Bernstein gefunden hat? Wie vieles andere hielt man in der DDR vor dem Volk geheim, dass man im Braunkohltagebau Goitsche bei Bitterfeld auf Bernstein gestoßen war und ihn seit den 70er Jahren systematisch abbaute. Nach der Wende wurde erstmals darüber berichtet. Ich wusste es lange davor. Ein Bergbauingenieur, mit dem wir gut bekannt waren und manche Fete durchstanden, glänzte mit seinem Wissen zu vorgerückter Stunde. In den Achtzigern hat man rund 50 Tonnen pro Jahr gewonnen. Die DDR-Pikanterie bestand nun darin, dass der sächsische bzw. mitteldeutsche Bernstein als Ostsee- oder Baltischer Bernstein vermarktet wurde, der war eingeführt, geschätzt, nachgefragt. Wenn es in Diskussionen um die DDR-Wirtschaft ging und geht, an der man sich angeblich nicht bereichern konnte, habe ich immer mit meinem Bernstein-Beispiel dagegengehalten. Bei der Übernahme muss doch ein großes Lager mit Bernstein ‚erobert‘ worden sein. Wo ist er geblieben, wer hat ihn sich angeeignet, wer hat ihn beiseite geschafft?“
Nachzulesen in meinen Memoiren. Nicht aufgeschrieben habe ich meine Forderung: Hätte nicht jeder DDR-Bürger wenigstens ein Stück Bernstein bekommen müssen? Bis heute bin ich der Meinung, es war nicht fair, das ‚DDR-Volk“ kurzerhand zu enteignen. Dabei will ich nicht verhehlen, dass die Vereinigung den ehemaligen DDR-Bürgerinnen und -Bürgern einiges an Lebensqualität gebracht hat und bringt, Demokratie und Freiheit obendrein. Wer wollte auch die Transferleistungen übersehen, die dem Osten zugutekamen und -kommen. Nach Tagesspiegel vom 8./9. April 2007 müssen die Transferleistungen allerdings relativiert werden:
„Die Schätzungen über den Gesamttransfer seit der Wende von West nach Ost reichen von 1,1 Billionen bis 1,5 Billionen Euro. Diese Zahlen sind zu hoch, weil darin Geldströme in die Sozialkassen berücksichtigt sind. Denn die Menschen im Osten sind häufiger arbeitslos oder krank, und der Anteil der Rentner ist höher. Zugleich gibt es weniger Jobs als im Westen.“ Hinzu kommt, dass nach dem DIW 1992 errechnet wurde: „Von 100 Millionen DM, die in die neuen Bundesländer für Ausrüstungen und Anlagen ausgeben werden, landeten fast 78% in den alten Ländern und im westlichen Ausland.“
Trotz aller dieser Umstände gibt es heute kaum jemand, der sich DDR-Verhältnisse insgesamt zurückwünscht. Nur im Vergleich zum Westen zeigen sich halt gravierende Unterschiede, die man nicht verschweigen sollte. So kann wohl nicht abgestritten werden, dass in Bezug auf die Industrieproduktion der Osten Deutschlands „nach 23 Jahren Aufbau Ost etwa das Niveau des Endjahres der DDR“ erreicht (Kühn/Blessing s.o., S. 61) Für die nach wie vor bestehenden Unterschiede (Wirtschaftskraft pro Einwohner, Löhne und Gehälter, Arbeitslosigkeit, Steueraufkommen u.a.m.) können wohl kaum noch das Volkseigentum und die generelle Misswirtschaft der DDR verantwortlich gemacht werden. Soll ich’s wagen und zum Vergleich auf China, Südkorea u.a. Staaten verweisen, die in diesem Zeitraum realiter ‚blühende Landschaften‘ entwickelt haben.

Wenn es um die Abwanderung von Millionen Arbeitskräften, von Fachkräften geht, sollte man nicht wenigstens aufzeigen, wem es nutzt und wem es schadet. (8)
Obwohl das Thema „Flüchtlinge“ in den Medien gegenwärtig überstrapaziert wird, kann ich nicht umhin, das ‚zweischneidige Schwert‘ zu sehen. Die vielen jungen Arbeitskräfte, die jetzt nach Deutschland kommen, fehlen doch in den Herkunftsländern. Das gilt erst recht für diejenigen, die in Deutschland und anderen entwickelten Ländern studieren und eben häufig nicht in ihre Heimatländer zurückkehren, besonders die nicht, die sich auf Grund ihrer Leistungen relativ leicht in Deutschland zu integrieren vermögen. Deshalb schreibe ich in meinen Memoiren, dass für mich am Herder-Institut der „Unterstützungsgedanke wesentlich“ war, der sich in der Verpflichtung zeigte, die ausgebildeten Fachkräfte möglichst schnell und gut aus-gebildet in ihre Heimatländer zurückkehren zu lassen. Damit widersetzte sich die DDR dem ‚Brain Drain westlicher Länder‘. Ich weiß, dass es heute nicht durchzusetzen ist, doch wenn man die ‚unterentwickelten‘ Länder wirklich entwickeln und den Flüchtlingsstrom eindämmen will, muss man sich etwas einfallen lassen, damit das Brain Drain gestoppt werden kann. Da kommt man wahrscheinlich nicht umhin, sich mit den Herkunftsländern zu verständigen. Es kann doch nicht sein, dass sich der Westen der wie auch immer Ausgebildeten einfach bedient, ohne wenigstens die Ausbildungskosten in den jeweiligen Herkunftsländern zu begleichen. Natürlich ist es ein humaner Gedanke, z.B. syrische Flüchtlinge in Deutschland zu qualifizieren mit dem Ziel, sie auf den Aufbau ihres zerstörten Landes vorzubereiten. Doch die wenigstens werden zurückkehren, weil für sie in Syrien in den meisten Fällen der Weg viel steiniger sein würde.
Der Verlust von gut ausgebildeten jungen Arbeitskräften war auch für die DDR ein schwer wiegendes Problem, worauf die Bundeszentrale für politische Bildung vom 30.3 2010 „Zug nach Westen – Anhaltende Abwanderung“ aufmerksam macht: „Für Staat und Gesellschaft der DDR war die soziale Zusammensetzung der DDR-Flüchtlinge ungünstig: Bevorzugt jüngere, gut ausgebildete Menschen, darunter viele Spezialisten wie Ärzte und Ingenieure, kehrten dem Land den Rücken. Diese soziale Ausdünnung durch Migration führte langfristig zu einer Überalterung der DDR-Bevölkerung … Ungefähr die Hälfte der Auswanderer – laut offizieller Sprachregelung des Regimes handelte es sich überwiegend um ‚Republikflüchtlinge‘ – war jünger als 25 Jahre. Es wird geschätzt, dass die DDR in den 50er Jahren etwa ein Drittel ihrer Akademiker verlor. (http://www.bpb.de/geschichte/deutsche-einheit/lange-wege-der-deutschen-einheit/47253/zug-nach-westen?p=all. Sicherlich ist es unter den Bedingungen der Konfrontation, des kalten Krieges verwegen zu denken, irgendwie hätte die Bundessre-publik die DDR für die auf deren Kosten ausgebildeten Fachkräfte zu entschädigen. Gut, die DDR ist Geschichte, aber die Flüchtlinge aus zu entwickelnden Ländern sind Gegenwart, bittere Gegenwart.
Überdies: Die 1,3 Millionen Menschen, die nach der Wende die neuen Bundesländer in Richtung Westen verlassen haben, darunter viele junge, fehlen selbstredend bei der Angleichung der neuen an die alten Bundesländer.
Acht Hinweise waren versprochen, acht habe ich geliefert. Gut denkbar, dass sich der eine oder andere Leser, die eine oder andere Leserin fragt, warum werden hier nur 8, nicht 10 Hinweise in Assoziation zu den 10 Geboten geboten. Zwei Antworten könnten sich gegebenenfalls einstellen: Zum einen ist dem Autor halt nicht mehr eingefallen, zum anderen könnte die ACHT als Aufforderung verstanden werden, die magische Zahl ZEHN zu erreichen. Welche Hinweise würden Sie denn potentiellen Jubiläumsschreibern an die Hand geben?

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