Zu einer Zuschrift aus dem vergangenen Jahr
In meinem Blog-Beitrag Das Herder-Institut als Forschungseinrichtung vom 7. Februar 2011 schreibe ich über meinen ehemaligen Kollegen Prof. Dr. habil. Desselmann, der leider verstorben ist, Folgendes (die Passage wird hier wiedergeben, weil sie u.U. im laufenden Text nicht gleich aufgespürt wird): „Erst nach erfolgreicher Habilitation wurde ich zum Dozenten berufen. Mit Prof. Dr. Günther Desselmann stand dem Wissenschaftsbereich Methodik seit 1976 ein habilitierter ordentlicher Professor für Methodik des Deutschunterrichts für Ausländer am Herder-Institut vor, der sich als ehemaliger Russischmethodiker allerdings nicht so recht durchsetzen konnte und möglicherweise hinter den Erwartungen des MfHF blieb.“ Nicht im Blog-Text: Zu einer solchen Einschätzung brachte mich u.a. die Frage von Frau Prof. Dagmar Blei (Dresden) in ihrem Buch „Zur Fachgeschichte Deutsch als Fremdsprache“, erschienen in der von mir beim Verlag Peter Lang herausgegebenen Reihe Deutsch als Fremdsprache in der Diskussion, Bd. 6, S.99. Sie lautete: „Musste Desselmann untergebracht werden oder hatte er sich irgendwie ausgewiesen als DaF-Fachmann?“ In meiner Antwort (S. 101) stelle ich klar (und das steht wieder im Blog-Text), dass es in der Forschungsabteilung von Anfang an in bestimmten Bereichen an habilitierten Fachkräften fehlte. Als DaF-Fachmann hatte er sich bis zu seiner Einstellung am HI gar nicht ausweisen können, denn in Beantwortung der Frage führe ich aus (vgl. Blei 2003,S.101): „Desselmann war auf dem Wege zur Habilitation, hatte praktische Erfahrung als Fachberater in Magdeburg und war aber offensichtlich an keiner Universität untergekommen – aus welchen Gründen auch immer.“ Ich verweise darauf, dass er „die Invarianten des Fremdsprachenunterrichts sehr gut kannte und sie in die DaF-Forschungen einbrachte.“ In diesem Sinne schreibe ich im Blog: „Er hatte zweifelsohne seine Verdienste auf dem Gebiet der Fremdsprachendidaktik, und er hatte eben die Habilitation vorzuweisen. Doch blieb er letztlich in der DaF-Szene fremd, obwohl er durchaus bemerkenswerte Arbeiten vorgelegt hat. So die „Didaktik des Fremdsprachenunterrichts (Deutsch als Fremdsprache)“, die unter seiner und Prof. Harald Hellmichs Leitung erarbeitet wurde und 1981 erschien. Diese zwei kritischen Stellen sind Herrn Kristian Schlegel, dem Enkel von Kollegen Desselmann und Rechtsanwalt, aufgestoßen und haben ihn veranlasst, dazu wie folgt Stellung zu nehmen. Die Zuschrift vom 27. Juli 2014 geben wir hier noch einmal wieder (im Blog unter Kommentar nachzulesen): „Eine durchaus lesenswerte Arbeit, welche jedoch einen versteckten Angriff auf die Arbeit von Herrn Prof. Dr. Desselmann, welcher leider am 25.07.2014 verstorben ist, enthält. Diesen Angriff kann ich als Enkel des Verstorbenen nicht gutheißen. Wenn ausgeführt wird, dass Prof. Dr. Desselmann nicht integriert war und kein Bestandteil des Herder-Institutes war, so muss sich der Autor dieses Blogs fragen lassen, ob seine Wahrnehmung der Realität zu Zeiten des Sozialismus immer uneingefärbt war oder ob hier vielleicht wissenschaftlicher Neid diesen Absatz über Herrn Prof. Dr. Desselmann diktiert hat. Es handelt sich bei der geleisteten Arbeit des Prof. Dr. Desselmann um eine, welche sich um die Studenten bemüht hat. Selber konnte der Autor dieses Kommentars ihn bei seiner Arbeit erleben. Was jedoch das Wichtigste ist, dass er die Freude an der deutschen Sprache wecken konnte, nicht nur bei den Studenten, sondern auch bei Deutschen. Wenn es um die Entwicklung im Studium geht, dann nicht nur über wissenschaftliche Theorie, sondern darum den Lernenden Praxiswissen zu vermitteln. Das Problem vieler Wissenschaftler ist, dass sie genau dies nicht können. Es entzieht sich dabei der Kenntnis, ob der Autor des Blogs dies konnte, darüber mag ich mir kein Urteil erlauben, jedoch halte ich die Selbstheiligsprechung des Blogautoren, in Bezug darauf, dass er innerhalb kürzester Zeit 10 Doktoranden zum Abschluss geführt hat, für äußerst bedenklich und durchaus als unwissenschaftlich. Es ist schade solche Sachen zu lesen, von Leuten die unter Umständen keine Ahnung von meinem Großvater hatten. Sehr bedauerlich, dass die Universität Leipzig, an welcher ich selber meinen Abschluss gemacht habe, solche Schriften duldet und sie nicht einer kritischen Würdigung unterzieht.“ Hier meine erste Antwort (auch im Blog): Sehr geehrter Herr Schlegel, ich danke Ihnen für Ihren kritischen Kommentar. Ihrem Schreiben musste ich entnehmen, dass unser, mein ehemaliger Kollege Prof. Dr. habil. Günther Desselmann vor einigen Tagen gestorben ist. Ihnen und Ihrer Familie möchten meine Frau und ich auf diesem Wege unser herzliches Beileid ausdrücken. Zu einem späteren Zeitpunkt werde ich mich zu Ihrem Beitrag äußern. Sollten Sie über eine Würdigung der Lehr- und Forschungstätigkeit Ihres Großvaters verfügen, bin ich gern bereit, sie in den Blog aufzunehmen. Marianne und Martin Löschmann Hier nun meine angekündigte Antwort: Es ehrt Sie, Herr Schlegel, dass Sie sich für Ihren verstorbenen Großvater einsetzen und ihn vor allem als Lehrer gewürdigt haben wollen. Nur das Kapitel, auf das Sie sich beziehen, hat nicht die Lehre zum Gegenstand, sondern Forschung und Entwicklung. Die Lehre wird in einem besonderen Kapitel behandelt. Darin finden Sie auch meinen Anteil an der Lehre am Herder-Institut dargestellt. Ihres Großvaters Bemühen um eine enge Verbindung von Theorie und Praxis, auf die Sie offensichtlich Wert legen, kann ich nur anerkennen. Seine wissenschaftlichen Leistungen werden ja überdies keineswegs ignoriert. Nirgendwo behaupte ich, er sei „kein Bestandteil des Herder-Instituts“ gewesen, wie Sie kühn behaupten. Was ich kritisch in der entsprechenden Passage andeuten will, wird auch in der Tatsache offenbar, dass er sich, obwohl von mir persönlich gebeten, seine Sicht auf seine Arbeit am HI im Blog darzustellen, nicht aufraffen konnte, dies zu tun. Er hätte auch eine Gegendarstellung vornehmen können, sofern er dies wollte. Nichts da, keine Reaktion, kein Engagement mehr für DaF. * Überhaupt nicht einsichtig ist mir, wie Sie die von mir 10 betreuten Promotionen in Frage stellen. Da sind Sie gewiss anmaßend über das Ziel hinausgeschossen, denn die implizierte, wenngleich nicht näher spezifizierte Unterstellung lässt sich leicht widerlegen. Erstens handelt es sich um einen Zeitraum von 8 bis 10 Jahren, in denen die entsprechenden Dissertationen erarbeitet wurden. Keinesfalls im Schnell-Schuss-Verfahren, wie sie womöglich vermuten. Was daran „bedenklich“ und „unwissenschaftlich“ sein soll, kann ich nur als unqualifizierte Attribuierung ausmachen. Zweitens müssten Sie bedenken, dass mit der Gründung eines Doktoranden-Seminars im Wissenschaftsbereich Didaktik und Methodik des Deutschen als Fremdsprache eine überfällige Forderung erfüllt wurde. Mit Recht ist das HI lange Zeit dafür kritisiert worden, dass zu wenig für die Entwicklung des wissenschaftlichen Nachwuchses getan wurde. Übrigens hatte ich mit Ihrem Großvater mehrmals über die Notwendigkeit eines solchen Seminars gesprochen. Als habilitierter Professor war er lange Zeit derjenige, der sich dieser Aufgabe hätte stellen müssen. Wenn Sie mit Ihren Bemerkungen darauf hinweisen wollten, dass Ihr Großvater ja auch erfolgreich betreut hat, so kann ich wiederum zustimmen. (Ich habe sogar einen seiner Promovenden gebeten, Ihren Großvater zu würdigen. Leider hat er abgelehnt.) Aber es waren definitiv entschieden zu wenige, wenn man nur den Zeitraum seit 1976 vor Augen hat und vor allem den Vergleich zum Wissenschaftsbereich Linguistik herstellt. Man darf ja nicht vergessen, dass unser Wissenschaftsbereich zahlenmäßig am stärksten war. Schließlich beschränken sich meine Leistungen nicht auf die Etablierung des Doktoranden-Seminars. Doch da hätten Sie halt weiterlesen müssen. Sie wären dabei z.B. auf die auch international beachtete Lehrbuchkonferenz gestoßen, die unter meiner Leitung kurz nach Wende durchgeführt wurde. Die Forderung, eine wissenschaftliche Tagung durchzuführen, stand auch vor Ihrem Großvater. Er hat sie nur nicht aufgegriffen, aus welchen Gründen auch immer. Im Übrigen verweise ich auf meine umfängliche Publikationsliste. Sie fragen sich, „ob seine (d.h. meine) Wahrnehmung der Realität zu Zeiten des Sozialismus immer uneingefärbt war oder ob hier vielleicht wissenschaftlicher Neid“ vorlag. Obwohl es nicht mein Sprachgebrauch ist, stelle ich gar nicht in Abrede, dass mein Wirken von den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen bestimmt worden ist. Auch Ihr Großvater hat sich dem nicht entziehen können oder wollen. Wenn Sie den Blog insgesamt gelesen hätten, wäre Ihnen sicherlich aufgefallen, dass ich mich mit der „Einfärbun“, wie Sie sich auszudrücken belieben, auseinandersetze. Im Februar erscheinen meine Memoiren „Unerhörte Erinnerungen eines Sonstigen“, darin finden Sie eine weiterführende Auseinandersetzung mit meinem Leben und Wirken in der DDR. Eidesstattlich erkläre ich hiermit, dass ich an keinem Punkt meines Lebens irgendwelchen Neid gegenüber meinem Kollegen verspürt habe. Ein Vergleich der Eintragungen im Leipziger Professorenkatalog kann meine ironisch gemeinte eidesstattliche Erklärung vielleicht erhärten: http://www.uni-leipzig.de/unigeschichte/professorenkatalog/leipzig/Desselmann_1759/ http://www.uni-leipzig.de/unigeschichte/professorenkatalog/leipzig/Loeschmann_1479/ Bleibt noch Ihre Schlussbemerkung, in der Sie nach dem Eingreifen der Universität gegen solche Blogbeiträge rufen, die nicht Ihren Vorstellungen entsprechen. Haben Sie da womöglich etwas verschlafen, z.B. den freien Meinungsaustausch, den es in der DDR nun wirklich nicht gegeben hat. Oder verstehe ich etwas völlig falsch? Die Uni, gerade die Uni soll so etwas nicht dulden und per Dekret „solche Schriften einer kritischen Würdigung“ unterziehen. Wie stellen Sie sich das vor? Der herderblog.net bleibt offen für jedermann und jedefrau. * Hier die Kopie meines Briefes Prof. Dr. Günther Desselmann Konrad-Hagen-Pl. 4 04277 Leipzig 07.03.11 M. Löschmann Knaackstraße 18 10405 Berlin Lieber Günther, meine Güte, wie die Zeit vergeht, zwanzig Jahre sind vergangen, seit wir uns das letzte Mal begegnet sind, und jetzt kommt ein Brief von diesem Menschen. Die Überraschung ist mir bestimmt gelungen. Was mag er wohl wollen? Macht so ein Brief nach 100 Jahren überhaupt noch Sinn? Es kann doch nur um unsere ehemalige Wirkungsstätte gehen. Richtig geraten. Ob sie dich noch interessiert, weiß ich nicht. Wahrscheinlich nicht, aber um das herauszufinden, schreibe ich dir ja. Vielleicht hat sich schon herumgesprochen oder du bist im Internet fündig geworden, dass ich nach langer Überlegung einen Blog unter der Überschrift „Neue Diskussion über das alte Herder-Institut“ initiiert habe, zu der ich dich auf diesem Wege herzlich einladen möchte. Das ‚Zauberwort‘ heißt www.herderblog.net. Im Kopf der ersten Seite findest du die Blogidee, oben rechts. Der erste Beitrag von mir nennt ein paar Gründe, die zu diesem Blog geführt haben. Wenn du den Beitrag über die Forschungsabteilung liest, findest du selbstverständlich deinen Namen. Es handelt sich bei mir um Auftaktbeiträge, nichts Abschließendes, eher etwas Vorläufiges. Vielleicht fällt dir etwas ein, wozu du dich äußern willst: sei es ein Beitrag oder ein Kommentar oder auch, warum du dich nicht beteiligen willst oder kannst. Möglicherweise hast du auch etwas in der Schublade liegen, Wie es auch sei, es wäre schon belebend und auch aufschlussreich, wenn du dich an der Diskussion beteiligen würdest. Bis jetzt ist es ja noch keine, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Ich bin sicher, als alter Medienfuchs braucht du keine Anleitung zum Umgang mit einem Blog, dennoch schicke ich dir gewissermaßen eine Handlungsanweisung mit. Leider habe ich von dir keine E-Mail-Adresse, deshalb kommt mein Brief ‚altmodisch‘ daher. Meine E-Mail-Adresse lautet: martin_loschmann@web.de und deine? Mit herzlichen Grüßen aus Berlin Noch einmal: Es gab keine Reaktion auf diesen Brief.