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Luther und der Islam. Nachdenken über die Entstehungsgeschichte eines Buches, das dem Dialog zwischen Luthertum und Islam gewidmet ist

2014 25. September
von Bernd Landmann

Luther1
Nachdenken über die Entstehungsgeschichte eines Buches,
das dem Dialog zwischen Luthertum und Islam gewidmet ist.

Als ich mit meinem ägyptischen Freund Muhammad Abu Hattab Khaled am 20. Juli 2002 zu einer besonderen Spurensuche aufbrach, hatte er ein Buch über Luther im Kopf, mit dem er Brücken über Gräben und Abgründe zu schlagen gedachte. Keiner von uns beiden ahnte damals, dass es knapp einen Monat später nun gerade zu vollkommen konträren Ereignissen kommen sollte, wenn auch auf einer ganz anderen Ebene. Zahlreiche Brücken wurden jäh zerstört und verschwanden gleichsam in Abgründen. Am 12. und am 13. August nämlich ließen sintflutartige Regenfälle im Erzgebirge in rasendem Tempo die dort entspringenden Flüsse zu reißenden Strömen anschwellen, die alles hinwegschwemmten, was ihrem Lauf in irgendeiner Weise entgegenstand. Selbst die von dem berühmten Barockbaumeister Daniel Pöppelmann seinerzeit scheinbar für die Ewigkeit errichtete mächtige Steinpfeilerbrücke in Grimma riss die entfesselte Mulde weg, als sei sie aus nichts anderem als Streichhölzern erbaut. Nur knapp zehn Kilometer südlich davon entfernt hatten also Muhammad und ich drei Wochen zuvor arglos an der flussnahen Ruine des Klosters Nimbchen gestanden, um der Nonne Katharina von Bora zu gedenken, die 1523, aufgewühlt von den Ideen der Reformation, mit acht weiteren geistlichen Schwestern aus der Klausur entflohen war. Alles hat glücklicherweise ein gutes Ende genommen. Katharina wurde 1525 Luthers treusorgendes Eheweib. Die Pöppelmannbrücke konnte fast auf den Tag genau zehn Jahre später wieder dem Verkehr übergeben werden und auch das Brückenwerk meines Freundes fand den Weg von der Idee zur Vergegenständlichung als handfestes Buch. Es erschien in Kairo unter dem Titel „Martin Luther zwischen Islam und Reformation. Gedanken zur Reformation in ihren Beziehungen zum islamischen Diskurs“ (Verlag Dar Al-Ettihad, ISBN 977-17-7697). Wenn nur alles so gut enden würde! Vielleicht vor allem deshalb denke ich hier über dieses Buch und seine Entstehungsgeschichte nach. Es wurde ja, wie gesagt, damals geschrieben, damit es Brücken schlage, Verständnisbrücken. Und gegenwärtig scheint gerade wieder einmal eine Zeit zu sein, die solche Brücken bitter nötig hat, denn vielerorts reißen unerwartet Gräben, ja Abgründe auf, die längst eingeebnet oder für immer überbrückt Lutherendlichschienen, und die Menschen stehen zornig oder traurig an ihren Rändern und blicken hilflos in gähnende Tiefen.

Kennengelernt haben Muhammad und ich uns im November 1968. Ich war frisch nach Kairo gekommen und sollte an der gerade gegründeten germanistischen Abteilung der Al-Azhar Universität junge Ägypter in die Geheimnisse der deutschen Sprache einweihen. Muhammad, der mich dort empfing, versuchte einfühlsam mir meine Angst vor dem Fremden zu nehmen, das mich allenthalben umgab. Dabei hatte er selbst ein gerüttelt Maß Angst, denn es stand sein Abflug gerade dorthin bevor, woher ich gekommen war. Sein Ziel war Leipzig. An der dortigen Universität wollte er seine Doktordissertation schreiben. In Leipzig aber kannte er ebenso wenig eine Menschenseele wie ich in Kairo. Was lag also näher, als dass wir uns gegenseitig Mut zusprachen und halfen. Er machte mich im Handumdrehen mit einigen seiner Brüder und etlichen Freunden bekannt und ich gab ihm ein Empfehlungsschreiben an meine Schwiegereltern mit. Diese kümmerten sich in der Folge um ihn, als sei er ihr Sohn. Eine so begründete Freundschaft hat natürlich beste Aussichten auf Dauer und sie hält in der Tat bis zum heutigen Tag. Wenn auch manchmal Jahre vergehen, bis wir uns wiedersehen, so ist es dann doch stets, als hätten wir uns vorgestern erst Maasalama gesagt. So geschehen gerade vor wenigen Monaten. Im Mai dieses Jahres saß ich wieder einmal bei ihm und seiner Frau Sabria, die Professorin für Mathematik ist und an der Frauenfakultät der Al-Azhar Universität lehrt, auf der Couch und trank ahwa masbut.
Seine steile wissenschaftliche Karriere habe ich über all die Jahre aufmerksam und zugegebenermaßen auch mit ein wenig Neid verfolgt, denn ich habe zeitlebens zum akademischer Fußvolk gehört. Er aber erwarb bereits 1973 seinen Doktorhut und wurde im gleichen Jahr zum Dozenten an der Deutschabteilung der Al-Azhar Universität berufen. Die nächsten Stationen waren 1978 Assistant Professor, 1983 ordentlicher Professor, 1978 Vizedekan der Sprachen- und Übersetzungsfakultät der Al-Azhar, 1982 dann ebendort Dekan und von 1997 bis 2002 lenkte er als Dekan die Geschicke der Al-Alsun Fakultät an der Al-Minia Universität. Etliche Ehrungen und Preise wurden ihm zuteil, 1983 der Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Preis und 1984 das Bundesverdienstkreuz I. Klasse der Bundesrepublik Deutschland.

Als er mir bei seinem Leipzig-Besuch 2002 eröffnete, er wolle ein Buch über Luther schreiben, war ich zunächst überrascht und fragte mich nach seinen Beweggründen. Immerhin ist Luther in Ägypten meines Wissens eine kaum bekannte Persönlichkeit. Die Zahl der Christen, die am Nil leben, kann zwar manchen Europäer überraschen, aber es handelt sich überwiegend um Angehörige der koptischen Religion. Wem der Name Luther in Kairo überhaupt etwas sagt, assoziiert ihn vor Ort wohl allenfalls mit der traditionsreichen Evangelischen Oberschule Kairo, die seit 1873 besteht, oder der Deutschen Evangelischen Kirche in Kairo-Boulaq, die am 21. April 2014 den 100. Jahrestag ihrer Einweihung feiern konnte. Das Portal der Kirche bezeugt zumindest, das Luther in Kairo schon irgendwie präsent ist, freilich nur als imposantes Standbild. Vielleicht war es gerade diese relative Unbekanntheit Luthers, die für Muhammad Abu Hattab den Ausschlag gegeben hat, den Reformator zur Zentralgestalt eines Buches zu machen, das letztlich exemplarisch zum interreligiösen Diskurs anregen soll. Die Erfolgsaussichten für eine solche Intention in Ägypten dürften umso größer sein, wenn die entsprechenden Überlegungen an einer Persönlichkeit festgemacht werden, die nicht von vornherein verbreitet mit Vorurteilen und negativen Emotionen belastet ist. Später, als Muhammad mir gesagt hatte, dass er das Buch unbedingt auch in deutscher Übersetzung herausbringen wolle, kam mir freilich der Gedanke, dass er beim Schreiben seines Buches nicht allein an seine muslimischen Landsleute, sondern mindestens genauso intensiv an deutsche Adressaten gedacht hat. Da erschien mir das Projekt natürlich zunächst als großes Wagnis, denn die Zahl derartiger Publikationen in Deutschland ist Legion und ein hier von einem Ägypter vorgelegtes Luther-Buch dürfte, so befürchtete ich, vielleicht mehr Skepsis als Neugier auslösen. Aber mit Verblüffung musste ich dann beim Lesen feststellen, dass seine Arbeit Aspekte zur Sprache bringt, von denen ich zuvor nicht die geringste Ahnung gehabt hatte. Es führte mir u.a. beweiskräftig vor Augen, dass Luthertum und Islam mehr gemeinsam haben, als meine Menschenweisheit sich bislang träumen ließ, und ich erkannte dem Buch deshalb nach der Lektüre durchaus eine wichtige Aufgabe zu. Es kann in der christlichen Welt bei so manchem Leser das Wissen über den Islam merklich erweitern und vertiefen und in diesem Kontext wirksam zum Abbau von Vorurteilen ihm gegenüber beitragen.

Ein Werk des Brückenschlags ist es aber schon dadurch geworden, dass bei der Realisierung des Projekts etliche Deutsche mehr oder minder eifrig mitgeholfen haben. In seinem Vorwort zum Buch dankt er seinem Leipziger Doktorvater Wolfgang Mehnert, weil dieser ihn als erster auf Luthers Bedeutung hingewiesen habe. Und danach dann auch schon gleich meiner Frau und mir. Wir hätten uns viel Zeit genommen, um ihn auf seiner Spurensuche zu den Wirkungsstätten Luthers zu begleiten. Und das hat insofern auch seine Richtigkeit, als es keineswegs bei einem Ausflug zum Kloster Nimbchen geblieben ist. Wir sind zusammen auch nach Wittenberg gefahren. Hier hat Luther, so besagt es die bis heute immer wieder kolportiere Legende, am 31. Oktober 1517 mit wuchtigen Hammerschlägen 95 Thesen gegen den Ablasshandel an die Tür der Schlosskirche genagelt und damit der Reformation ihr Startdatum für die Geschichtsbücher verschafft. Seit 1961 weiß es die Wissenschaft besser. Die fraglichen Thesen hat Luther zwar verfasst, aber höchstwahrscheinlich zunächst lediglich in Briefen an seine Vorgesetzten verschickt. Gleichviel wie es nun wirklich war: die Thesen haben am Ende das christliche Europa in seinen Grundfesten erschüttert, als hätte ein gewaltiger Vorschlaghammer auf diese eingeschlagen. Wir zeigten vor der Tür der weltbekannten Schlosskirche deshalb die schuldige Ergriffenheit, denn uns war bewusst: Von Wittenberg ist seinerzeit eine geistige Flutwelle ausgegangen, die fast ganz Europa überspült und zu grundlegenden Erneuerungen gezwungen hat. Die Jahrhundertflutwelle von 2002 traf am 17. August in der Elbestadt Wittenberg ein. Bei unserem Besuch am 25. Juli hatten wir alles noch friedlich, geordnet und trocken vorgefunden. So kann es gehen. Auf jähe Wendungen muss man jederzeit gefasst sein. Manchmal bringen sie die Menschheit voran, manchmal stürzen sie sie in Katastrophen.

Als ich am 13. August mit Muhammad nach Eisleben und Magdeburg aufbrechen wollte, überschlugen sich in Rundfunk und Fernsehen bereits die apokalyptischen Nachrichten und wir zögerten, die Fahrt anzutreten, doch als klar wurde, dass der Scheitel der Flutwelle uns noch nicht unmittelbar zu überrollen drohte, wagten wir es – und konnten u.a. das Geburts- und das Sterbehaus des Reformators in Eisleben besuchen. Torgau allerdings mussten wir dann von unseren Exkursionsplänen streichen, nachdem dort am 18. August ein Elbe-Damm gebrochen und es dadurch zu verheerenden Überschwemmungen gekommen war. Gar zu gern hätten wir in Torgau das Haus besucht, in dem 1552 die Lutherin gestorben ist und sich heute ein ihr gewidmetes kleines Museum befindet. Museen, die tatkräftigen, bedeutenden Frauen des 16. Jahrhunderts gewidmet sind, als Renaissance und Reformation gewaltige Umbrüche einleiteten, findet man bekanntlich nicht allzu viele in Europa. Damals hatten – Aufbruch hin oder her – noch fast ungebrochen die Männer das Sagen. Deshalb war es sehr schade, dass wir Herrn Köthe, wie der Reformator seine Frau wegen ihrer selbstbewussten und zupackenden Art der Haushaltführung gern zu nennen pflegte, nicht unsere Reverenz erweisen konnten. Dem vielleicht interessantesten Luther-Museum mussten wir damals aber aus einem ganz anderen Grunde unseren Besuch versagen. Es wurde erst am 12. Juni 2014 eröffnet. In Mansfeld. Hier hat Luther seine Kinder- und Jugendjahre verbracht. In seinem Mansfelder Elternhaus findet man sie nun auf einer Fläche von 600 Quadratmetern erlebniswirksam aufbereitet und ausgebreitet. Für den nächsten Deutschlandbesuch meines ägyptischen Freundes habe ich also schon ein neues attraktives Ausflugsziel.

Ein weiteres Kapitel der ägyptisch-deutschen Kooperation wurde aufgeschlagen, als die deutsche Übersetzung vorlag und ich sehr gerne die Lektorierung übernahm. Bald stellte sich aber heraus, dass das ein gut Stück Arbeit bedeutete, denn als Lektor musste man sich, um eine einigermaßen adäquate wissenschaftliche Übersetzung sicherzustellen, nicht nur in die erforderliche Fach- bzw. Wissenschaftssprache einarbeiten, sondern auch in den Gegenstand selbst. Mir halfen aber bereitwillig zwei gute Freunde, Dr. Manfred Pudszuhn und seine Frau Dr. Angelika Pudszuhn-Neumann. Sie hatten einige Zeit zuvor bei einem mehrwöchigen Arbeitsaufenthalt in Kairo durch meine Vermittlung Muhammad Abu Hattab selbst kennen und als wunderbaren Freund schätzen gelernt. Es war ihnen ein Bedürfnis, die vielfach erfahrene Freundschaft ihm auf diese Weise zu vergelten.

Irgendwann war die Aufgabe vollbracht und das nächste Problem tauchte auf. Für die deutsche Drucklegung fehlte es an Geld. Wie das beschafft wurde, ist der Danksagung zu entnehmen, die der Autor der deutschen Ausgabe vorangestellt hat: Mit diesem Buch wird das Anliegen verfolgt, das Verständnis der islamisch und der christlich geprägten Welt füreinander zu vertiefen. Da sich die Rahn Dittrich Group dieser Zielstellung ebenfalls stark verpflichtet weiß, war sie gern bereit, die Drucklegung der deutschsprachigen Ausgabe zu fördern. Gedruckt wurde das Buch dann allerdings in Ägypten, und das ganz ohne Zweifel von Leuten, die ihr eigentliches Handwerk wohl gut beherrscht, aber des Deutschen offenbar überhaupt nicht mächtig waren. Das erklärt, dass manch ärgerlicher Fehler, der sich in der Druckerei unbemerkt eingeschlichen hat, unberichtigt geblieben ist. Doch das Leseverstä¤ndnis wird dadurch nicht wesentlich beeinträchtigt.

Schließlich seien noch die ersten Rezensionen erwähnt. Ohne Fürsprecher hat es ein wissenschaftliches Werk bekanntlich recht schwer, größere Aufmerksamkeit zu erzielen. Der Ethnologe Dr. Lothar Stein, den ich im Papyrus Magazin schon einmal als Beduinenforscher vorgestellt habe, hatte Muhammad Abu Hattab etwa zur selben Zeit kennengelernt wie ich und verdankte ihm kaum weniger Freundschaftsdienste als ich. So hatte er den Ehrgeiz, möglichst der erste zu sein, der das Luther-Buch für interessierte deutsche Leser bespricht. In Heft 6 des Jahrgangs 2010 der Kulturzeitschrift Simurgh hat er seine Würdigung veröffentlicht. Eine gleichermaßen fundierte wie kritische, doch speziell an Wissenschaftler adressierte Rezension legte wenig später Karl Dienst vor (s. Luther, Zeitschrift der Luther-Gesellschaft, Heft 3/2011, S. 201).

Es ist hier weder genügend Platz noch der rechte Ort, den vielschichtigen Inhalt des Buches ausführlich zu referieren. Wer neugierig auf das Thema geworden ist, kann sich die Publikation ja leicht beschaffen. Nur so viel vielleicht: Der Autor legt anhand vieler eindrucksvoller Fakten und gut ausgewählter Zitate dar, dass alle Begegnungen von muslimischem Morgen- und christlichem Abendland im Zuge von Expansionen, Eroberungen, Rückeroberungen oder auf anderweitige Art stets auch eine Beschäftigung mit der jeweils anderen Religion zur Folge hatten. Die Motive dafür waren differenziert. Natürlich ging es immer auch darum, den Gegner bzw. den Feind besser kennenzulernen, um ihn erfolgreicher bekämpfen zu können. Auch in der Zeit Luthers, da sich Europa von den Türken bedroht sah. 1529 schlossen bekanntlich osmanische Truppen unter dem Kommando von Sultan Süleyman, dem Prächtigen, Wien ein. Das war schon ein bedrohliches Szenario, das Ängste und Feindschaft schüren konnte. Aber es gab auf beiden Seiten glücklicherweise stets auch kluge, kühle Köpfe, die bei aller erlebten Bedrohung relativ unvoreingenommen zu erforschen suchten, was die Anziehungs- bzw. Überzeugungskraft des jeweils anderen Glaubens ausmacht, um daraus beispielsweise auch reformerische Ideen zum eigenen Nutzen schöpfen zu können. So rief Luther einerseits in seiner Schrift „Vom Krieg wider die Türken“ (1528) zum Kampf der Christen gegen die muslimischen Eindringlinge auf, zollte aber in seiner „Heerespredigt wider die Türken“ (1529) dem durch den Islam bewirkten besonderen Lebenswandel der Muslime hohe Achtung. Man könne bei ihnen „nach dem äußerlichen Wandel eine tapfere Strenge und ehrbares Wesen wahrnehmen. Sie trinken nicht Wein, saufen und fressen nicht so, wie wir tun, kleiden sich nicht so leichtfertig und
fröhlich. Zum anderen wirst du auch finden, dass sie in ihren Kirchen oft zum Gebet zusammen kommen und mit solcher Zucht, Stille und schönen äußerlichen Gebärden beten, dass bei uns in unseren Kirchen solche Zucht und Stille nirgend zu finden ist. Dass man aber sagt, dass die Türken untereinander treu und friedlich sind und die Wahrheit zu sagen sich fleißigen, will ich gern glauben.“ Das soll, muss als anregende Kostprobe genügen.

Wir befinden uns derzeit in der sogenannten Luther-Dekade. Das ist eine gegliederte Folge von Veranstaltungen, die maßgeblich vom Lutherischen Weltbund initiiert wurde. Sie begann am 21. September 2008 und zielt auf den 500. Jahrestag des Thesenanschlags im Jahre 2017. Realisiert wird sie in Form von Themenjahren. 2014 ist dem Thema Reformation und Politik gewidmet. Hier geht es um die Beziehungen zwischen Obrigkeit und Mündigkeit, Glaube und Macht, Gewissensfreiheit und Menschenrechte. Das dadurch bestimmte Themenjahr scheint mir ein guter Anlass für diesen Beitrag zu sein. Wer weiß nicht, wie unermesslich groß die kulturellen Leistungen sind, die die Menschheit den Religionen verdanken, zugleich aber auch, wie groß das Leid ist, das aus religiöser Intoleranz immer wieder erwachsen ist. Deshalb scheint mir von immerwährender Gültigkeit der Appell zu sein, den Gotthold Ephraim Lessing in der Ringparabel seines berühmten Schauspiels „Nathan der Weise“ an alle Menschen richtet. Es könne, ja es dürfe niemals darum gehen, mit Feuer und Schwert oder auch nur keinen Widerspruch duldendem Wort anderen seine eigene religiöse Überzeugung aufzuzwingen. Nachhaltig Überzeugen kÃöne im Grunde nur der, der sein eigenes Credo beharrlich durch vorbildliches moralisches Handeln, durch Menschlichkeit, Nächstenliebe und Barmherzigkeit zu offenbaren versteht. Seinen Mitmenschen und der Nachwelt bleibe es dann überlassen, daraus Schlüsse für die eigene Glaubensentscheidung zu ziehen.

Interessant in unserem Kontext ist, dass Lessing zur Entwicklung dieser Überlegungen nun gerade durch die Intoleranz eines ultraorthodoxen lutherischen Theologen veranlasst wurde, den Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze (1717-1786). Das belegt einmal mehr: Alle Religionen und religiösen Strömungen bergen in sich die Gefahr, dass ihre Vertreter sich zu unduldsamen und am Ende gar gewaltbereiten Eiferern entwickeln und dadurch entsetzliches Unheil heraufbeschwören können. Einen kleinen Beitrag, dieser Gefahr entgegenzuwirken, sehe ich in dem Versuch Muhammad Abu Hattabs, zwischen dem Luthertum und dem Islam Gemeinsamkeiten auszumachen, ohne dabei die eigene Glaubensüberzeugung zu verleugnen. Es bleibt deshalb zu wünschen, dass das Buch noch so manchen Leser finden und zum Nachdenken bringen möge.

Verö¶ffentlicht in: Papyrus MAGAZIN Heft 4/2014
Die ganze Welt ist voller Wunder.
Martin Luther (1483 – 1546), deutscher Theologe und Reformator

Quellanangaben:
Unterschrift Martin Luther: http://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Luther
Bildnachweis:
http://de.wikipedia.org/wiki/Martin_ Luther#Porträt von 1528, Lucas Cranach der Ältere
http://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Luther#Ablass_und_95_Thesen
weitere: privat, Dr. Bernd Landmann

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