Ein Beleg mehr
Die Berliner Zeitung lesen wir schon lange nicht mehr, wohl aber die Kolumne von Götz Aly, habilitierter Historiker und Journalist, dekoriert mit einigen Auszeichnungen. Für uns gehört er zu den Journalisten, die sich ideologisch nicht fehlleiten lassen, sondern um die Vermittlung unverstellter Sichten und Einsichten, um Ausgewogenheit aufrichtig bemüht sind. Ein überzeugender Beweis ist z.B. sein Beitrag in der BZ Giftgas in Syrien vom 27. August 2013. „Ich halte es durchaus für möglich, dass syrische Truppen Nervengas eingesetzt haben. Die Armee verfügt über solche Waffen, aber ein Teil der Aufständischen ebenfalls. Solange keine Fakten auf dem Tisch liegen, können nur Interessenlagen analysiert werden, weshalb der Einsatz von Giftgasen durch die Oppositiom nicht auszuschließen ist.“
In Alys Artikel Qual der Wahl in glücklicher Zeit (BZ, 1. Sept. 13) erfahre ich, wie viel Mehrwertsteuer für E-Books zu zahlen ist. Er nimmt darin nämlich die Steuerpolitik der FDP aufs Korn: „Für meine Bücher, sofern sie gedruckt erscheinen, führe ich 7 Prozent Mehrwertsteuer ab, für die E-Book-Version 19 Prozent. Lese ich öffentlich daraus vor, sind ebenfalls 19 Prozent fällig, halte ich die gleiche Lesung in einem Museum im Rahmen einer einschlägigen Ausstellung und erscheint mein Buch als Begleitband dazu, geschieht das mehrwertsteuerfrei. Anders als die FDP Hoteliers fordere ich keinen extragünstigen Mehrwertsteuersatz, sondern einen plausiblen.“ Das nenne ich Detailkenntnis.
Es war nur eine Frage der Zeit, dass ich mich auch für Bücher dieses Autors zu interessieren begann. Zwei Bücher zieren meine E-Book-Bibliothek, inzwischen auf über 1000 Exemplare angewachsen. Hitlers Volksstaat und Unser Kampf 1968 – ein irritierter Blick sind die Bücher. Beim Lesen des umstrittenen Buches über die Achtundsechziger, an deren Bewegung Götz Aly selbst teilnahm, setzt er sich kritisch mit der Studentenbewegung auseinander und hebt sich damit wohltuend von der angewachsenen Memoiren-Literatur der Achtundsechziger ab. Doch nicht um eine Besprechung oder gar Lobpreisung dieses hochinteressanten, gelegentlich auch widerspruchvollen Buches geht es mir hier, sondern um eine Textstelle, die die Vorgänge zur Zeit der Wende beleuchtet, die zur weitgehenden Eliminierung der ostdeutschen Intelligenz führten, um an dieser Stelle nicht das Wort ‚Elite‘ zu verwenden. In meinem Blog-Beitrag Zugeordnet und eingeordnet und auf der Schwarzen Liste vom 15. Jan. 13 zeigte ich auf, dass es zur Zeit der Wende etwa 1000 arbeitslose Germanisten in der Bundesrepublik gab, die mit Vehemenz, z.T. mit starken Ellenbogen auf den ostdeutschen Markt drängten und dabei z.T. äußerst erfolgreich waren. Um leserfreundlich zu bleiben, kopiere ich gleich mal die betreffende Stelle aus dem genannten Beitrag: „Überhaupt wäre es doch erhellend, wenn einmal gründlich untersucht würde, nach welchen Kriterien nach der Wende tatsächlich berufen worden ist und wie sich die Berufenen in Forschung und Lehre bewährt haben. Dass aus dem Westen die zweite Garnitur eine Chance erhielt, ist wohl heute weitgehend unbestritten. In meinem Kopf spukt die oben genannte Zahl herum, die ich leider noch nicht belegen kann und auch eigentlich gar nicht belegen will, weil die genaue Zahl eh nicht so wichtig ist.
Nicht dass Aly in seinem Buch genau diese Berufsgruppe (Germanisten, Linguisten, DaFler) im Auge hätte, aber seine übergreifenden Betrachtungen können meine persönlichen Beobachtungen fundieren. Man mag den Autoritätsbeweis belächeln, im gegebenen Fall kann er jedoch, so denke ich jedenfalls, nützlich sein, schon deshalb, weil ja der eine oder andere Leser Zweifel an der beschriebenen ‚Eroberung‘ von Universitäts- und anderen Stellen angemeldet hat.
Hier der aufschlussreiche Auszug aus: Götz Aly, Unser Kampf 1968. Frankfurt/Main: S. Fischer Verlag, 2008, S. 16 ff.:
… Viele der Revoluzzer hatten ein oder gar zwei Jahrzehnte hindurch ihr Glück in einer selbstbestimmten Gegenwelt vermutet. Sie betrachteten sich als subversive Karriereflüchtlinge, als Aussteiger. Erst seit den frühen Achtzigerjahren versuchten viele, die verlorene Lebenszeit aufzuholen. Exemplarisch dafür steht der politische Aufstieg der lange in der linken Schattenwirtschaft tätigen Frankfurter Joschka Fischer, Daniel Cohn-Bendit, Tom Koenigs oder Thomas Schmid. Doch konnten nicht alle im grünen »Projekt« unterkommen. Es mangelte an passenden Posten. Auch machte sich für diejenigen, die den späten Wiedereinstieg in die Normalgesellschaft suchten, die ungünstige Überalterung bemerkbar, nicht selten die schlechte Ausbildung. Exakt in dieser Situation eröffnete das Ende der DDR unverhoffte Aussichten. Der gehobene Arbeitsmarkt geriet in Schwung. Parallel zu den Aufstiegsgelegenheiten im Osten führte das auch im Westen zu neuen Chancen. Beides setzte die Abwicklung der DDR-Intelligenz voraus. Man schickte die alten, gewiss staatsnahen Eliten in die Wüste, weil sich für jeden Posten schon einer im Westen warmlief, mittendrin die ehemals staatsfernen Alternativen.
Selbstverständlich brachen auch CDU-, SPD- und FDP-nahe, in Kiel oder Stuttgart beheimate-te Postenjäger auf, um ihr Glück in Leipzig oder Greifswald zu machen. Ordinarien verschafften den an ihrem Lehrstuhl hängengebliebenen treuen Seelen eine Last-Minute-Sinekure in Rostock. In den Beamtenhierarchien entstanden Möglichkeiten des Zugriffs auf höher dotierte Pfründe und saftige Buschzulagen im angenehmen Potsdam, Erfurt oder Dresden. Ein stiller, einverständlich genossener Ruck ging durch die alten Länder.
Ein früherer Straßenkämpfer und Sozialpädagoge aus Berlin-Neukölln wurde unversehens Pädagogik-Professor in Potsdam; eine postmarxistische Schnatterine wechselte von der taz zur ehemaligen SED-Hauptstadt-Zeitung, wurde Ressortleiterin. Ein verhinderter Professor avancierte daselbst zum Meinungschef. Arbeitslose Sozialwissenschaftler, die sich bislang dem ‚Verwertungszusammenhang des Kapitals‘ entzogen hatten, stießen sich an Umschulungsmaßnahmen im Osten gesund oder krochen in der Bildungsabteilung der Gauck-Behörde unter. Einer, der sich seinen Lebensunterhalt zuletzt als Masseur verdient hatte, ergatterte noch eine Professur in Erfurt. Ein markiger SDS-Kämpfer fand sein spätes Berufsglück in einem mecklenburgischen Beamtensilo. Linke Westberliner Lehrer, die zwei Jahrzehnte zuvor die ‚revolutionäre Berufspraxis‘ ausgerufen hatten, ließen ihre schwierigen Schüler im Stich und verzogen sich ins brandenburgische Bildungsministerium.