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Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe Anmerkungen eines ehemaligen Sportlehrers des Herder-Instituts zur Teilveröffentlichung eines Abschlussberichtes

2013 14. August
von Helmut König


(Foto:DPA)
Im Herbst 2011 wurde ich durch Meldungen in den Medien und auch durch einen Dokumentarfilm „Die Goldmacher. Sport in der DDR“, der am 30. September 2011 auf ARTE ausgestrahlt wurde, aufmerksam. Den Meldungen konnte man entnehmen, dass eine Veröffentlichung eines Berichts über Dopingpraktiken im Leistungssport in der BRD von 1950 bis 1990 in Arbeit ist und schon bald in Zwischenberichten darüber informiert werde. Das könnte interessant werden, dachte ich so bei mir. Doch ich wartete fast zwei Jahre vergeblich. Man hätte immer mal dies und das, aber veröffentlicht wurde nichts. Warum eigentlich nicht?

Am 5. August 2013, also vor gut einer Woche, hatte dann endlich die Geheimniskrämerei ein Ende. Rund 100 Seiten des brisanten Abschlussberichtes „Doping in Deutschland von 1950 bis heute“ wurden auf der Homepage des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp) publiziert. Doch bald stellte sich heraus, dass etwa 700 Seiten immer noch zurückgehalten werden. Die mit Recht eingeforderte Transparenz sieht anders aus. Außerdem beinhaltet er viele Schwärzungen“-  angeblich aus Datenschutzgründen. So viel Kulanz wurde dem DDR-Sport nicht zu Teil, als 1990/91 die große Abrechnung mit dem DDR-Leistungssport einsetzte.

Wenn man den Funktionsträgern in Politik und Sport nach der Wende so zuhörte, hätte man glauben können, dass die Vergabe leistungssteigernder Pharmazeutika an die Sportler und unter Staatsräson organisierter Sport eine besonders perfide Erfindung der DDR sei.  Dass dies nicht die absolute Wahrheit war, war mir und vielen im DDR-Sport tätigen Sportlehrern, Trainern und Übungsleitern hinlänglich bekannt. Gehört, geschweige denn erhört wurden sie natürlich nicht. Alle Leistungssportlerinnen und -sportler wurden in den Doping-Topf geworden und somit die von DDR-Sportlern errungenen rund 4000 Medaillen bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften unter Doping-Verdacht gestellt. Diese Verallgemeinerung musste schon mal angezweifelt werden.

Aber wie bringt man Licht in das dunkle Dopinggeschehen?
Die Antwort ist auf den ersten Blick ganz einfach, wenn man z.B. nichts vertuschen will. Man muss genauer hinsehen! Man muss mit wissenschaftlicher Akribie dieses Problem bearbeiten, wozu Detailtreue gehört. Der 800seitige Abschlussbericht leistet dies und verdient daher große Anerkennung.

Heute ist klar, dass die Aufarbeitung im Bereich des Leitungssports und des Dopings nur im Kontext der Ost-West-Auseinandersetzung erklärt und bewertet werden kann. Während die BRD versuchte, mit ihrer Hallsteindoktrin die politische Anerkennung der DDR zu verhindern, versuchte die politische Führung der DDR alles, um sie dennoch zu erlangen. Der Leistungssport war dazu ein hilfreiches, wenngleich abzulehnendes Mittel, und somit Grund genug, den DDR-Sport unter Generalverdacht zu stellen und pauschal zu kriminalisieren. Zugleich kehrte man die eigene weiße Weste heraus und stellte den westdeutschen Sport als sauber dar, die dennoch bekannt gewordenen schwarzen Schafe wurden als Einzelfälle apostrophiert. Und nun kommt dieser Bericht, der öffentliche Druck war nicht mehr aufzuhalten, ein Paukenschlag:
Nach den 2 Zwischenberichten der Historiker Giselher Spitzer und Michael Krüger, die vom BISp (Bundesinstitut für Sportwissenschaft) dazu beauftragt worden waren, und dem jetzt veröffentlichten Bericht tut sich ein Abgrund auf, den wir Sportfachleute zwar ahnten, wofür es aber bislang keine stichhaltigen Beweise gab. Von nun an kann man getrost davon ausgehen, dass auch in der ‚alten‘ BRD flächendeckend gedopt und angewandte Dopingforschung, vom Staat und von Sportverbänden gefördert, betrieben wurde.
Doping1 (Foto:DPA)
Detlef Hacke und Udo Ludewig formulierten es bereits in ihrem Spiegelartikel vom 29.9.11, Nr.29 unter dem Titel „Ich will nur eines: Medaillen“ wie folgt: „Nach außen hin galt eine Distanz zu allem, was nach Manipulation aussah, intern redete man anders.“ Wie sonst soll man es werten, wenn, wie jetzt bekannt, bundesdeutschen Athleten zu den Olympischen Spielen 1976 in Montreal 1200 Spritzen gesetzt wurden. Auch wenn die Mittel noch nicht auf der Dopingliste standen, ja noch nicht einmal hinreichend erforscht waren, steht doch die Frage: Wozu das Ganze, wenn nicht zur Leistungssteigerung? Oder waren die alle krank angereist?
Im Zwischenbericht wird auch ein Werfertrainer zitiert: „Wer das Zeug (gemeint sind Anabolika) nicht nimmt, kommt bei mir nicht mal in den B-Kader…)- Sätze, wie man sie bislang nur DDR-Trainern nachsagt hatte.
Keine Frage, in der DDR gab es den Staatsplan 14.25, worin festgelegt war, leistungssteigernde Mittel im Leistungssport unter ärztlicher Kontrolle einzusetzen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie in meiner Seminargruppe im Vorfeld darüber kontrovers diskutiert wurde, hatten wir doch eine ganz andere Vorstellung vom Sport und seiner ethischen Seite. Wir wurden damals beruhigt mit dem Hinweis, dass Andere ‚das Zeug‘ schon lange haben. So falsch lagen sie nach dem Abschlussbericht gar nicht, denn der besagte Bericht geht davon ausgeht, dass in der BRD schon Anfang der fünfziger Jahre, Anabolikaforschung betrieben wurde.
Der DDR-Staatsplan machte es der bundesdeutschen Sportpolitik einfach, mit dem Finger immer nur in eine Richtung zu zeigen. Da gibt es ja auch nichts zu beschönigen. Aber was für mich das Entscheidende ist: Wenn man selbst im Glashaus sitzt, sollte man eben nicht mit Steinen werfen, denn das kann ins Auge gehen, wenn man ertappt wird. Und jetzt wurde man arg erwischt.
Richtig, im westlichen Teil Deutschlands gab es einen solchen zentralistischen Plan nicht, im oben genannten Spiegelartikel heißt es dazu: In Bonn reichte es aus, dass der für den Spitzensport zuständige Innenminister den Eindruck vermittelte, ihm sei so gut wie alles recht, um in der Weltspitze mitzuhalten. Und so entwickelte sich unter den Bedingungen von Demokratie und Marktwirtschaft eine Dopingkultur, die offenbar aufs Gleiche zielte: Erfolg, Erfolg, Erfolg, auch unter Preisgabe der Gesundheit. So forschten mit Geldern des Steuerzahlers vor allem 2 Zentren an Dopingmitteln, in Freiburg unter Prof. Keul, an der Sporthochschule Köln unter dem ehemaligen Kardiologen Prof. Hollman. Eine Bemerkung nebenbei: Die DHfK in Leipzig wurde wegen Systemnähe und damit wegen aktiver Beteiligung an der Realisierung des Staatsplanes 14.25 gleich mal abgewickelt. Die genannten westdeutschen Einrichtungen bestehen bis heute noch.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Mir geht es hier nicht so sehr um die Dopingproblematik in ihrer Vielschichtigkeit, sondern vor allem um die Art und Weise der Aufarbeitung und um die Tatsache, dass es 20 Jahre brauchte, bis die Notwendigkeit erkannt wurde, auch mal im anderen Teil Deutschlands genauer nachzufragen, genauer hinzusehen.
Geschichtsaufarbeitung immer nur von der ehemaligen DDR aus zu betreiben, musste am Ende in einer Einbahnstraße münden. Wenn sie nicht im Kontext der Systemauseinandersetzung geführt wird, erhält man eben nur die halbe Wahrheit. Leider ist diese Einseitigkeit heute immer noch gängige Praxis. Aufarbeitung von Geschichte muss aber vorurteilsfrei, wissenschaftlich fundiert und am jeweiligen konkreten Gegenstand orientiert sein. Vorurteilsfrei meint auch, nicht mit zweierlei Maß zu messen und die Leistungen des Anderen anzuerkennen. Natürlich sind Fehler zu benennen, Fehlentwicklungen, Missbrauch herauszuarbeiten und daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Das muss aber eben für beide Teile Deutschlands gelten.

Dieser Gedanke schlägt auch den Bogen zum Anliegen des Herderblogs: dem Wirken der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gerecht werden, ihre umfangreiche, aufwändige Arbeit zur Ausbildung ausländischer Studierender aus Ländern der sogenannten Dritten Welt würdigen, sie nicht kleinreden zu lassen, kritisch das Geleistete aufarbeiten, vor allem aber eine Gleichbehandlung der Menschen in Ost und West durchsetzen.

Das Beispiel des Doping-Abschlussberichtes zeigt einmal mehr, wie langwierig, verwinkelt, widerspruchvoll eine vorurteilsfreie, gerechte Aufarbeitung der Geschichte der beiden deutschen Staaten ist. Möglicherweise braucht sie nochmals 20 Jahre, aber solange können wir nicht warten. Deswegen müssen wir unsere Sicht der Dinge im Sinne einer Zeitzeugenschaft für die Nachwelt darlegen und begreifbar machen.

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