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Aus meinem Briefwechsel mit Prof. Hans-Eberhard Piepho zur Wendezeit

2013 12. August
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von Martin Löschmann

Das Piepho-Zitat in meinem Beitrag „Was ich Sie schon immer mal fragen wollte, Herr Prof. Bausch“ lenkte mich auf den Briefwechsel, den ich um die Wendezeit mit Prof. Eberhard Piepho geführt habe. Der Fremdsprachendidaktiker gehörte zu den wenigen prominenten westdeutschen DaFlern, die sich für seine Kolleginnen und Kollegen im Osten˜ einsetzte.

1929 geboren, gestorben 2004, Professor für die Didaktik der englischen Sprache und Literatur an der Universität Gießen von 1973 bis 2004, einflussreiches Buch:  „Kommunikative Kompetenz als übergeordnetes Lernziel im Englischunterricht“ (1974). Es habe „die kommunikative Wende in Deutschland eingeleitet und den Fremdsprachenunterricht in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entscheidend geprägt.“ Als Autor zahlreicher Lehrwerke, Herausgeber von Fachzeitschriften und Handbüchern und als Lehrerfortbilder erzielte Piepho sowohl in Deutschland als auch im internationalen Kontext große Anerkennung.
In Erinnerung an Hans-Eberhard Piepho wird alle zwei Jahre der Piepho-Preis für neue Ideen zur Förderung des Fremdsprachenunterrichts vergeben.

10.07.92

Lieber Herr Löschmann,

was ich als Gerücht gehört und nicht recht hatte glauben wollen, hat mir Ihre Frau heute leider bestätigen müssen.
Ich habe natürlich Verständnis dafür, dass man das Herder-Institut nicht in seiner bisherigen Fach- und Personalstruktur erhalten würde. Das mag objektive Gründe haben, aber es überwiegen politische bzw. fachpolitische Interessen. Goethe hat deutlich artikuliert, dass es keine Chance gibt, Herder in irgendeine Kooperationsstruktur einzubinden. Und als Universitätseinrichtung musste ein Schrumpfungsprozess erwartet werden.
Aber das man in diesem unvermeidlichen Prozess Kolleginnen und Kollegen diskriminiert, aussortiert, überhaupt fachlich be/verurteilt, das hätte ich nicht für möglich gehalten. Mir ist unerfindlich, wie sich Hochschullehrer dafür hergeben, derartige Urteile zu fällen. Mindestens wäre doch zu erwarten, dass drei Hausgutachten, ein Senatsgutachten erstellen lässt und mindestens zwei oder drei externe Gutachten einholt wie bei Berufungen. In Ihrem Fall hätten ausländische Gutachten beigebracht werden müssen denn gerade Ihre Publikationen und Ihr Wirken sind ja noch mehr in anderen Ländern rezipiert worden.
Herr Bausch ist nun wirklich nicht qualifiziert, didaktische Kolleginnen und Kollegen zu bewerten. Die meisten westdeutschen Didaktiker oder ‚Sprachlehrforscher‘ kennen die ostdeutsche Fachliteratur und ihre Theoriezusammenhänge nicht, von politischen Implikationen ganz abgesehen.
Für mich ist unverständlich, dass in einem DaF- Institut die Didaktik so kümmerlich vertreten sein soll. Dass Weinrich und jetzt Ehrlich in München das Sagen hatten, war abhängig von der Notwendigkeit, das Institut in einer konservativen Uni durchsetzungsfähig zu machen. Jetzt einem Linguisten mit C4 mit der Leitung zu versehen, halte ich für einen Rückschritt.
Sagen Sie mir, wenn ich etwas für Sie tun kann.
Herzlich
Ihr
Hans-Eberhard Piepho

03.09.92

Lieber Herr Löschmann,

wenn Sie mal einen Moment Zeit und Muße haben, wäre ich für ein paar kritische Anmerkungen zu meinen Gedankensplittern über Fortbildungsmodelle Ihnen sehr dankbar. Ab 1. Okt. laufen dazu in Sachsen und Thüringen (Englisch) und Italien ein paar Versuche.
Wie nicht anders zu erwarten, habe ich von westdeutschen Kolleginnen und Kollegen heftige Schelte wegen meiner bissigen Seitenhiebe in Baden-Baden* bekommen. Ich bleibe dabei und kann mit C.EW (? schwer lesbar – ML) und höchsten Richtern sogar noch einen Schlag nachlegen.

*In Baden-Baden fand vom 19. Bis 22. Juli 1992 die Jahrestagung des Amerikanischen Deutschlehrerverbands(AATG) unter dem Titel „Deutsch in europäischen und amerikanischen Kontexten“ statt.
Deutschlehrerund Germanisten aus 49 US-Staaten und 17 Ländern nahmen teil, darunter auch der Schreiber dieser Zeilen mit einem Sektionsbeitrag. Eine fachlich wie auch politisch hochkarätige Veranstaltung, die nicht zuletzt durch eine Ansprache des Leiters der Kulturabteilung im Auswärtigen Amtes, des Ministerialdirektors Dr. Lothar Wittmann aufgewertet wurde. Der gut organisierte und strukturierte Kongress, der unter der Leitung von Prof. Paul Michael Lützeler (Washington University) und Frau Prof. Renate A. Schulz (Arizona) stand, sah u.a. drei Foren vor, darunter das zum Thema «Aktueller Stand und Tendenzen in der Sprachlehr-/Lernforschung und ihre Implikationen für den DaF-.Unterricht“ mit Hans-Eberhard Piepho (Gießen) und Renate A. Schulz (Arizona).
Im Rahmen dieser Veranstaltung nahm Prof. Piepho zu den Evaluierungsvorgängen im Osten Deutschlands Stellung, nannte Prof. Hexelschneider und den Schreiber namentlich und verstieg sich in einen Vergleich mit der Nazi-Zeit. Dummerweise habe ich mich nicht im Forum zu dem mehr als hinkenden, weil politisch abwegigen Vergleich geäußert: Nach der Veranstaltung habe ich zwar Kollegen Piepho aufgebracht mitgeteilt, dass ich solche Vergleiche für unangebracht halte und kategorisch zurückweisen muss. Natürlich steckte in meiner scharfen Reaktion auch ein Stück Enttäuschung über mich selbst.
Ich könnte mein Versagen im Nachhinein erklären, tue es aber nicht, weil ich meine Selbstkritik nicht relativieren möchte.

27.01. 93

Lieber Herr Löschmann,

die Buschtrommeln haben es mir zugespielt, dass Sie ihren Prozess gewonnen haben. Große Gratulation! Das kann eine Lawine lostreten. Aber vor allem freue ich mich für Sie persönlich. Ich hoffe, dass einmal nicht eine andere Instanz dagegen entscheidet und zum anderen dass es nun auch Folgen für Ihre berufliche Rehabilitation hat.

31. Januar 93

Lieber Herr Piepho,

Es geschehen noch Wunder! Ich weiß nicht, ob ich ein richtiger Deutscher bin, aber ich wollte den schriftlich ausgefertigten Beschluss des Arbeitsgerichts abwarten und dann Ihnen schreiben. Da kam schon Ihr wahrlich herzerfrischender Brief vom 27.1.93. Er erreichte uns just in dem Moment, wo wir von der öffentlichen Beschlussverkündung des Gerichts zurückgekehrt waren (29.1.93, 8.30 Uhr). Für uns eine völlig neue Erfahrung.

Ich hätte Ihnen halt gleich das Ergebnis des Kammertermins (15.1.93) mitteilen sollen. Immerhin haben Sie mir Mut gemacht und somit Anteil am Erfolg. Ich habe Ihnen herzlich für Ihre eigenständige Wahrheitssuche in einer gewiss komplizierten deutschen Zeit zu danken.

Es werden noch einige Tage vergehen, bis ich den Beschluss in den Händen halte; verbürgtes authentisches Fazit:
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Mehr konnte ich nicht erwarten. Für mich steht indes fest, die beklagte Seite wird Einspruch erheben. Ich würde aber meinen, dass bei Lage der Dinge nicht anders entschieden werden kann. Doch ich kann mich nicht der Meinung meines geschätzten Rechtsanwaltes entziehen (Sie müssen bedenken, dass ich zum ersten Male in meinem Leben etwas mit einem Gericht zu tun habe!), dass Arbeitgeber immer Gründe finden, wenn Sie Arbeitnehmer loswerden wollen.
Bis heute weiß ich nicht, welche Empfehlung die Fachkommission unter Leitung des Herrn Prof. Bausch nach Dresden geschickt hat. Das Gutachten der Fachkommission hat bisher keine Rolle bei meiner Kündigung gespielt, sondern die fadenscheinige Empfehlung der Personalkommission. Wie gesagt, das kann sich ändern. Am besagten Freitag vor 14 Tagen habe ich mich als Tagessieger bezeichnet – mehr nicht, aber auch nicht weniger.

Auf der anderen Seite begreifen wir schon die Potenzen der Demokratie. Habe ich sie doch über das Gericht von einer ihrer guten Seiten erfahren. Den Richter (aus dem Westen natürlich) behalte ich in bester Erinnerung: Ich bin froh, das ich dies alles noch erleben durfte, auch wenn nicht alle Blütenträume reifen. In der DDR-Zeit waren sie auch für uns trotz der Integration arg beschnitten. Ich will meine Situation nicht mit der von Ulrich Plenzdorf vergleichen, aber irgendwie trifft er meine Erfahrung nach der Wende: „Da war ich in der Situation zu sagen, jetzt hast du eine Chance, jetzt geht es anders lang, freier, sagen wir mal. Schreibst ein Drehbuch nach dem anderen. Habe ich auch gemacht“ (ach, wie viele Projekte wollte ich – Martin Löschmann –  endlich in Angriff nehmen!) Aber meine Trefferquote war nicht so sehr hoch („Tut uns leid, wir sehen dafür kein Publikum, das ist ein Minderheitenprogramm“).

Immerhin, bei Peter Lang kommt im April mein Buch zur Wortschatzarbeit in der von mir ins Leben gerufenen Reihe „Deutsch als Fremdsprache in der Diskussion“ heraus, das ich dem letzten halben pflichtfreien Jahr verdanke. Sicherlich, ein bescheidener Anfang und noch nicht die große Herausforderung zur Diskussion.
Daneben habe ich unendlich viele Briefe geschrieben, weniger polemisch, eher argumentativ. Eigenartigerweise sind sie bisher nicht beantwortet worden. Die angesprochenen Personen (Dr. Wenzel, Frau Dr. Fix, Prof. Meyer, Prof. Helbig, Prof. Bausch) vermeiden den Dialog. Manchmal denke ich, man müsste die Briefe veröffentlichen, zumal ich weitere zu schreiben gedenke,Titel habe ich schon: Wende-Briefe, die nicht beantwortet wurden, oder: Alltägliche Briefe nach der Wende. Gut, es ist ein weites Feld.

Ist die Verteidigung Ihres in Baden-Baden* vertretenen Standpunktes inzwischen veröffentlicht? Ich hätte sie gern in meine kleine Dokumentation über die Vorgänge um meine Person eingebaut, die ich auf jeden Fall (als Kopienzusammenstellung) zusammenfügen will.

Nebenbei: Sind meine bescheidenen Anmerkungen zu Ihrem Fortbildungskonzept bei Ihnen jemals eingetroffen? Im Trubel der Ereignisse scheinen sie untergegangen zu sein. Mein Computer weist den 13. August 1992 als Absendetermin aus?

Lieber Herr Kollege, diese Zeilen lagen mir schon längere Zeit auf der Seele, ich übermittele sie Ihnen mit herzlichen Grüßen

22. 06. 93

Lieber Herr Löschmann,

nach Erhalt Ihres ausführlichen und sehr persönlichen Briefes bin ich nicht etwa in Apathie versunken. Ich hätte mir nur gewünscht, mit Ihnen und Ihrer Frau irgendwo bei einem Glas Wein über alles zu reden, was mir schwerfällt zu schreiben.
Mein Urteil über Art und Umstände der Behandlung von Akademiker (inn)n in Ostdeutschland ist noch entschiedener und heftiger geworden als in Baden-Baden; denn zwischenzeitlich ist meine Horrorsammlung von Fällen umfangreicher und beängstigender geworden. Ich unterscheide zwischen der üblichen, also zu erwartenden Ranküne zwischen Menschen in einer solchen Wendesituation und dem, was unter dem Schirm der Rechtmäßigkeit von Präsidenten, Wessis von der O-Qualifikation (?) eines Bausch und Kanzlern gelaufen ist.
Wenn man Werfel, Arnold und Stefan Zweig, Celan und Enzensberger oder gar Analytiker wie Bernt Engelmann liest, sind unsere Erfahrungen nicht mehr verwunderlich und verwundernd. (Verlinkung nicht von Piepho!)
Was mich bedrückt, ist die Kaltschnäuzigkeit, mit der man über die gemeinsamen Wurzeln der beiden Systeme auf deutschem Boden hinweggeht, ohne diese Wurzeln aufzuarbeiten, und etwa die Karte (????) und die gesellschaftlichen Herrschaftskreise verschweigt, die durch die sozialistische Phase unserer Geschichte weggefegt worden sind. Alle Mängel und Schwächen des Systems würden ja und im Verhältnis historischer Zusammenhänge deutlich, wenn man unsere Archive genauso rückhaltlos  geöffnet würden wie die im Osten. Man muss den genannten Engelmann immer wieder lesen, um wenigsten zu ahnen, was sich hinter den gerichtlich nie beanstandeten Enthüllungen noch verbirgt.
Ihr Buch habe ich sofort bestellt und weiß, dass es in Gießen auf mich wartet: Lektüre für den Urlaub, den ich auch Konzeptionierung meines neuen DaF-Buches nutzen muss.
Ihre Anmerkungen zu meinem Fortbildungskonzept habe ich vor 14 Tagen sehr gut gebrauchen können, als ich mich an die Neufassung machte. Sehr verspätet herzlichen Dank.
Mein Problem ist seit 1992, dass ich permanent aus Dutzenden von Kästen lebe, in die ich alle Vorgänge sofort versenke, damit sie nicht verlorengehen, und die schlummern dann, bis ich den betreffenden Karton aus Gießen, Hannover oder unserem Keller mal wieder vornehme. Wir haben hier eine ganz kleine Wohnung, in der zwei sehr beschäftigte Menschen sehr diszipliniert Ordnung halten müssen, um nicht in Papieren und Ordnern zu versinken.
Sicher sehen wir uns in Leipzig! Kommen Sie auch am Mittwoch zu Hexelschneider? Meine offizielle Ausladung* ist nicht gelungen. Ich nehme auch nur aus Solidarität mit Ehnert und Silvia Serena teil. Kongresse mag ich eigentlich nicht, weil intensive Gespräche nur selten zustande kommen.

*Wegen Piephos Äußerungen zu den Personalvorgängen in Ostdeutschland wollte man offensichtlich verhindern, dass er in Leipzig zur IDV-Tagung 1993 auftritt. Die Tagung stand unter dem Thema (es schmeichelt mir, dass das Thema von mir vorgeschlagen worden war) „DaF in einer sich wandelnden Welt“. Sie war im Wesentlichen noch zur DDR-Zeit konzeptionell vorbereitet worden. Offensichtlich sollte Piepho gewissermaßen für diese international bedeutsame Tagung ein Maulkorb verpasst werden.

Hier die ausführliche Stellungnahme zu den „Äußerungen über Begleitumstände und persönliche Folgen der Abwicklung im Bildungs- und Hochschulwesen Ostdeutschlands während der AATG-Tagung in Baden-Baden (Juli 1992)“, datiert vom 1. August 1992.
Die Kopie ohne Überschrift habe ich erst Monate später bekommen, leider habe ich den Erhalt nicht datiert. Die gedruckt vorliegende Stellungnahme wurde von mir gescannt.

Piephos Stellungnahme zu seinen kritischen Äußerungen über Begleitumstände und persönliche Folgen der Abwicklung im Bildungs- und Hochschulwesen Ostdeutschlands

(Anleitung zum Lesen des Eingescannten: Doppelklick auf die Seite, falls man weiterlesen will, zurück zum Ausgangspunkt, also linken Pfeil oben anklicken, jetzt ist man wieder am Eingescannten und kann die 2. Seite mit dem Doppelklick lesbar machen, danach wieder zurück und die 3. Seite doppelklicken und genau so verfahren bei der letzten Seite.)

Piepho

Piepho1

Piepho2

Piepho4

Übrigens, der Briefwechsel mit Hans-Eberhard Piepho ist auch nach der Wendezeit fortgeführt worden, wenn auch sporadisch. Hier der Beginn eines weiteren natürlich von Piepho handschriftlich geschriebenen Briefes vom 04.11.99, aus dem zu entnehmen ist, was der bekannte Fremdsprachendidaktiker nach seiner Pensionierung so alles unternommen hat:

Liebe Frau Löschmann,
lieber Herr Löschmann,
mein unanständig langes Schweigen ist nicht das Resultat nachlassender Erinnerungsvermögens oder gar gesunkener Sympathiewerte, sondern schlicht auf mein ubiquitäres Dasein, gelegentlich Krankenhausaufenthalte (…) und vor allem meine schlechte multimediale Organisiertheit zurückzuführen.
Mit meinem Abgang in Gießen habe ich mich technologisch total abgerüstet: Kein PC, kein Laptop, kein Fernsehseher etc. …

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