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Ehemalige Studierende des Herder-Instituts melden sich zu Wort – Nabil Harfoush, Kanada

2012 18. Mai
von Nabil Harfoush

 

ML: Deine Herder-Zeit ist lange her.

N: 44 Jahre!

ML: Klar, dass das eine Jahr am Herder-Institut durch das Studium und Promotion in Dresden in den Hintergrund getreten ist. Umso erfreulicher, dass du dich dennoch auf dieses Interview einlassen willst.  Du wärst der zweite Student, der sich zur Vorbereitungszeit am ‚alten’Herder-Institut äußert. Doch keine schlechte Position!

Na gut, leg los.

Wie bist zu zum Studium in der DDR gekommen?

Ich hatte bei der Interflug-Vertretung, der DDR-Fluggesellschaft, in Damaskus mitgearbeitet und wurde zu einem Trainingskurs nach Berlin geschickt. Dort erfuhr ich vom Syrischen Konsulat, dass die DDR Studienplätze den Staaten, die die DDR möglicherweise anerkennen könnten, zur Verfügung stellt. Da die syrische Regierung nicht alle Studienplätze vergeben hatte, konnte ich mich um einen solchen Platz bewerben.

Du sprachst fließend Französisch und dein Englisch war auch nicht schlecht, und nun solltest du eine dritte Fremdsprache DEUTSCH lernen? In einem französisch-bzw. einem englischsprachigen Land wäre es für dich einfacher gewesen. Das sprachliche Vorbereitungsjahr wäre entfallen. Ein Jahr früher fertig!

Meine Familie und schon gar nicht ich selber hatte nicht die notwendigen Mittel, um in Frankreich bzw. England zu studieren.

Kannst du dich noch an deine ersten Eindrücke von der DDR und in der DDR erinnern?

Du wirst es kaum glauben, meine ersten Eindrücke sind mit Berlin verbunden. Die großen leeren Plätze stehen vor mir, besonders der Marx-Engels-Platz. Ich fühlte mich verkleinert und ein bisschen einsam auf diesen Plätzen (Ich kannte damals niemand in Berlin, allein auf weiter Flur!). Allerdings interessant für mich: Die Kugel des Berliner Fernsehturms war noch als Test auf dem Boden zusammengebaut worden.

Wie hast du Leipzig erlebt? Das Leben im Studentenheim? Die Heime waren ja nicht gerade im besten Zustand.

Ich bin in Leipzig nachts angekommen. Ein Taxi war unmöglich zu kriegen. Ich bin mit der Straßenbahn zum Empfangsheim gefahren, bin eine Haltestelle zu früh ausgestiegen und musste dann mit meinem Gepäck ganz schön weit laufen. Ich fühlte mich verloren und war deprimiert. Es wurde besser, als ich ins Studentenheim an der Lumumbastraße überwiesen wurde. Dort war ich in einem Zimmer mit drei anderen ausländischen Studenten untergebracht: zwei waren zur meiner Überraschung Syrer und einer Chilene. Die neue Umgebung mit den anderen Studenten zu erkunden machte die Eingewöhnung etwas leichter.

Hast du Unterschiede beim Lernen der deutschen Sprache im Vergleich zum Französisch- bzw. Englischerwerb festgestellt?

ie Kenntnis von Französisch und Englisch machte die Aneignung des Deutschen Vokabulars leichter. Die französische Grammatik war auch der deutschen nahe. Das Neutrum aber macht mir heute noch Schwierigkeiten. Die Erfahrung in einer internationalen Klasse zu lernen war mir neu und aufschlussreich. Ich lernte auch aus den Fehlern der anderen, die ganz verschiedene Muttersprachen sprachen. Als ich nach Dresden kam, entdeckte ich, wie nützlich die Fachsprache (Mathematik, Physik und Chemie) war, die ich im HI gelernt hatte bei den Fachlehrern.

Kannst du dich noch an besondere Übungen in deiner Gruppe erinnern?

Ja, an Übungen zum verstehenden Lesen und Hören. Dabei wurden neben speziellem Aufgaben- und Übungsmaterial meistens Zeitungsartikel genutzt. Die Thematik der Zeitungstexte eröffnete mir ein Fenster zur Komplexität des Landes.

An welche Lehrerinnen und Lehrer erinnerst du dich noch?

Frau Löschmann war unsere Gruppenlehrerin. Mit ihr und ihrer Familie entstand eine lebenslange Freundschaft. Physik und Mathematik wurden von dem Ehepaar Werge gelehrt. Mit ihnen wurden wir auch befreundet und nachdem Frau Sabine Werge mit ihrem Mann das Herder- Institut verlassen hatten, haben wir sie in ihrem neuen Wohn- und Arbeitsort besucht.

Wie kamst du in Dresden mit den neuen sprachlichen Anforderungen zurecht. Welche Schwierigkeiten gab es bei dir oder bei anderen Mitstudenten? Ach, was frage ich, du hattest ja die Sprachprüfungen mit AUSGEZEICHNET abgelegt, ich vermute mal, deine Schwierigkeiten hielten sich in Grenzen.

Meine Deutschkenntnisse waren schon einigermaßen. Aber plötzlich war ich aus der kleinen T33-Ausländergruppe in eine Seminargruppe gekommen, die aus 30 Deutschen und zwei anderen Ausländern bestand. Ich musste nun die verschiedenen Dialekte und Kulturen lernen und mich dem neuen Kollektiv anpassen.

Da fällt mir gerade ein, du hast ja auch bei einem Intelligenztest hervorragend abgeschnitten. Wozu wurde der durchgeführt? Intelligenztests standen damals in der DDR nicht hoch im Kurs.

Du, daran kann ich mich nicht mehr so richtig erinnern, ich weiß aber, dass ich zusammen mit unserer Gruppenlehrerin, die auch den Test mitgemacht hat, sehr gut abgeschnitten habe. Ich glaube, die Psychologen am Institut wollten die Leistungsparameter der ausländischen Studenten zu ihren Voraussetzungen vergleichen.

Jetzt, wo du das sagst, dämmert es bei mir. Das könnte der Grund gewesen sein. Die Gruppen waren ja international zusammengesetzt, so auch deine. Welche
Nationen waren in deiner Gruppe vertreten? Erinnerst du dich an Spannungen innerhalb der Gruppe?

Ich lernte Studenten aus Mali, Tunesien, Sri Lanka, Jugoslawien, Tansania,  Zypern, Chile und Syrien kennen. Wir wurden schnell zu einer eng verbundenen
Gruppe und machten vieles außerhalb der Klasse gemeinsam: Sport, Exkursionen,  z.B. nach Dresden, Riesa, Halle-Neustadt, Weimar und Buchenwald.

Wenn ich mich recht erinnere, wurde in deiner Gruppe der Gruppensprecher durch einen Gruppenrat ersetzt? Wie seid ihr zu dieser Neuerung gekommen?

Da ich Franzö¶sisch und Englisch kannte, half ich Kommilitonen mit der Übersetzung einiger Wö¶rter und wurde deshalb zum Gruppensekretär von unserer
Lehrerin ernannt. Später kritisierten einige Gruppenmitglieder eine meiner Entscheidungen. Ich schlug dann vor, mich mit einem Gruppenrat durch Wahl zu
ersetzen. Ich wurde dann als Gruppensekretär gewählt.

Man hat dem HI vorgeworfen, dass die Studierenden zu sehr an die Hand genommen, vielgestaltig betreut, ja gegängelt wurden. Was sagst du dazu?

Ich kann nur von meinen eigenen Erfahrungen ausgehen. Aus einem anderen Land kommend und als Achtzehnjähriger mit wenigen Lebens- bzw. Welterfahrungen habe ich die Betreuung außerhalb der Klasse als sehr willkommen empfunden. Ein erfolgreiches Studium setzt eine gute Integration und Anpassung an lokale Kultur und Sitten voraus. Die Betreuung, die ich am HI erhielt, hat mir persönlich bei der Anpassung und Integration in mein Studium geholfen.

Welche kulturellen Ereignisse am Institut sind dir im Gedächtnis geblieben?

Das Winterlager in Frauenstein/Erzgebirge ist bestimmt der Höhepunkt der kulturellen Erfahrungen während meiner Zeit am HI. Zum ersten Mal in meinem
Leben fuhr ich Schi und Schlitten und erlebte die angenehmeren Aspekte des Winters. Die Diskussionen um den Feuerplatz bleiben unvergesslich. Die Interaktion mit der Bevölkerung des kleinen Städtchens war auch ganz interessant.

Inwiefern?

In der örtlichen Kneipe zum Beispiel wurde unsere Gruppe zu einer Runde Schnaps eingeladen und danach mit vielen Fragen angesprochen. Es war ganz nett.

Insgesamt warst du rund zehn Jahre in der DDR, ist dir je der Gedanke gekommen, in der DDR bzw. in der Bundesrepublik zu bleiben?

Es war sehr verlockend, aber ich hatte mich verpflichtet, zurück nach Syrien zu gehen und dort beim Aufbau zu helfen.

Du bist zurückgegangen und hast in deinem Heimatland Syrien elf Jahre gearbeitet. Danach bist du mit der Familie nach Kanada ausgewandert. Warum?

Ich hatte beruflich einen Punkt erreicht, der nicht mehr viele Optionen für die Zukunft ließ. Ich wollte auch, dass meine Töchter in einem Ort aufwachsen,
wo sie ihre vollen politischen und sozialen Freiheiten ausüben können, nicht  als Ausländerinnen, aber als Bürgerinnen.

Wie beurteilst du die aktuelle Lage in deinem Land? Ist der Bürgerkrieg noch zu vermeiden?

Das ist eine sehr komplizierte Frage, die sich nicht mit wenigen Sätzen beantworten lässt. Vielleicht können wir uns darüber nächstes Mal ausführlich unterhalten?

Nicht nur die Textsorte verlangt, dir am Schluss für das Interview zu danken. Nabil, ich danke dir für deine interessanten Erinnerungsstücke.

 

  1. Ungenannt permalink
    Juni 26, 2012

    Juni 26, 2012
    Hier ein Kommentar von einem ehemaligen Kollegen, der jedoch nicht genannt werden will.
    Mit Interesse habe ich Ihr Interview gelesen. Schade, dass Sie nichts zur aktuellen Situation in Syrien gesagt haben, denn nicht nur ich mache mir Sorgen um Ihr Land und den Frieden. Leider wird in Deutschland über die Vorgänge in Syrien zumeist sehr einseitig berichtet. Eine wohltuende Ausnahme bildete vor kurzem die Frankfurter Allgemeine mit ihrem Artikel, den ich unter folgender Adresse fand: http://www.faz.net/aktuell/politik/arabische-welt/syrien-eine-ausloeschung-11784434.html.
    In diesem Beitrag wird nachgewiesen, dass die Greueltaten von Hula, die der Regierung angelastet werden, höchstwahrscheinlich von der Opposition begangen worden sind.
    Als ich den Artikel las, war ich an den Dokumentarfilm der Österreicherin Susanne Brandstätter erinnert: Schachmatt – Strategie einer Revolution. Darin werden die Hintergründe des Sturzes von Diktator Nicolae Ceausescu 1989 dargestellt. In dem Film wird gezeigt, wie die USA und Russland dabei mitgewirkt haben. Obwohl Rumänien 1989 und Syrien 2012 auf den ersten Blick hin wenig miteinander zu tun haben, erkenne ich ein bestimmtes Vorgehensschema in beiden Fällen. Parallelen zu den Geschehnissen in Syrien, aber auch in Libyen sind für mich klar erkennbar. Wie sehen Sie die Dinge? Der Film ist unter http://www.youtube.com/watch?v=m7BEenUr6ZQ abrufbar.

    • Nabil Harfoush permalink
      Juni 30, 2012

      Vielen Dank fuer Ihren Kommentar. Die Lage in Syrien is hoechst kompliziert. Die sogenannte Opposition besteht aus ueber 100 verschiedenen Gruppen und Organisationen. Dazu muss man unbedingt auch die 10 oder 12 nicht syrischen Seiten zaehlen, die sich sehr aktiv daran beteiligen: Saudi Arabien, Iran, Tuerkei, Qatar, Israel, Libanon, Jordanien, Russland, USA, Großbritannien, Frankreich und China. Mehrere aus diesen Seiten haben aus geopolitischen Gruenden kein Interesse eine friedliche Loesung zu erreichen. Leider ist es auch so, dass das ganze Spektrum der politischen Opposition keine echte Verbindungen zum bewaffneten Aufstand hat. Deswegen sind alle Diskussionen und Verhandlungen mit politischen Parteien und Gruppen sinnlos, da sie die lokalen Kaempfer nicht vertreten oder kontrollieren. Ich fuerchte die Lage wird noch viel schlimmer werden, ehe sie sich langsam verbessert.

  2. Martin Löschmann permalink*
    Juli 28, 2012

    Lieber Nabil,
    wie du weißt, waren wir – kurz vor der Eröffnung der Olympischen Spiele – in Norwich und London. Enkel Janis hatte zur Graduation Ceremony in Norwich eingeladen. An irgendeiner Stelle der diversen Diskussionen über dein umkämpftes Heimatland notierte ich mir den folgenden Beitrag vom „Guardian“
    http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2012/jul/12/syrian-opposition-doing-the-talking
    Inzwischen habe ich ihn gelesen und fand ihn sehr aufschlussreich, ganz im Sinne deiner kurzen Antwort auf die dir gestellte Frage. Oder bist du anderer Meinung?

  3. mohammed ali al qirshi permalink
    September 2, 2012

    Seit langer Zeit wollte ich gern etwas über meine Lehrerin Frau Gunter erfahren.
    Sie hat mich deutsch am Herder Institut gelehrt gemeinsam mit Herrn Mai.
    Ob Sie, etwas über sie wissen oder ihre Adresse erreichen können ? Bitte informieren Sie mich.

    Mit vielen Dank
    Meine Gruppe war T – 15
    Von 1979 bis 1980.

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