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Literatur am Herder-Institut

2011 12. Dezember
von Lutz Richter

 

Literatur am Herder-Institut

Mit ziemlich viel Ehrfurcht betrachte ich die Arbeitsjahre vieler Blogger am Herder-Institut. Zwar wurde ich 1979 eingestellt, begann aber wirklich erst Ende 1983 meine Tätigkeit. Auf gerade mal zehn Jahre komme ich also, wobei ich großzügig die Jahre 1991 und 92 noch hinzurechne, auch wenn da die Entlassung schon „fix“ war.  Als ich begann, gab es bereits Literatur am Herder-Institut in Person von Werner Schwitzke und gab es das Literarische Sonderheft der Zeitschrift Deutsch als Fremdsprache. Meine Abwendung von der hehren Literaturwissenschaft zu praxisorientierten Überlegungen zur Arbeit mit literarischen Texten im Sprachunterricht hatte mit einigen handfesten gesellschaftlichen Veränderungen, aber auch eigenen persönlichen Unterrichtserfahrungen zu tun, die mit meiner Tätigkeit in Mali zusammenhingen.

Ein eher äußerlicher Grund war das Projekt Gera. Mitte der siebziger Jahre war die DDR mehr oder weniger überall politisch anerkannt. Zeit schien es also, dem Goethe-Institut eine echte Konkurrenz zu bieten. Und natürlich würde ein Herder-Institut in Gera allein dank höchstqualifizierter Fachkräfte das Goethe-Institut übertrumpfen. Während man dort eher weniger Wert auf promovierte oder gar habilitierte Mitarbeiter legte, würde dies in Gera ganz anders aussehen. Dazu gab es offensichtlich konkrete Planungen, in die ich dank meiner Tätigkeit als Lektor in Bamako hineingeriet.

An der Ecole Normale Supérieure in Bamako gab es das Fach Literatur in der Lehrerausbildung. Unterrichtet wurde prinzipiell mit Schullehrbüchern aus der DDR. Zumindest in meinem Fach veränderte ich das grundlegend und entwickelte Lehrmaterialien, die auf die Bedürfnisse der Lernenden zumindest besser zugeschnitten waren. Ohne es wirklich zu wissen, schlug ich die gleiche Richtung wie Alois Wierlacher ein. Dieser zwar uralte Grundgedanke, Wissen nicht nur zu vermitteln um die Kultur der Zielsprache kennenzulernen, sondern zu einem vertieften Verständnis der eigenen Kultur zu gelangen, war das Ziel eines Bereiches Literatur am Herder-Institut.
(Angemerkt an dieser Stelle sei hier, dass Erhard Hexelschneider den Kontakt zu Wierlacher schon 1989 (?) aufnahm und es bis 1992 zumindest eine gewisse Zusammenarbeit mit Bayreuth gab.)

Doch zurück zu einem weiteren Aspekt, der ein neues Verständnis für die Literatur erforderte. Spätestens 1976 wurde die DDR-Literatur in der DDR und darüber hinaus zu einem Politikum. Die Schriftsteller rückten ins Zentrum des kulturellen Interesses und lösten die bildenden Künstler gewissermaßen ab. Und da Literatur nun einmal mit der Sprache zu tun hat, wuchs das Bedürfnis in den westlichen Ländern vor allem an Universitäten und Lehrer ausbildenden Institutionen mehr zu erfahren, was denn da geschah. Lehrerfortbildung ohne Vorlesungen oder Seminare zur Literatur der DDR wurden auch am Herder-Institut undenkbar. In solchen Veranstaltungen wollte man nichts mehr über die deutsche Literaturgeschichte allein hören.

Natürlich galt es dazu, am Institut das Verhältnis von Landeskunde und Literatur zu klären, was sich nur theoretisch als ein schwieriger Fall erwies. Praktisch war es zunächst relativ einfach: Landeskunde stellte das Leben in der DDR allgemein so vor, wie es hätte sein können oder sollen, Literatur stellte das Leben in der DDR so vor, wie es das Individuum erlebte. Es sei zugegeben, dies war eine außerordentlich komfortable Situation – zumindest unter den Arbeitsbedingungen am Herder-Institut. Es gab in all den Jahren keinerlei Restriktionen. Von einer durchaus pro DDR geprägten Grundhaltung ließen sich die uns allen ja nur zu gut bekannten Probleme klar und kritisch ansprechen. Zugegeben sei allerdings an dieser Stelle, dass im Laufe der Zeit man sich selbst die Frage stellte, ob diese kritische Auseinandersetzung mit dem Lebensalltag nicht dieses Land auch irgendwie legitimierte. Eine Frage, die sich ja auch manche Autoren gefallen lassen mussten.

In den Artikeln des Literarischen Sonderheftes hatten wir ein gewisses Podium für unsere Ansichten. Dass dieses Heft unmittelbar (?) nach der Wende eingestellt wurde, ist aber auch symptomatisch dafür, wie schnell die Literatur ihre politische Funktion verloren hatte. Man brauchte Literatur nicht mehr. Das traf ja auch für die schon des Öfteren genannte „Anthologie für den Frieden“ zu. Der Internationale Deutschlehrerverband (IDV) in Person von Rudi Zellweger initiierte dieses deutsch-deutsche Verlagsprojekt. Der Enzyklopädie-Verlag Leipzig und der Langenscheidt-Verlag München wurden angesprochen, in der Zeit der Stationierung von SS-20- und Pershing-Raketen eine „Anthologie für den Frieden“ zu publizieren. Da man (glücklicher-, aber natürlich fälschlicherweise) das Herder-Institut in der westlichen Welt immer mit dem Goethe-Institut gleichsetzte, wurden die Verantwortlichen der beiden Institute für die Literatur gebeten, daran mitzuwirken. So lernte ich Jutta Weisz kennen und ihr verdankte ich nach 1990 die Möglichkeit, für das Goethe-Institut in vielfältiger Art und Weise (freiberuflich) tätig zu sein.

Für das Projekt, das freilich unter Aufsicht des Kulturministerium stand, gab es von westlicher Seite eine Vorausbedingung: Wenigstens ein Text von Wolf Biermann sollte enthalten sein. Es gab eigentlich wenige Probleme damit, zumindest für das Redaktionskollegium. Was hinter den Kulissen wirklich passierte, entzieht sich meiner Kenntnis. Wir erhielten den diskreten Hinweis, dafür zu sorgen, dass auch Erich Honeckers Friedensabsichten deutlich wurden, was von westlicher Seite mit Friedrich von Weizsäcker kompensiert wurde, aber es war eine außerordentlich kooperative Zusammenarbeit, die auch Rudi Zellweger eine gewisse DDR-Feindseligkeit relativieren ließ. Das Buch wurde zur Internationalen Deutschlehrertagung in Graz als erstes Gemeinschaftswerk zweier deutscher Verlage gefeiert. Ende August 1989. Eine Wiederaufklage scheiterte bereits 1990 an der Präsenz des Aufsatzes von Erich Honecker.

„Nachdenken über Christa Wolf“ oder: „Warum ich froh bin, dass Christa Wolf den Nobelpreis nicht bekommen hat.“

Martin Löschmanns Gedanken zum Tode von Christa Wolf ist weitgehend zuzustimmen. Mich hat Christa Wolf behutsam von dem Glauben, in der besten aller Welten zu leben, hinweggeführt, wobei auch gesagt werden muss, dass dieses nur gelang, weil persönliche Erlebnisse damit einhergingen. Literatur selbst verändert einen nicht, Literatur gibt Anstöße, die man annehmen oder ablehnen kann.
Doch natürlich ist Christa Wolf eine Schriftstellerin, die in einem räumlich und letztlich auch zeitlich recht engen Rahmen wirkte. Sie schrieb in der kleinen DDR und für die Leser dieses Landes. Hier wurde sie verstanden oder eben auch missverstanden. Im anderen deutschsprachigen Teil wurde sie vielleicht weniger verstanden als vielmehr gedeutet.

Aber Christa Wolf half meines Erachtens sehr viel stärker als Wolf Biermann die Veränderungen in diesem Lande vorzubereiten. Biermann suchte konsequent den Konflikt, Christa Wolf war vor allem eine Schriftstellerin, der es mit poetischen Mitteln gelang, uns Lesern den Wert und die Berechtigung der Individualität wieder bewusst zu machen. Sie geriet freilich in den Mahlstrom der Ideologien, der sie schließlich 1989 in den Abgrund zog und aus dem sie sich letztlich nie wieder völlig befreien konnte. Ich durfte mit ihr einmal nach einer Lesung (1981) ein paar Minuten ganz privat sprechen. Sie war auch zu jener Zeit kein glücklicher Mensch.

Den Nobelpreis hätte sie vielleicht erhalten, wenn sie ihr Land DDR in den achtziger Jahren verlassen hätte. Dann hätte sie aber auch sich verlassen und wäre wohl bald so sprachlos geworden wie viele, die diesen Weg gegangen waren. Den Nobelpreis hätte sie vielleicht erhalten, wenn sie ein epochales Geschehen, wie es Günter Grass in der „Blechtrommel“ und Heinrich Böll in der Auseinandersetzung mit der Nachkriegszeit gelungen war, in den Mittelpunkt hätte stellen können. Doch die „DDR“ war eher ein Randereignis der Geschichte, das kommende Generationen möglicherweise gar nicht mehr in den Geschichtsbüchern finden werden.
Hätte Christa Wolf den Literaturnobelpreis in den achtziger Jahren erhalten, wäre es eine politische Entscheidung gewesen.
Das hätte sie nicht verdient gehabt.

Ich werde sie dankbar in Erinnerung behalten, als Mensch und als eine großartige Erzählerin.

 

 

 

 

 

 

 

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