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Sollte ich wirklich auch noch etwas zu diesem Blog beitragen?

2011 21. Oktober
von Marianne Löschmann

Soll ich das wirklich?, frage ich Martin zum wiederholten Male. Schließlich kommt der Blog ganz gut ohne mich aus, läuft schon bald ein Jahr. Weiß nicht, was so das Übliche ist unter Bloggern heutzutage. Ewig geht so eine Sache nicht, ihr sind quasi natürliche Grenzen gesetzt. In unserem Fall enge. Eine Sache aber ist er wohl eher nicht. Er lebt. Durch die Beiträger. Und da lässt sich sagen: Ja, er lebt noch. Wie der Holzfäller-Michel.
Der Titel war nicht von ungefähr über Nacht im Osten der Bundesrepublik Deutschland allenthalben gehört und beliebt. Wenn auch vielleicht ein bisschen kindlich trotzig.

Kann mich natürlich mal aufraffen und in den alten Fächern in meinem Kopf kramen – Kramen in Fächern, der Titel des 1968 erschienenen Bändchens von Günter Kunert hatte mir immer gefallen, ob da noch  Verwertbares zu finden ist. Bin nicht so sicher. Hatte immer ein schlechtes Gedächtnis, wenn es sich auch über die Jahrzehnte hinweg als ausreichend effektiv erwies. Was gebraucht wurde, war da. Arbeitsgedächtnis. Nicht mehr Gebrauchtes als Überflüssiges über Nacht vergessen. Platz für Neues. Thomas Mann hat so gearbeitet: Wissen angehäuft, parat gehabt, benutzt und hervorragend genutzt, nach Abschluss einer Arbeit abgelegt, irgendwo im Kopf, wo er selbst nicht mehr dran kam. Vergleich unangebracht. Geht nur ums Funktionsprinzip. Wer sich besser erinnert, sei hiermit aufrichtig gebeten, zur Richtigstellung von Fakten  beizutragen.

Ja, soll ich da etwa über das Institut berichten, wie es sich mir in der Erinnerung darstellt, wie ich es aus 20jähriger eigener Zugehörigkeit und davor schon zehn Jahre durch Martin und Freunde kannte, oder bloß  meinem Weg im Rahmen dieses Instituts nachgehen, dem einer Quereinsteigerin, einem durchaus exemplarischen Werdegang am HI, wie er in den Grundzügen von vielen Kolleginnen und Kollegen gegangen wurde? Gar chronologisch? Warum habe ich schließlich mal Geschichte studiert! Der Ablauf als Halteseil. Damit man nicht etwa den Halt verliere. Doch warum sollte man den Halt behalten?
Anerkennung oder Ablehnung oder was auch sonst können mich kaum noch zu Größerem beflügeln. Meine Zukunft liegt hinter mir

Das Ziel, zur Entfaltung eines  differenzierten Bildes vom Herder-Institut in der DR beizutragen, nicht aus  dem Auge verloren!  (Entfaltung, das war
auch so ein typisches Wort im DDR-ischen Sprachgebrauch! Wir hatten immer etwas zu
entfalten!)

Kam ich an dieses Institut, weil ich da einen zu der Zeit  allerdings noch nicht in irgendeiner Weise hervorgehobenen Gatten zu arbeiten hatte oder gar,
weil mein Vater mit der ehemaligen Chefin, Frau Prof. Katharina Harig, befreundet war? Wäre schon möglich. Vitamin B war auch nicht zu unterschätzen, da machte die DDR leider keine Ausnahme. Welche Rolle es in anderen Gesellschaftsordnungen spielte und heute wie ehedem spielt, das muss hier bei Gott nicht ausgeführt und belegt werden, jeder, aber wirklich jeder weiß es. Dass wir da, wie auch auf so vielen anderen Gebieten, eben keine Ausnahme machten, das ist es eigentlich, was mich bis heute kränkt. Gleichviel, ich hatte schon zwei Jahre Zusatzstudium DaF neben meiner Vollbeschäftigung als  Lehrerin für Geographie und Geschichte an einer Leipziger Schule und Mutter zweier Kinder hinter mir, als ich ans Institut kam. Ich hatte mich schon selber bemüht. Und das wiederum hängt mit unser beider Verständnis von Emanzipation, Gleichberechtigung war der terminus technicus in der DDR, zusammen.

Martin, seit 1961 am HI, wurde vom MHF (Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen), das einen Teil seiner Auslandslektoren aus dem Fundus des Instituts rekrutierte, 1962 für einen Lektoreneinsatz in Guinea, dann 1963 in Mali vorgesehen, ich aber sollte dort nicht arbeiten, sondern eine sog. mitreisende Ehefrau abgeben, jahrelang im Ausland zu Hause. Martin knüpfte eine Zusage für einen Auslandseinsatz an die Bedingung, dass wir beide dort arbeiten könnten.  Der kam aber dann aus objektiven Gründen eh nicht zustande, weder beim ersten noch im zweiten Anlauf. Und das war auch gut so, unsere beiden Kinder waren doch noch recht klein, und Martin dachte intensiver über eine Promotion nach.
Aber das Problem war erkannt  und die Einrichtung des Zusatzstudiums für DaF am HI-Inge Jank hat sich in ihrem Blog-Beitrag dazu geäußert –  brachte mir die Möglichkeit zu einer qualifizierten  Fortbildung, so dass ich für weitere Vorhaben ausgerüstet sein würde.
Dass ich mich insbesondere mit Literatur bereits früher beschäftigt, schon als 12/13Jährige alle Romane in meiner Mutters Bücherschrank las, die von den großen Russen und Franzosen vor allem, während meiner regulären Studienjahre Literatur-Vorlesungen (denkwürdige Dienstagnachmittage, von 14 bis 15 im Hörsaal 40: Prof. Mayer ließ sich über Brecht aus) besucht hatte, das kam mir nun zupass.

Aber ganz so einfach gestaltete sich die Teilnahme nicht:
Erstens musste das Zusatzstudium seitens der Universität auch Externen geöffnet werden und zweitens musste die Abteilung Volksbildung beim Rat der Stadt mir die Teilnahme genehmigen. Das HI setzte sich ein, auch ein Ausdruck der Frauenförderung. Die Volksbildung tat sich schwer, jeder Lehrer wurde dringend gebraucht, ständig war Abwanderungsbewegungen entgegenzuwirken (auch in der DDR war Lehrer kein besonders angesehener Berufsstand, noch dazu schlecht bezahlt) und ein Herauskommen nicht so leicht möglich. Und auch in meinem Fall ahnte man natürlich schon, wo das enden würde.

Die Mitarbeiterzahl wuchs am HI seit 1961, das als das große Jahr der Befreiungsbewegung in die Geschichte der Neuzeit einging, beträchtlich.
Wer hatte nicht alles mit mir zugleich angefangen: Inge Jank, Hans-Jürgen Grimm, Horst Ziebart,  neben Hans-Jürgen und Horst saß ich
in der hinteren Reihe bei den alle zwei Wochen angesetzten Zusammenkünften der Lehrkräfte vom Bereich I, zu dem die zukünftigen Studenten technischer Fachrichtungen gehörten. Die Bereichssitzungen fanden in einem der Unterrichtszimmer im Haus A statt, da gab es je zwei
langgestreckte Reihen, je 8 Stühle, für maximal 16 Studenten pro Gruppe. Vorn eine wunderbar lange Tafel. Wer hat die eigentlich ständig gesäubert? Hatten wir diensthabende Studenten oder so etwas Ähnliches? Jedenfalls gab es in jeder Gruppe einen gewählten Gruppensekretär, die T 12 aber, das war meine erste Gruppe, hatte unter Leitung von Nabil Harfouch gar einen dreiköpfigen Gruppenrat. Das war damals meine Erfindung; dafür kriegte ich gleich im ersten Jahr am 1. Mai eine Prämie: 150 Mark der DDR.
So viele verschiedene Nationalitäten, dachte ich, wären besser nicht nur durch einen Gruppensekretär repräsentiert: Syrien, Tunesien, Kambodscha, Chile, Sri Lanka, Kongo, Jugoslawien, Zypern, Island. Und was für eine tolle Truppe. Ja, das waren wir. Mein ältester Student, Borsi Menkov,  23, ich 29 und dem Studentendasein durch das noch laufende Zusatzstudium wieder näher gerückt. Anfang Oktober hatte die Gruppe begonnen, im Februar
legte ich da meine Prüfungsstunde im Rahmen des Zusatzstudiums ab, die Studenten hatten dann nach 10monatigem straffen Deutsch- und
Fachsprachunterricht die Prüfung zu bestehen, um zum Studium zugelassen zu werden.

Sie liebten es, zusammen auf Exkursion zu gehen, am liebsten gemeinsam mit unseren Kindern. Einmal fuhren wir nach Halle, wanderten
an der Saale und zur Burg Giebichenstein, anschließend ging es noch in die Neubaustadt  Halle-Neustadt, der zur Linderung der allgegenwärtigen, ständigen Wohnungsnot in der DDR aus dem Boden gestampften, zumindest damals noch öden, grauen Plattenbausiedlung für mehr als 90 000 Bewohner, aber mit Buchhandlung und Bibliothek, da arbeiteten Martins Schwester und der Schwager. Die besuchten wir zu Hause in ihrer 4-Zimmer-Wohnung. Da guckte meine Schwiegermutter nicht schlecht. Alle 12 rein in die kleine Wohnung, Schuhe aus, unser Student aus Kambodscha wird ganz rot, beim besten Willen nicht zu übersehende Bollen in den Socken; große Jungs waren die meisten noch, an die 20 und das erste Mal und so
weit weg von zu Hause. Es war nicht nur eng, es war da auch Knoblauch im Spiel. Tee und Kekse haben wir bekommen und nach anfänglicher Verlegenheit lief auch das Gespräch, am schnellsten mit den Kindern – wie immer übrigens. Kommunikationszwänge, positiv.

1968 war ich mit dem Zusatzstudium fertig geworden, 1969 promovierte Martin. Im Mai, ich glaube am 9. war es, da absolvierte er die
praktische Fahrprüfung und am Tag darauf verteidigte er seine Doktorarbeit.  Großer Auflauf. Wie immer bei solchen öffentlichen Ereignissen an unserem Institut, Events müsste man heute sagen. Im Herbst reisten wir nach Finnland, wo sich gemäß unserer Bedingung auch Arbeit für mich fand, als Mitarbeiterin am Deutschlektorat beim DDR-Kulturzentrum in Helsinki, dem Martin als Cheflektor vorstand. Wie gut, dass ich die Strapazen des Zusatzstudiums bewältigt hatte. Andere Lektorinnen, die gemeinsam mit mir im Lektorat arbeiteten, so Erika Weber, Eva Wenzel, waren nicht in dieser glücklichen Lage, mussten sich ohne entsprechende Ausbildung in den Unterricht einarbeiten.

So hatte es also doch noch mit dem Auslandseinsatz  geklappt. Und wir durften nach Helsinki! Ins NSW (Nichtsozialistisches
Wirtschaftsgebiet), wozu Finnland zweifelsfrei zu rechnen war, wenngleich es unter einem besonderen Stern stand: Der Begriff des Großen Bruders, der
es immer besser wusste und dem man brav zu folgen hatte, in der DDR für die Sowjetunion im Schwange, begegnete uns auch dort und verband uns gewissermaßen mit einem Augenzwinkern. 1969, die DDR bewarb sich um internationale Anerkennung außerhalb der sozialistischen Staatengemeinschaft, Finnland war das westliche Land, von dem man erhoffte, es werde als erstes die DDR diplomatisch anerkennen und damit das Eis brechen, was dann allerdings so nicht passierte. Andere waren schneller, zum Beispiel Schweden. Am fehlenden Alkohol lag es nicht, das damals von den Finnen fast ausnahmslos heiß begehrte Nass floss reichlich in dieser Zeit.

Das Ziel, zur Entfaltung eines differenzierten Bildes vom Herder-Institut
in der DDR beizutragen, nicht aus dem Auge verloren!

Im Februar 1973 waren wir wieder da. Zwar offenbar nicht ganz sauber, denn wir kamen anschließend mehrere Jahre für Dienstreisen ins NSW nicht in Frage, aber die Arbeit am HI war davon nur insofern betroffen, als Martin in diesen Jahren keine Genehmigung bekam, zu wissenschaftlichen Konferenzen ins nichtsozialistische Ausland zu fahren, ich wurde damals zu solchen Konferenzen eh nicht eingeladen, also noch weniger tangiert. Ich arbeitete wieder in der Abteilung Erziehung und Ausbildung als eine ganz ’normale‘ Lehrkraft, die Tätigkeit war nur umetikettiert  worden, zuerst hatte sie geheißen Dozent am Herder-Institut, nach der dritten Hochschulreform, die sich etwas hinzog von 1967 bis 1972, nicht von ungefähr
in den Jahren der 68er Bewegung in der Bundesrepublik, nannte man uns Lehrer im Hochschuldienst.

Und ich kam mitten hinein in die Erprobungsphase des Grundkurses, der unter Leitung von Maria Kübler erarbeitet worden war. Da war was los. In Kurzzeitschritten war vorgegeben, was die Lehrkraft zu tun hatte. Absolut lehrerzentriert. Die kleinste Zeiteinheit war 2 Minuten Bewusstmachung. Die Programmierung hatte Einzug gehalten, auch die Probleme waren programmiert. Die Vernachlässigung des Lernenden als Individuum war gravierend,  durch verschiedene Maßnahmen musste ihr dann wieder entgegengewirkt werden: sog. Stopptage war eine. Der gestrengen Ablaufschemata durch den Zahn der Zeit schließlich wenigstens zum Teil entledigt, war aber das Lehrbuch Deutsch intensiv am Ende über viele Jahre am Institut ein erfolgreiches Lehrwerk. Einen kleinen Beitrag hatte auch ich geleistet. Die Strecke Hör- und Leseverstehen, VH und VL hieß das damals bei uns, basierte auf einem Material, das noch vor dem Finnlandeinsatz von Hermann und Anita Petzschler sowie Martin und mir erarbeitet worden war. Die theoretischen Grundlagen dafür hatten Hermann Petzschler und Martin Löschmann mit ihren Dissertationen gelegt.

War es mir die Promotion damit quasi in die Wiege gelegt? Wissenschaftliches Arbeiten, sich tief in eine Sache hineinzugraben, genau hinzusehen und
nachzusehen, sich etwas Neues dazu einfallen zu lassen, im Studium ansatzweise praktiziert, hatte mir da schon Spaß gemacht. Die Brecht’schen Mühen der Ebene, exakter, langwieriger, zu Zeiten ermüdender Recherche waren mir durch Vater und Mann bekannt, aber auch die Freuden von Erkenntnisgewinn und des Geschafften, der Begriff des Geschaffenen vermeide ich hier bewusst, nicht bescheiden. Durch Martins Diss. und durch die praktische Umsetzung in einem Lehrmaterial zum VH,  wir gingen noch weiter: der Terminus Studierendes Lesen wurde geschöpft, war
mir das Thema nahegerückt. Meine Dissertationsschrift beschäftigte sich mit dem Konspektieren, der für Studierende unabdingbaren Fähigkeit, Wesentliches aus schriftlichen Texten für eine wie auch immer geartete Wiederverwendung rationell und zugriffssicher zu speichern.

Mein Doktorvater war der damals in der Methodik des Russischunterrichts aufgrund großer Gesten und Gehabes fast berühmt-berüchtigte Prof. Hellmich, zu dem Martin zu dieser Zeit recht kritisch stand; er hatte es vorgezogen bei dem Anglisten Prof. Neubert zu promovieren, was Hellmich nicht so gern gesehen hatte. Hellmich nahm mich aber trotzdem an, und ich bereute es nicht, weil er in seinem zahlreich besuchten Doktorandenseminar kritisch und ausgesprochen anregend wirkte und seinen Schülern dabei Forschungsfreiheit ließ. Marotten hin, Marotten her, ihm sei hiermit ein Denkmal gesetzt.

Man hatte mir 1976 eine zweijährige Aspirantur gewährt. Das hieß zwar weniger Geld in der DDR mussten in der Regel schon beide Eltern arbeiten, um z.B. einen Trabant und i.w.S. gehörte ja auch ein Trabbi zu den Kraftfahrzeugen (wir fuhren Skoda!) kaufen zu können, aber Zeit und die brauchte ich: Die oberschüligen Kinder altersgemäß einsatzbereit, aber ein relativ großer, gastfreundlich offener Haushalt, Martin mitten in der Diss. B. So nebenbei
konnte da eine eigene wissenschaftliche Arbeit nicht abgefasst werden. Dann gab es offiziell den Vorschlag  – von wem eigentlich? Von Partei und staatlichen Stellen? zu promovieren. In den 70ern entstand ein stärkerer Druck auf das HI als universitärer Einrichtung seitens der Universität Leipzig: Wer an der Uni arbeiten will, muss sich zumindest der Promotion stellen. Das HI aber, als Lehrinstitution gegründet, verfügte kaum über promovierte Kader (das war der Begriff: Kader-, nicht Personal-Chef/-Abteilung, heute ist man nur im Sport bestenfalls ‚im  Kader‘). Aber gerade am HI wurden sie zunehmend nicht nur gefordert, sondern auch gebraucht. Die voranschreitende Etablierung des neuen Lehr- und  Forschungsfaches DaF, die erforderliche Materialerarbeitung für dessen Entwicklung machten sie einfach erforderlich. Von hier aus wäre die Etablierung eines
Studienganges DaF bereits in diesen Jahren unabdingbar, existentiell gewesen.
Den aber brachten wir bis zum bitteren Ende nicht wirklich zustande.

In den 70ern und 80ern standen die Sterne für eine wahre Promotionswelle am HI insofern günstig, als viele noch immer jüngere Kolleginnen und Kollegen bereits  ihre Sporen in der Unterrichtspraxis, z.T. auch bei Auslandseinsätzen, im Rahmen von Kollektiven (der Begriff klingt mir für unsere damaligen Arbeitsgruppen noch immer sozialkompetenter als Team) zur Lehrmittelerarbeitung, auch von im Ausland weit verbreiteten Lehrbüchern, erworben hatten und nun fähig und gewillt waren, die Höhen der Wissenschaft zu erklimmen. Wer wollte konnte promovieren, es wurde einem auch nahegelegt, aber man musste nicht. Anders als z.B. Frau Dr. Fiß/TU Chemnitz, damals Karl-Marx-Stadt, das für sich beschreibt: „Als ich 1986 aus Kuba zurückkehrte, wurde auf mich von der  Parteiseite ein starker Druck ausgeübt zu habilitieren.“ (Interview mit Frau Dr. Fiß am 13.07.05, in: Marina Adams, Wandel im Fach. Historiographie von DaF als Fachsprachen-Disziplin in der DDR. Berlin: Frank & Timme, 2010, 8.3, Interviewtexte, o.S.)

Das Ziel, zur Entfaltung eines  differenzierten Bildes vom Herder-Institut in der DDR beizutragen, doch schon aus dem Auge verloren? Hilfskonstruktion:
Ich denke, dass mein Werdegang am HI ein exemplarischer war und insofern zur Verallgemeinerung durchaus geeignet ist.

Mein Forschungsthema empfahl mich geradezu für die Mitarbeit am KLL „Komplexes Lehr- und Lernmaterial“, das den Unterricht nach dem Grundkurs effektivieren sollte. Allgemeiner Deutschunterricht (ASU) und Fachsprachenunterricht (FSU) in den jeweils studienrelevanten Fächern wurden miteinander verwoben: Vorlauf in der Fertigkeitsentwicklung durch den ASU, z. B. Hörverstehen an Vorlesungen angelehnter Texte, Exzerpieren aus allgemeinwissenschaftlichen Lesetexten, und dann im FSU spezifiziert und  weiterentwickelt. Den verschiedenen Arbeitsgruppen gehören vor allem die Fachbereichsleiter aus E u. A (Abteilung Erziehung und Ausbildung) und weitere befähigte und interessierte Lehrer an, auch Mitarbeiter der FA (Forschungsabteilung), die auch den Leiter des Gesamtprojekts, Dr. Fritz Kempter, stellte. Wie auch immer er sich nach der Wende ‚aufführte‘, seine Arbeit am KLL war verdienstvoll, nicht immer leicht bei so vielen ‚eigenen Köpfen‘.

Verdoppelte Zeit. Fertigstellung der Diss., Mitarbeit am KLL, noch nicht beendet, erschien ein neues, äußerst reizvolles Projekt: Die Arbeitsgruppe DaF beim MHF (Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen) plante die Schaffung eines Fernsehsprachkurses zur Ausstrahlung zumindest in mehreren sozialistischen Ländern. Eine hohe Investition, realisiert von der DEFA. Und die für die Projektleitung bestallte Frau Dr. Ursula Förster, durch die ich damals im Zusatzstudium meine didaktisch-methodische Grundausbildung bekommen hatte, nahm mich als eine Mitarbeiterin in die mehrköpfige Arbeitsgruppe auf!

 Von der Erarbeitung der Szenarien bis zu den Dreharbeiten waren wir an der Serienproduktion beteiligt. Dass uns die MHF-Arbeitsgruppe dabei noch das kleinste Detail vorlegen und verteidigen ließ , uns ständig dreinredete und die zuständige Mitarbeiterin es sowieso immer am besten wusste, schließlich sollte der Kurs in hohem Maße als Transporter für die Landeskunde DDR dienen, störte uns schon des Öfteren, behinderte uns so manches üal, aber das Interessante an dieser Arbeit überwog für mich jedenfalls eindeutig. Es gelang uns allerdings nur bedingt, einer dann auch nicht zu übersehenden, z.T. vordergründigen Ideologielastigkeit zu entgehen, insgesamt war es schon eine heile, schöne DDR, die wir da darzustellen halfen. Das kann man nicht nur etwa dem Einfluss des MHF anlasten, wir selbst waren befangen.
Aber es hat viel Spaß gemacht, wenn uns ein lockerer Dialog, eine kleine Geschichte gelungen schienen. Die Medien-Gruppe wurde im Laufe dieser Arbeit ein fester Bestandteil des Wissenschaftsbereiches Methodik in der FA des HI.

Und mir verhalf sie zu einem Thema für eine Diss. B., wie die Habilitationsschriften hießen, die einen Beitrag zum effektiven Einsatz
audiovisueller Lehr- und Lernmittel leisten sollte. Der Gegenstand war noch wenig wissenschaftlich durchdrungen. Die theoretische Arbeit verlief allerdings nicht, wie sinnvoller und effektiver gewesen wäre, im Vorfeld der Erarbeitung, sondern parallel zur praktischen Ausarbeitung. Das Datenmaterial konnte ich nach Fertigstellung des Kurses im Rahmen einer mehrwöchigen Erprobungsuntersuchung in Gdansk/Polen gewinnen. Frau Prof. Dr. Halina Stasiak, Lehrstuhlleiterin an der dortigen Universität, hatte das bewerkstelligt. Sie hat viel Zeit und Mühe investiert, vor allem aber ihren Enthusiasmus mit Vehemenz eingebracht. Wir beide übernahmen dann auch die Adaption des Fernsehsprachkurses für das polnische Fernsehen, wurden sogar vom Bildungsministerium dafür ausgezeichnet.

FIS Bildung Literaturdatenbank

Autoren: Loeschmann, Marianne; Stasiak, Halina
Titel: „Willkommen in der DDR“ im Einsatz. Zu einer Erprobung des Fernsehsprachkurses an der Universitaet Gdansk.
Quelle: In: Deutsch als Fremdsprache, 23 (1986) 2, S. 89-93

Aber der Fernsehsprachkurs verhalf mir nicht nur zu weiterer Qualifizierung in meinem Fach, sondern auch zu einer spannenden Nebentätigkeit.
Das Fernsehen der DDR produzierte damals eine Dokumentarfilmreihe, in der berühmte Gemälde in DDR-Museen vorgestellt wurden.
Da mir die künstlerische Seite der Arbeit am Sprachkurs besonders Spaß gemacht hatte und die offensichtlich auch ganz erfolgreich gelaufen war, wurde mir von der DEFA die Mitarbeit als Autorin angeboten. Für drei Beiträge konnte ich das
Drehbuch liefern, ehe die Wende auch dem ein Ende setzte. Als erstes hatte ich mein Lieblingsbild vorgeschlagen

Die Alte mit dem Kohlebecken“ von Rembrandt,
das in der Dresdner Gemäldegalerie hängt. Das durfte ich auch machen. 1988 gesendet.

Der Rest ist schnell gesagt.
Und auch der verlief so wie bei vielen anderen Kolleginnen und Kollegen unseres
Herder-Instituts, die sich nach Entlassung umtaten und noch erfolgreiche Arbeitsjahre
lang tätig waren und sind. Ich versuchte es nach meiner Entlassung 1993 mit Bewerbungen
in Berlin (wo dann jemand ohne Erfahrung auf dem Gebiet DaF den Zuschlag erhielt),
in Zittau, ach was weiß ich, wo noch. Am Ende fand ich dann aber dank Prof. Dr. Gerhard Wazel,
Gutachter bei der Diss. B., langjähriger Freund der Familie, am IIK in Ansbach und in Berlin ein neues
Betätigungsfeld Deutsch als Zweitsprache, konnte mich da sogar noch einmal ein
paar Jahre in der Weiterbildung, die das BAMF initiiert hat, engagieren und so bis heute
meiner Berufung treu bleiben.

Habe ich das Ziel, zur Entfaltung eines differenzierten Bildes vom Herder-Institut
in der DDR beizutragen, aus dem Auge verloren?

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