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Das Herder-Institut in Zeit und Raum

2011 7. Februar
von Martin Löschmann

Wer sich für das Anliegen des Blogs interessiert, müsste den vorausgegangenen Beitrag lesen. Wer nur für einen der Einzelbereiche – die Abteilung Erziehung u. Ausbildung, die Deutschlehrer-Fortbildung, die Forschungsabteilung,  die internationalen Beziehungen – Interesse hat, findet die Beiträge dazu unter den entsprechenden Stichwörtern

Die zwei größten Tyrannen der Erde: der Zufall und die Zeit. (Herder)

Das Herder-Institut in Zeit und Raum

Die immer wieder zu hörende und in den Vordergrund geschobene Feststellung, dass der erste Lehrstuhl für Deutsch als Fremdsprache in Deutschland am Herder-Institut der Universität Leipzig eingerichtet wurde und Prof. Dr. Gerhard Helbig ihn 1969 besetzt hat, hilft der Reputation des Herder-Instituts im ersten Moment zweifellos auf, selbst wenn man weiß, dass bei dieser Bezeichnung des Lehrstuhls der zweite Teil, der Prof. Helbigs eigentliche Domäne benennt, weggelassen ist:  …/Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. Doch zum Zeitpunkt der Einrichtung des Lehrstuhls hatte der alles andere als eine gesamtdeutsche Dimension, in der Realität war es ein durch und durch DDR-spezifisches Ereignis. Allein, wie kann man nur auf den Gedanken verfallen, man könne einsichtig Deutsch als Fremdsprache jenseits der Systemauseinandersetzungen nach dem Krieg, jenseits des kalten Krieges, der Hallstein-Doktrin, der KSZE-Prozesse beschreiben und den Initiator und Financier einfach beschweigen. War das Herder-Institut nicht in die Geschichte beider deutscher Staaten eingebettet? Haben sich nicht beide Seiten die Wirkräume eingeengt und beschnitten, indem sie sich gegenseitig ‚bekämpften? Nur ein kleines Beispiel von der Gegenseite: In einem Spiegel-Artikel aus dem Jahre 1968/48 „DDR El Safara el-Alamania„, heißt es zum Schluss, nachdem aufgezeigt worden ist, wie die DDR in einigen arabischen Ländern zu dieser Zeit merklich an Boden gewinnt: „Nutznießer deutscher Rivalität im Nahen Osten sind auch Arabiens Sprachstudenten. Fallen sie im westdeutschen Goethe-Institut durch die Abschlussprüfung ihrer Deutschkurse, können sie ihr Examen sogleich wiederholen: im Herder-Institut der DDR.“ Die Botschaft kann doch nur lauten: Am Herder-Institut kann man  Sprachprüfungen ohne Beherrschung der Sprache erfolgreich ablegen. Man muss nur einen politischen Grund haben. Dort spielt fachliche Qualität, in diesem Fall der Grad der Sprachbeherrschung keine Rolle. Ganz abgesehen davon, dass sich die Sprachprüfungen von denen des Goethe-Instituts auffällig  unterschieden und daher nicht ohne weiteres vergleichbar waren, wurde keinem Studierenden etwas geschenkt, ob er oder sie nun aus der Bundesrepublik kam oder direkt aus einem Entwicklungsland. Es gab genügend ausländische Prüfungswiederholer und Studierende, die die erforderliche Abschlussprüfung nicht schafften. Wenn ausländische Studierende mit Vorkenntnissen ans Institut kamen, wurden sie in entsprechende Kurse eingestuft und mussten sich in dem jeweiligen Kurs auf die entsprechende Grundstufen- oder Oberstufen-Prüfung vorbereiten. Den Einstufungstest bestand natürlich jeder.

Es ist die einseitige Sicht auf die DDR-Kulturpolitik, wenn ihr vorgeworfen wird, sie habe dem Goethe-Institut „fast bis zum Schluss eine Tätigkeit in Mittel- und Osteuropa verwehrt“. (Barthold C. Witte, Die auswärtige Kultur- und Sprachpolitik des vereinten Deutschland. Erwartungen, Chancen, Probleme. In: 10 Jahre interDaF e.V. Festakt am 25.10.2002 im alten Senatssaal der Universität, S. 39) Und man wird doch wohl fragen dürfen, ob es denn keine Verwehrungen gegenüber der Einrichtung von DDR-Institutionen im westlichen Ausland gegeben habe. Zudem möchte ich schon meinen, dass sich Deutsch als Fremdsprache in der Bundesrepublik nicht so rasant entwickelt hätte, wenn da nicht die erfolgreiche Sprachförderung im Ausland durch die DDR gewesen wäre.

Unbestritten, dass das Herder-Institut fest in die Außenpolitik/in die auswärtige Kulturpolitik der DDR wie in die Kulturpolitik der sozialistischen Länder insgesamt eingebunden war, was übrigens ebenso unbestritten für die DaF-Institutionen in der Bundesrepublik galt und gilt. Von hier aus erklären sich auch die Auseinandersetzungen mit dem Goethe-Institut, das, wie bereits angedeutet, nur bedingt mit dem Herder-Institut zu vergleichen war und ist. Eine kritische Aufarbeitung der Stellung des Herder-Instituts zum Goethe-Institut steht aus. Ich persönlich habe die Unerbittlichkeit, die Aggressivität des auch vom Herder-Institut geführten ideologischen Kampfes gegen das Goethe-Institut nie so richtig verstanden. Ja, wir befanden uns in einer definierten Konkurrenz- und Abgrenzungssituation. Das Goethe-Institut hatte sich in der Nazizeit nicht gerade distanziert zum System verhalten, sich nur allmählich von seiner Vergangenheit gelöst, wer wollte das bestreiten, aber mich wurmte immer wieder, dass die nicht zu übersehenden Veränderungen nicht zuletzt im Zuge der 68er Studentenbewegungen einfach nicht zur Kenntnis genommen wurden. Ich fand daher den Versuch, das Goethe-Institut international isolieren zu wollen, unsinnig. Gut erinnere ich mich noch an eine Begegnung mit DaF-Experten aus der Bundesrepublik im Rahmen der Vorbereitung eines IDV-Kongresses. Das Treffen in Leipzig konnte nur unter der Bedingung stattfinden, dass weder Mitarbeiter des Goethe- noch des Herder-Instituts daran teilnahmen. Da es aber ohne sie nicht ging, wurden sie entsprechenden Verbänden zugeordnet, in der Bundrepublik war es der Verband moderner Fremdsprachen und in der DDR die Sektion Deutsch als Fremdsprache des Sprachkomitees, in die die Akteure von DDR-Seite flugs aufgenommen wurden, quasi ohne sie zu fragen. Im Prozess der Wende wollte Prof. Rößler diese Sektion, Direktor des Instituts von 1964 – 80, in einen demokratisch organisierten Verband umwandeln. In seinem mir noch vorliegenden Schreiben vom Januar 1990 bittet er mich und andere, Vorschläge zu unterbreiten, wie man den bestehenden, von der Königsebene her dominierten Quasi-Verband für Deutsch als Fremdsprache umgestalten könne. Zu spät, du rettest den Verband nicht mehr.

Wir Teilnehmer vom Herder-Institut wurden vor der Begegnung darauf eingeschworen, bei der Vorstellung nicht zu sagen, dass wir am Herder-Institut arbeiten. Bei der Vorstellung setzte sich aber bei mir der eingefahrene Automatismus durch: Löschmann, Herder-Institut, hinterher ein Donnerwetter meines Direktors, aber keine Disziplinierungsmaßnahme.

Noch ein zweites mich nicht verlassendes Beispiel für diese deutsch-deutschen Widersinnigkeiten. Im Zusammenhang mit dem IDV-Kongress in Nürnberg übernahm das Goethe-Institut die Honorarzahlung an die Vortragenden. Den DDR-Referenten, wozu auch ich gehörte, war aber strikt untersagt, das Geld anzunehmen. Irgendjemand sprach mich an, warum ich denn nicht mein mir doch zustehendes Honorar in Empfang nehmen wolle. Schwarz vor Ärger wegen der Borniertheit der DDR-Oberen entgegnete ich mit ziemlich lauter Stimme: Ich nehme doch von Imperialisten kein Geld! Am Goethe-Institut hat man diesen Ausbruch für bare Münze genommen und nicht den Sarkasmus, die paradoxe Intention verstanden.

Wenn man den eigenständigen Beitrag der DDR zum Ausländerstudium und zur Förderung der deutschen Sprache im Ausland erfassen will, darf man auf keinen Fall die bescheidenen Anfänge naserümpfend ausklammern. Abgesehen davon, dass mit Aristoteles „der Anfang die Hälfte des Ganzen“ sein kann, kommt noch die Erkenntnis meines berühmten Literaturprofessors Hans Mayer hinzu: „Das schlechte Ende widerlegt nicht einen möglicherweise guten Anfang.“

Das Ausländerstudium in der DDR begann mit den 11 Nigerianern, die nach den III. Weltfestspielen der Jugend 1951 in Berlin aus politischen Gründen nicht in ihr Land zurückkehren konnten. In der DDR fanden sie einen Zufluchts- und Ausbildungsort. Dabei ließe sich schon fragen, warum sie denn nicht in die Bundesrepublik gegangen sind? Die gleiche Frage hätte sich auch bei den Bulgaren und Koreanern stellen können, die nach den Nigerianern eintrafen. Die Gründung des Herder-Instituts fällt in die Zeit, in der die Herrschaft der Kolonialmächte zu Ende ging. 1960 war das Jahr, in dem 17 Staaten in Afrika ihre Unabhängigkeit erlangten. Ist da der Gedanke so abwegig, mit seiner bescheidenen Arbeit die selbständige Entwicklung dieser Länder unterstützen, konkrete Hilfe beim Aufbau leisten, ja Solidarität mit den Benachteiligten üben zu wollen. Ich erinnere nur an Akteure der südafrikanischen Befreiungsbewegung, des ANC, die z. T. ohne Abitur und Schulabschluss kamen und in zwei, drei Jahren auf das Studium vorbereitet werden sollten und unter größten Anstrengungen ihrer- wie unsererseits auch wurden, an die vielen Vietnamesen, besonders während des Vietnamkrieges, die Chilenen nach dem Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten Allende, die Kubaner und viele andere. Es wird für mich die soziale und politische Ortung der Studierenden verengt, wenn man lesen muss: „Am Herder-Institut werden insgesamt 22.000 ausländische Studenten, Aspiranten und Postgraduale ausgebildet, die meist als Delegierte kommunistischer Parteien oder

als Regierungsstudenten in die DDR gekommen sind.“ (http://www.uni-leipzig.de/interdaf/ interdaf/chronik.html)

Das Lumumba-Denkmal, vor dem Gebäude des Herder-Instituts in Leipzig symbolisierte die Solidarität mit den Befreiungsbewegungen. Patrice Lumumba, erster frei gewählter Präsident des Kongo nach dem Ende der belgischen Kolonialmacht, wurde noch im Jahr seiner Ermordung 1961 auf Initiative der FDJ hin dieses Denkmal vom Leipziger Bildhauer Rudolf Oelzner gesetzt. Die Einweihung im November 1961 war ein gesellschaftliches Ereignis: Die Döllnitzer Straße, der kurz vor der Einweihung in Lumumbastraße umgenannt worden war, voller Menschen, Universitätsangehörige, Abordnungen aus Betrieben, Schüler und Schülerinnen, ein erhebender emotionaler Moment drei Monate nach meinem Eintritt ins Herder-Institut.

Ich weiß nicht, wer es 1997 hat schleifen lassen. Einfach nur Vandalismus – möglich. Jedenfalls ist die Schändung des Denkmals bis heute nicht aufgeklärt worden. Ich habe es vermisst, wenn ich gelegentlich an meiner ehemaligen Arbeitsstätte vorbeikam. Daher war es für mich eine erfreuliche Nachricht, dass zu seinem 50. Todestag ein neues Denkmal errichtet werden soll. Allerdings, wie kann es anders sein, die Verbeugung vor dem Hut des Landvogts Geßler muss sein. Das Denkmal wird „dem alten zu DDR-Zeiten errichteten nicht ähneln.“ Der Modellkopf ging verloren. Und dann wird Klartext geredet: „In der DDR wurde in den 1960er Jahren die Befreiung von der Kolonialherrschaft auch für propagandistische Zwecke genutzt.“ (www.3sat.de/page/?source=/ kulturzeit/ news/ 148456 /index.html) Oh, wie schrecklich! Oh, wie wahr!

Die meisten Studierenden haben das Denkmal als das verstanden, was es war. Sie haben nicht zuletzt wegen der gelebten Solidarität viel Gutes über das Herder-Institut und das Studium in der DDR berichtet, ohne kritische Punkte wie der Mangel an Obst und manch anderem, die Über-Ideologisierung, die Reisebeschränkungen, die Mauer auszuklammern.

Natürlich bin ich nicht so naiv zu glauben, diese Unterstützung, diese Solidarität erfolgte interessenlos, gewissermaßen allein aus reiner Menschenliebe, dahinter steckten handfeste politische und auch wirtschaftliche Absichten. Die relativ großzügige Förderung von DaF verstand sich z. B. bis Mitte der 70er Jahre ganz klar im Kontext der Bemühungen um die völkerrechtliche Anerkennung der DDR. Freilich war für mich persönlich wie zweifellos für viele andere der Solidaritätsgedanke gravierend, der sich auch in der Anerkennung der Verpflichtung zeigte, die ausgebildeten Fachkräfte möglichst schnell ihren Heimatländern zuzuführen. Es ist weithin unbestritten, dass der Braindrain westlicher Länder den Entwicklungsländern zum Nachteil gereicht, denn sie brauchten damals wie heute dringlichst Fachkräfte.* Dass der Solidaritätsgedanke in 80er Jahren durch die teilweise Kommerzialisierung der Ausbildung von Ausländern zurückgedrängt wurde, soll nicht unterschlagen werden. Die DDR hatte sich nicht nur bei der Förderung des Ausländerstudiums übernommen und war ökonomisch gezwungen, sich zu drehen. Das krassestes Beispiel waren die Libyer. Waren nicht 150 auf einen Schwung angereist? Sie verlangten für ihr Geld beste Lebens- und Studierbedingungen, die z. T. recht schwer zu erfüllen waren. Erst wenn der Verantwortliche aus der libyschen Botschaft nach Inspektion seine Zustimmung gab, floss der Dollar. Soweit ich mich erinnern kann, gab es immer, wenn er aufkreuzte, Beanstandungen: Einmal gab es Kritik an dem Essen, beim anderen Mal an der Sauberkeit, Kakerlaken machten die Runde, wieder einmal entsprach der Gebetsraum nicht den Anforderungen, mal wurde die Eigenkontrolle des Schächtens gefordert. Schwere Zeiten für die Uni und ihr Institut, die Priorität der Kommerz-Studenten war unumstößlich. Nicht wenige Kolleginnen und Kollegen konnten und wollten diesen Gang der Entwicklung am Institut nicht verstehen, obwohl sich ja schon lange herumgesprochen haben musste, dass das Studium nicht prinzipiell für alle Studierenden kostenlos war. Es gab Abkommen mit Regierungen, in denen Finanzierungsmodalitäten geregelt waren.

Solidarität mit den Entwicklungsländern, Eintreten für friedliche Lösungen im Zusammenleben der Völker, erschienen als so hehre humanistische Ziele, dass dafür selbstverständlich Geld da sein musste. Doch die raue Wirklichkeit machte vor dem Herder-Institut keinen Halt, auch wenn man gelegentlich zu hören bekam: Das Herder-Institut läge auf einer geschützten Insel.

* Jahre später liest sich dieser Gedanke in einer ECL-Arbeit zum Thema Berufswahl, in Ungarn geschrieben, weiterführend so:
„Ich meine das Problem ist, dass die Arbeitskraft nach den West-Europäischen Ländern geht und dann zum Beispiel in Ungarn, in Produktion fehlt die ungarische Arbeitskraft.“

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  1. Libyer kommen | Herderblog.net

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